Jugendliche und Politik:"Sie merken plötzlich, sie können was bewegen"

Der Soziologe Mathias Albert verantwortet die Shell-Jugendstudie. Ihn stimmt es optimistisch, dass politisches Engagement nicht mehr "uncool" ist. Bestimmte Gruppen von Jugendlichen müssten aber noch besser angesprochen werden.

Interview von Edeltraud Rattenhuber

SZ: Herr Albert, "Eine Generation meldet sich zu Wort", ist die neue Shell Jugendstudie überschrieben. Gilt das für die gesamte Generation oder nur für eine kleine, aber laute Gruppe elitärer Gymnasiasten?

Mathias Albert: Soziale Herkunft und besuchte Schulform gehen in Deutschland weiterhin Hand in Hand, das ist ganz eindeutig. Das heißt also auch, dass politisches Interesse ganz stark korreliert mit der Schulform, die Jugendliche besuchen. Aber gerade deswegen ist es eine ganz wichtige Aufgabe viel, viel mehr in politische Bildung zu investieren.

Mehr als zwei Drittel der Befragten stimmen Aussagen zu wie: Man darf nichts sagen gegen Ausländer, sonst gilt man als Rassist. Halten Sie das für bedenklich?

Es gibt eine signifikante Aufgeschlossenheit für einzelne populistische Statements wie diese. Die große Mehrheit der Jugendlichen ist aber weit davon entfernt, dafür tatsächlich empfänglich zu sein. Nur ein sehr kleiner Anteil der Jugendlichen lässt sich laut den Erkenntnissen der Studie umfassend auf verschiedenste populistische Statements ein, also etwa neun Prozent der von uns Befragten. Dem gegenüber steht eine erkleckliche Anzahl an Jugendlichen, die zum Beispiel sagen: Zuwanderung? Kein Problem für mich. Man muss wirklich sehr aufpassen, dass man das nicht so interpretiert, als gäbe es ein Riesenpotenzial, das anfällig ist für Populismus auf breiter Front.

Laut Ihrer Studie hängt solche Aufgeschlossenheit für Populismus oft damit zusammen, dass Jugendliche meinen, ohnehin nichts bewirken zu können. Wie könnte die Politik hier gegensteuern?

Klar ist: Jugendliche wollen mit ihren Anliegen gehört werden. Klar ist aber auch, dass bestimmte Jugendliche sich nicht von selbst heraus engagieren und beteiligen. Man muss ihnen daher Foren bieten und nicht warten, dass ihnen diese dort geboten werden, wo man sie nicht haben möchte.

Wären Jugendstadträte hier eine Lösung?

Jugendstadträte und Jugendparlamente kann ich anbieten noch und nöcher, aber dahin gehen primär jene, die ohnehin engagiert sind. Was aber nicht heißt, dass man das nicht noch ausbauen kann und sollte.

Wäre es denn eine Lösung, das Wahlalter generell auf 16 herabzusetzen?

Ich persönlich bin ein Befürworter der Wahl ab 16. Denn das zwingt die Politik, sich auch schon diesen jungen Wählerkreis als Adressaten zu erschließen. Aber das ist natürlich kein Allheilmittel. Wichtig wäre, dass man Jugendliche anspricht, die aufgrund ihres sozialen Status und ihres Bildungshintergrunds eher distanziert sind und meinen, dass sie daher ohnehin nicht ernst genommen werden.

Aber wie erreicht man die? Über Smartphones, Apps, digitale Beteiligung?

Man sollte es zumindest versuchen. Man muss sich aber auch vor Augen halten, dass es Grenzen gibt. Denn es ist ja weiterhin so, dass die politische Sozialisation von Jugendlichen nicht über Beteiligungs- und Partizipationsangebote oder über die Schule läuft, sondern primär übers Elternhaus. Und dann vielleicht noch über die Clique. Wenn da keiner politisch interessiert ist, wird es ganz schwer, die Jugendlichen über welche politischen Beteiligungsangebote auch immer hinter dem Ofen hervorzulocken.

Vorstellung der 18. Shell-Jugendstudie

Mathias Albert, 52, ist seit 2001 Professor für Politikwissenschaft an der Fakultät für Soziologie der Uni Bielefeld und dort im Vorstand des Instituts für Weltgesellschaft. Albert verantwortet die Shell-Jugendstudie.

(Foto: Britta Pedersen/dpa)

Also was tun?

Was mich sehr optimistisch stimmt, ist die wachsende Zustimmung zu der Aussage, dass politisches Engagement "in" ist. Das mag unserem klassischen Politikverständnis widersprechen, aber: Ich mache natürlich viel eher bei etwas mit, das "in" ist, ob ich mich politisch interessiere oder nicht. Politisches Engagement ist also nichts mehr, was "uncool" ist. Und insofern würde es mich sehr wundern, wenn wir in den nächsten Jahren nicht noch weitere Effekte sehen würden.

Tatsächlich ist "Fridays for Future" immer noch "in". Aber wird das auch so bleiben?

Was die "Fridays for Future"-Bewegung vor allem mit den Jugendlichen gemacht hat, ist diese Selbstwirksamkeitserfahrung: Sie merken plötzlich, sie können was bewegen. Und wie bewege ich was? Nicht im Internet, sondern indem ich mich freitags physisch auf einen Platz stelle. Das ist für viele eine ganz wichtige Erfahrung, denn sie kennen ja diese Form des klassischen Protests nicht. Noch bis vor kurzem war diese Form des Protests totgesagt, da hieß es: Läuft nur noch über das Internet. Als positiv können wir übrigens noch etwas vermelden: Mädchen politisieren sich. Traditionell sind ja mehr männliche als weibliche Jugendliche politisch interessiert. Die Mädchen haben hier in den letzten Jahren deutlich aufgeholt.

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