Möbelkauf:Weg von der Wiese

Lesezeit: 5 min

Einen Tisch oder ein Sofa kaufen? Das ist in Deutschland immer öfter auch in den Innenstädten möglich. Warum Ikea und andere Möbelhändler in die Zentren drängen.

Von Sabine Richter

Wenn ein großes Möbelhaus wie Ikea eine neue Filiale eröffnet, ist das üblicherweise normale Expansions-Routine. Ganz anders vor gut fünf Jahren, als der schwedische Möbelhersteller ein Geschäft in Hamburg eröffnete. Ikea hatte sich nämlich nicht wie üblich eine große grüne Wiese am Stadtrand für den neuen Standort ausgesucht, sondern baute die Filiale in der Fußgängerzone, mitten in Altona, einem eng bebauten Szenestadtteil. Möbelbranche, Städte und Käufer fragten sich: Sollte das einen Paradigmenwechsel bedeuten? Werden die Menschen ihre Möbel in Zukunft nicht mehr vor, sondern wieder vor allem in der Stadt kaufen? Ikea scheint nach fünf Jahren mit dem Standort in der Innenstadt jedenfalls sehr zufrieden zu sein. Auch andere Unternehmen drängen in die Zentren.

Die Entscheidung für die Hamburger Innenstadt-Filiale war für Ikea ein grundlegender Bruch mit der bisherigen Strategie - für den auch unternehmensintern viel Überzeugungsarbeit geleistet werden musste, wie Property Manager Johannes Ferber berichtet. Mehr als 40 Jahre setzte Ikea schließlich vor allem auf den autofahrenden Kunden. Die blauen Häuser stehen zumeist dort, wo jeder schnell mit dem Wagen hinkommt, bequem parken und seine Einkäufe direkt abtransportieren kann. Das Grundstück in Hamburg-Altona dagegen ist nur 10 000 Quadratmeter groß - statt der sonst üblichen 40 000 bis 80 000 Quadratmeter. Das Sortiment auf 18 000 Quadratmeter Verkaufsfläche wurde aber kaum verändert, nur die Aufteilung in Möbelabteilung und Markthalle ist aufgehoben. Fünf Jahre nach der Eröffnung macht das Modell Schule - und zwar weltweit. Um näher am Verbraucher zu sein, zieht es Ikea künftig in Innenstädte und Einkaufszentren. Andere Projekte werden eingestampft.

Nach dem Erfolg in Hamburg sucht Ikea nun in Berlin nach zentralen Standorten

"Die Bedürfnisse der Verbraucher müssen auf neuen Wegen erreicht werden, deshalb suchen wir nach neuen innerstädtischen Konzepten für unsere Einrichtungshäuser und neue digitale Lösungen", sagt Dennis Balslev, Geschäftsführer Ikea Deutschland. Das Möbelhaus auf der grünen Wiese wird, zumindest was neue Standorte betrifft, zum Auslaufmodell.

"Eine Entscheidung, die von der ganzen Möbelbranche mit großem Interesse beobachtet wird", sagt Markus Wotruba, Leiter Standortforschung bei der BBE Handelsberatung. Sie werde als "sicheres Zeichen gewertet, dass sich Rahmenbedingungen grundsätzlich verändert haben". In Deutschland etwa sucht Ikea derzeit nach neuen Standorten. "Wir werden uns in den nächsten Jahren allein auf die Hauptstadt konzentrieren", erklärt Ikea-Sprecherin Simone Settergren. Warum Berlin? Für die Konzernleitung und auch die globalen Kollegen sei Berlin in Deutschland der Hot Spot. "Wir wollen näher an möglichst viele Menschen heranrücken, da ist eine lebendige, spannende Stadt mit fast vier Millionen Einwohnern interessant für uns", so Settergren.

Wie die neuen Filialen genau aussehen sollen, steht noch nicht fest. Ganz sicher wird es keine klassischen Standard-Ikea-Einrichtungshäuser mehr geben, wie man sie bisher kennt, sondern etwas grundlegend Neues. Wesentlich kleiner, individueller und flexibler sollen die Formate werden. Vorstellbar sei theoretisch aber so ziemlich alles, Ikea-Geschäfte in der Fußgängerzone, in einem Warenhaus oder einem Einkaufszentrum. Vorstellbar seien auch City-Stores mit dem gesamten Sortiment, aber ohne Möbellager. Dort kann der Kunde kleinere Produkte gleich mitnehmen, größere Möbelstücke werden nach Hause geliefert. Bei neuen Projekten in den Innenstädten kann sich das schwedische Unternehmen auch Büros oder Wohnungen auf dem Dach eines Ikea-Hauses vorstellen. Eine Strategie, die auch der Essener Discounter Aldi Nord angekündigt hatte. "Wir trauen uns zu, solche Modelle zu entwickeln. Umgesetzt werden sollten sie dann mit lokalen Partnern", erklärt Ferber.

Auch die Innenstädte können von den Filialen profitieren

"Die Strategie, die Ware da zu präsentieren, wo die Menschen sind, ist der Kerngedanke des Einzelhandels, da geht jetzt auch Ikea hin", sagt Dirk Wichner, Leiter Einzelhandelsvermietung beim Immobiliendienstleister JLL. Die heutige Generation gehe anders einkaufen, große Märkte auf der grünen Wiese funktionierten auch im Lebensmittel-Einzelhandel nicht mehr. Natürlich werde es auch weiterhin Geschäfte an den Stadträndern geben, so Wichner. Ikea werde ja auch seine Standorte in den Gewerbegebieten behalten.

Vor fünf Jahren hat Ikea in Hamburg eine Filiale in einer Fußgängerzone eröffnet. Nun soll das Modell Schule machen. (Foto: Daniel Reinhardt / dpa)

"Der Kunde hat akzeptiert, dass Kaufen und Inbesitznahme des Möbelstücks zwei getrennte Prozesse sind und Lieferfristen zwölf Wochen dauern können. Deshalb ergibt es für den Kunden keinen Sinn, auf die grüne Wiese zu fahren, der Händler kann sich das teure Lager sparen. Damit wird die Innenstadt erschwinglicher für ihn", sagt Wichner.

Für Ikea sei nun statt vieler Parkplätze eine gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr oberste Maxime, sagt Property Manager Ferber. Das ist auch der Fall beim 54. Möbelhaus, das im kommenden Sommer in Karlsruhe eröffnen wird. "Zwei Straßenbahn- und zwei S-Bahnlinien auch mit überregionaler Anbindung halten direkt vor dem Einrichtungshaus, das gibt es nirgendwo sonst in Deutschland", sagte der Karlsruher Oberbürgermeister Frank Mentrup beim Richtfest im September. Von Hamburg-Altona, dem dritten Hamburger Haus, hat Ikea gelernt, dass es auch ohne Auto geht. Die 730 Parkplätze im neuen Parkhaus bleiben meist leer. "Bei dem nächsten Innenstadtbau würden wir nicht noch einmal so viele Parkplätze planen", sagte der Leiter des Einrichtungshauses, Christian Mollerus. So ist auch das befürchtete Verkehrschaos, das die Anwohner befürchtet hatten, weitgehend ausgeblieben. Etwa 80 Prozent der Besucher kommen mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder zu Fuß, die Einkäufe werden in Einkaufstrolleys oder mit Lastenfahrrädern, die man günstig leihen kann, nach Hause gebracht. Zum Serviceangebot gehören auch Leihtransporter und -anhänger, auf einem Parkdeck stehen Möbeltaxis und Car-Sharing-Autos. Die urbane Lage bringt so viele Besucher wie kaum kein anderes Geschäft von Ikea, im Schnitt zwischen 10 000 und 15 000 Menschen am Tag. Das sei viel, so Settergren. "Unsere Erfahrung ist, dass die Kunden in Hamburg-Altona zwar pro Besuch im Schnitt etwas weniger ausgeben als es in unseren anderen Einrichtungshäusern der Fall ist, dafür jedoch häufiger wiederkommen." Hoch ist der Umsatz pro Kunde im Restaurant und Cafe, genaue Zahlen nennt das Unternehmen aber nicht. Vor allem in den Innenstadtlagen spielt die Gastronomie für den Einzelhandel eine immer größere Rolle. "Die Aufenthaltsqualität soll höher werden", sagt Settergren. Die Restaurants sind ein großer Umsatzbringer. 239,5 Millionen Euro Foodservice-Umsatz in Deutschland vermeldet Ikea für das Geschäftsjahr 2018. Damit zählt der Konzern zu den größten Gastronomie-Unternehmen in Deutschland.

Von der Ansiedlung der Möbelhäuser können auch die Innenstädte profitieren. Nach dem Ansiedlungsbeschluss von Ikea in Hamburg-Altona gab es nahezu für alle Nachbargrundstücke Bauanträge zur Aufstockung oder zum Umbau. Straßen und Plätze wurden umgestaltet, neue Wohn- und Geschäftshäuser geplant.

Möbel kaufen in den Innenstädten - ganz neu ist dieser Trend freilich nicht. "Stores in der City sind für Marken wichtige Berührungspunkte mit Konsumenten", sagt Peter Schönhofen, Mitgründer und Geschäftsführer von Kare Design. Weltweit hat das Möbelunternehmen mehr als hundert Geschäfte, eines davon auf vier Etagen in der Münchner Innenstadt. Der Vorteil der zentralen Lagen sei die Frequenz, sagt Schönhofen, "beim Bummeln fällt es Kunden leicht, sich in einem Möbel-Showroom inspirieren zu lassen".

Viele Kunden wollen Möbel ansehen und anfassen, bevor sie online einkaufen

Ein wichtiger Treiber der Entwicklung ist das Internet. Im gesamten Einzelhandel verschieben sich die Funktionen der Läden. "Kunden recherchieren online und kaufen im Shop - und umgekehrt", sagt Schönhofen. "Showrooms" dienen der Markenbildung und geben Kunden die Möglichkeit, ein Produkt auch tatsächlich zu sehen oder auszuprobieren. "Es hat sich gezeigt, dass in der Möbelbranche das haptische Erlebnis, das sinnliche Fühlen beim Kaufentscheid eine wichtige Rolle spielt", sagt Schönhofen.

Mittendrin: Der Möbelhändler Kare betreibt ein Geschäft in der Münchner Innenstadt. (Foto: Stephan Rumpf)

Manche Marken, die ursprünglich nur im Internet aktiv waren, haben in den vergangenen Jahren Läden eröffnet. Der Onlinehändler Ambientedirect zum Beispiel startete 1998 sein Geschäft im Internet - und hat vor einem Jahr eine Filiale im Münchner Zentrum eröffnet. "Wenn der Möbelhändler nur online bleibt, benimmt er sich vieler Möglichkeiten, den Menschen zu einer Kaufentscheidung zu bewegen", sagt Handelsexperte Wotruba. Gerade bei Möbeln sei anfassen, fühlen, riechen für viele Käufer unverzichtbar, betont auch Dirk Wichner. Und das funktioniert am besten in den Innenstädten.

© SZ vom 19.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: