Öffentlicher Nahverkehr:"Dann könnten wir viele Projekte schneller realisieren"

S-Bahn München Öffentlicher Nahverkehr

In München wird an der alten Stammstrecke renoviert, während die Vorbereitungen zum Bau der zweiten Stammstrecke laufen.

(Foto: Stephan Rumpf)

VDV-Präsident Ingo Wortmann erklärt, warum es dauern wird, bis die Milliardeninvestitionen in den öffentlichen Nahverkehr auch spürbar sind. Und warum er die Freigabe des Marktes für Dienste wie Uber und Lyft skeptisch sieht.

Interview von Marco Völklein

Über Jahre klagten Vertreter kommunaler Verkehrsbetriebe darüber, dass die Politik zu wenig Geld bereitstellt, um das Angebot an Bussen und Bahnen auszubauen. Nun steht fest: Der Bund führt das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, kurz: GVFG, nicht nur über das laufende Jahr hinaus weiter, sondern stockt die Mittel für den Bau neuer U- und Trambahnstrecken sogar noch deutlicher auf als bisher geplant. Dreht sich also der Wind in der Verkehrspolitik? Fragen dazu an Ingo Wortmann, den Präsidenten des Verbands deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und Chef der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG).

SZ: Herr Wortmann, hat sich das laute Jammern über die Jahre also aus Sicht der Verkehrsunternehmen gelohnt?

Ingo Wortmann: Tatsächlich haben wir nun mehr Planungssicherheit und die finanziellen Mittel zur Verfügung, die wir benötigen, um den öffentlichen Personennahverkehr auszubauen. Dazu geführt hat eine Mischung aus verschiedenen Gründen: Ja, wir haben geklagt, dass zu wenig Geld in Busse und Bahnen fließt. Zum anderen aber hat der Stau in den Städten, die Luftreinhaltungsdebatte und die Forderung nach mehr Klimaschutz die Politik zum Handeln gezwungen. Mittlerweile ist fast allen klar: Ohne einen attraktiven Nahverkehr kriegen wir diese grundlegenden Probleme nicht gelöst.

Interview am Morgen

Diese Interview-Reihe widmet sich aktuellen Themen und erscheint von Montag bis Freitag spätestens um 7.30 Uhr auf SZ.de. Alle Interviews hier.

Und das zugesagte Geld reicht nun aus?

Bisher gab es gut 330 Millionen Euro pro Jahr. Bereits geplant war eine Aufstockung auf 665 Millionen im Jahr 2020 und eine Milliarde Euro ab 2021. Nun werden es von 2025 an sogar zwei Milliarden Euro jährlich sein. Auch wenn wir als VDV es gerne sähen, wenn die zwei Milliarden bereits ab 2021 zur Verfügung stünden, muss man klar sagen: Das ist wirklich viel Geld. Und man muss nun schauen, dass man es auch verbaut kriegt.

Wo liegen da die Schwierigkeiten?

Zum Beispiel beim Planungsrecht. Bei großen Eisenbahnprojekten wurde vom Gesetzgeber bereits eine Planungsvereinfachung eingeräumt, dass muss es auch für kommunale Schienenprojekte geben. Hilfreich wäre es beispielsweise, wenn Klagen gegen ein Projekt keine aufschiebende Wirkung mehr hätten. Dann könnten wir viele Projekte schneller realisieren.

Viele Baufirmen winken jetzt bereits ab und sagen: Unsere Auftragsbücher sind voll, wir finden auch keine Fachkräfte. Ist das auch ein Problem für Sie?

Ein sehr großes sogar, viele unserer Mitgliedsunternehmen stellen bei Ausschreibungen fest, dass keine Baufirma oder nur eine einzige ein Angebot einreicht - und das dann weit über dem kalkulierten Kostenansatz liegt. Hier muss es uns gelingen, die Baukapazitäten deutlich zu erhöhen.

Das sagt sich so leicht ...

Stimmt. Wir haben deshalb innerhalb unseres Mutterkonzerns, der Stadtwerke München, auch schon darüber nachgedacht, ob wir eine eigene Bauabteilung aufziehen sollen. Bislang allerdings sind das nur Überlegungen, mehr auch nicht.

Es gab mal Zeiten, da hatten Verkehrsunternehmen und kommunale Planer für Fälle eines plötzlichen Geldregens Baupläne in der Schublade, die rasch herausgeholt und umgesetzt werden konnten.

Da haben Sie recht, das gab es. Noch vor wenigen Jahren hieß es aber aus der Bundespolitik immer, dass das GVFG zum Jahresende 2019 ausläuft. Die Kaufleute in den Verkehrsunternehmen haben dann gesagt: Wenn ihr von 2020 an eh kein Geld mehr zum Bauen bekommt, dann müsst ihr auch nichts planen. Entsprechend wurden die Kapazitäten zurückgefahren - übrigens nicht nur in den Unternehmen, sondern auch bei den Genehmigungsbehörden. Auch da müssen Abteilungen nun wieder aufgestockt werden.

Und was macht Sie so sicher, dass sich die Fehler der Vergangenheit jetzt nicht wiederholen? Sind die zwei Milliarden langfristig zugesagt, ohne Befristung?

Ja, das sind sie. Ich habe jedenfalls nichts Gegenteiliges gehört. Positiv ist auch, dass über das GVFG künftig auch Sanierungsmaßnahmen gefördert werden sollen - das war dringend erforderlich. Der Politik ist mittlerweile klar: Wer in Infrastruktur investiert, braucht einen langen Atem.

Eine neue U- oder Straßenbahntrasse zu bauen, dafür benötigt man zehn, manchmal fünfzehn Jahre - das ist zu lange für viele Politiker. Die versprechen lieber ein 365-Euro-Jahresticket, so wie es in Wien seit einiger Zeit schon gilt.

Das ist aus meiner Sicht die falsche Reihenfolge. Man muss zuerst das Angebot an Bussen und Bahnen ausweiten, den Takt verdichten, neue Strecken bauen und in Betrieb nehmen - und dann ein attraktives Ticketangebot schaffen. So haben es die Wiener übrigens gemacht. Andernfalls läuft man Gefahr, dass Fahrgäste, die wir durch das 365-Euro-Ticket gewinnen, in ein ohnehin schon überlastetes System drängen - und dann aus Enttäuschung darüber, dass sie sich in der U-Bahn wie die Sardinen in der Büchse fühlen, wieder abwandern. Hinzu kommt: Das 365-Euro-Ticket wird für den Steuerzahler sehr teuer.

Warum?

Weil die Mindereinnahmen, die eine Tarifabsenkung bedeutet, aus Steuermitteln ausgeglichen werden müssten. Es sei denn, man macht es wie die Wiener und erschließt alternative Finanzierungsquellen: Dort wurden die Parkgebühren hochgeschraubt; die zusätzlichen Einnahmen fließen in den Nahverkehr. Ebenso die Dienstgeberabgabe, eine Art U-Bahn-Steuer, die Unternehmen entrichten müssen, die ihren Sitz in Wien haben. Dieser - sehr wichtige - Teil des Wiener Modells wird bei der Diskussion hierzulande oft ausgeblendet.

Manch einer sagt: Über kurz oder lang werden wir ohnehin mit Fahrdienstanbietern wie Uber oder Lyft fahren - am Ende sogar im autonom fahrenden Robotaxi. Da benötigen wir dann gar keinen öffentlichen Nahverkehr mehr.

Das glaube ich nicht. Das autonome Fahren wird noch eine ganze Zeit lang auf sich warten lassen und, wenn überhaupt, zunächst in abgegrenzten Gebieten in den Innenstädten kommen. Und was Anbieter wie Uber und Lyft betrifft, da verweise ich auf die Erfahrungen in den USA. Die zeigen nämlich, dass diese Formen der Mobilität nicht dazu beitragen, unsere Verkehrsprobleme zu lösen. Im Gegenteil: Durch die zusätzlichen Fahrzeuge steigt die Belastung.

Dennoch wird aktuell in Berlin an einer Neufassung des Personenbeförderungsgesetzes, kurz: PBefG, gefeilt. Am Ende könnte die Freigabe des Marktes für die Mobility-on-demand-Dienste stehen.

Das PBefG wirkt in weiten Teilen wie ein Verbraucherschutzgesetz, es schreibt den Betreibern unter anderem eine Betriebs- und eine Beförderungspflicht vor. Der VDV plädiert dafür, an diesen Grundsätzen festzuhalten. Wir wollen kein Wildwest auf den Straßen. Gibt man den Markt frei, konzentrieren sich die kommerziellen Anbieter auf die Innenstädte, picken sich also die Rosinen raus und nehmen den kommunalen Betrieben so Einnahmen weg, die diese benötigen, um Nahverkehr auch in den Randgebieten anzubieten. Das würde die Daseinsvorsorge konterkarieren.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: