Femizid:"Tötungen von Frauen, weil sie Frauen sind"

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Alle zwei bis drei Tage stirbt in Deutschland eine Frau infolge häuslicher Gewalt. Feminis-tische Gruppen und Die Linke fordern den Straftatbestand "Femizid". Juristin Leonie Steinl sieht das anders.

Interview von Natascha Holstein

In Mexiko wurden vermehrt Frauen entführt, getötet, verstümmelt und ihre Leichen öffentlich zur Schau gestellt. In der Millionenstadt Ecatepec gab es Proteste nach dem Mord an einer 12-Jährigen. (Foto: Ginnette Riquelme/AP)

In Göttingen wird eine Frau von einem Mann erstochen und verbrannt, dessen Liebe sie wohl nicht erwiderte. In Frankfurt geht ein Mann mit einem Küchenmesser auf seine Partnerin los. Statistisch gesehen stirbt in Deutschland alle zwei bis drei Tage eine Frau infolge häuslicher Gewalt. Einen Mann zu verlassen oder abzuweisen, das kann für Frauen tödlich enden. Die Partei Die Linke und feministische Gruppen bemängeln, dass das Strafrecht nicht konsequent genug gegen Frauenmörder vorgehe. Sie fordern einen eigenen Straftatbestand: den "Femizid". Leonie Steinl, Vorsitzende der Strafrechtskommission des Deutschen Juristinnenbundes, kann die Forderung verstehen, sieht jedoch an anderer Stelle Handlungsbedarf.

SZ: Frau Steinl, was genau ist Femizid?

Leonie Steinl: Viele Leute haben bei dem Begriff ganz bestimmte Vorstellungen im Kopf - etwa die Femizide in Mexiko, wo Frauen entführt, getötet, verstümmelt und ihre Leichen öffentlich zur Schau gestellt werden. In Deutschland treten Femizide meist als "Trennungstötung" auf: also die Tötung der derzeitigen oder ehemaligen Partnerin. Manchmal habe ich den Eindruck, dass es manchen Menschen schwerfällt, eine Trennungstötung auch als Femizid zu verstehen. Dabei geht es immer um dasselbe: Geschlechtsbezogene Tötungen, also Tötungen von Frauen, weil sie Frauen sind, sind der gemeinsame Nenner.

Wie ist in Deutschland der strafrechtliche Status quo bei Trennungstötungen?

Unser Strafrechtssystem differenziert zwischen Totschlag und Mord. Ich sehe das Problem nicht im Fehlen eines Straftatbestands "Femizid" oder "Frauenmord", sondern in der Auslegung und Anwendung des bestehenden Rechts.

Die promovierte Juristin Leonie Steinl, 32, ist Vorsitzende der Strafrechtskommission des Deutschen Juristinnenbundes. Sie arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der juristischen Fakultät der Universität Hamburg. (Foto: Michel Buchmann)

Was genau ist das Problem?

Trennungstötungen werden oft nicht als Mord eingestuft, also als Tat aus niedrigen Beweggründen, sondern als Totschlag.

Warum das denn?

Es gibt ein Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2008. Darin heißt es, das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe stünde in Zweifel, wenn "die Trennung von dem Tatopfer ausgeht und der Angeklagte durch die Tat sich dessen beraubt, was er eigentlich nicht verlieren will". Dann soll kein Mord, sondern nur ein Totschlag vorliegen. Diese Entscheidung spiegelt patriarchale Gedankenmuster wider: Wenn etwas geraubt wird, muss man es zunächst besessen haben.

Wird die Tötung von Frauen in Deutschland nicht streng genug geahndet?

Stellen wir diese Entscheidung zu Trennungstötungen der Rechtsprechung zu sogenannten Ehrenmorden gegenüber, dann fällt auf, dass die Rechtsprechung dort strenger ist und eher niedrige Beweggründe annimmt. Hier wird eine vergleichbare patriarchale Besitzkonstruktion anders gewertet. Da sehe ich keine gleichmäßige Anwendung des Rechts.

Sollte es vor diesem Hintergrund einen eigenen Straftatbestand Femizid geben?

Das ist meines Erachtens nicht notwendig. Was wir brauchen, ist eine konsequente Rechtsprechung: Trennungstötungen dürfen nicht milder bestraft werden als andere Tötungsdelikte, nur weil es sich um Taten in einer Partnerschaft handelt.

Wieso hat es so lange gedauert, bis die Debatte in Deutschland angekommen ist?

Es besteht eine Schieflage bei der Bereitschaft, Gewalt gegen Frauen zu erkennen. Sie wird gesellschaftlich viel eher als Problem anerkannt, wenn sie sich vermeintlich exklusiv bei religiösen oder ethnischen Minderheiten verorten lässt. Gewalt gegen Frauen kommt aber in allen gesellschaftlichen Gruppen und Schichten vor, und sie muss überall effektiv unterbunden werden.

Wie kann man das der Gesellschaft bewusst machen?

Es liegt auch an Einzelpersonen, die mit den Gesetzen arbeiten, sie auslegen und anwenden müssen. Diese haben bestimmte Vorstellungen und teilweise auch Vorurteile im Kopf. Hier sind Fortbildungen insbesondere für die Justiz ganz wichtig. Das Zweite wäre die allgemeine Öffentlichkeitsarbeit. Ich habe den Eindruck, dass das Ausmaß von häuslicher Gewalt nicht im gesellschaftlichen Bewusstsein verankert ist. Exemplarisch finde ich da die mediale Berichterstattung.

Inwiefern?

In den vergangenen Tagen hat sich wieder einmal gezeigt, dass für Trennungstötungen noch immer Begriffe verwendet werden wie "Familientragödie" oder "Eifersuchtsdrama". Diese sind Ausdruck einer unangebrachten apologetischen Haltung. Sie geben dem Opfer eine Art Mitschuld oder relativieren die Tat.

© SZ vom 18.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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