Lahmende Konjunktur:Merkel muss führen

Bundeskanzlerin Angela Merkel (R), CDU, und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (L), SPD, aufgenommen vor der Kabinettssit

Zu passiv: Angela Merkel gefolgt von Vizekanzler Olaf Scholz in einer Sitzung des Bundeskabinetts in der vergangenen Woche.

(Foto: imago images/photothek)

Die deutsche Wirtschaft hat ihren Schwung eingebüßt - und die Kanzlerin schweigt. Dabei wäre es höchste Zeit zu reagieren - zum Beispiel mit Steuererleichterungen und kräftigen staatlichen Investitionen.

Kommentar von Marc Beise

Optimismus ist gut und schön, erst recht gepaart mit Gelassenheit. Optimismus macht gute Laune, und gute Laune kann helfen, Probleme zu lösen. Wo der Pessimist den Weg verstellt, lässt der Optimist eine Chance. Die deutsche Konjunktur läuft nicht mehr? Die wichtige Industrie sendet Alarmzeichen? Das Wachstum wird heuer nur ein halbes Prozent betragen, nächstes Jahr nicht viel mehr? Macht nichts, sagt Oberoptimist Vizekanzler Olaf Scholz (SPD): Man habe doch beinahe Vollbeschäftigung, investiere so viel wie lange nicht, und überhaupt: Geld sei genug da. Und hat nicht gerade das Ifo-Institut gemeldet, dass sein viel beachteter Index zur Lage in der Wirtschaft zum ersten Mal seit dem Frühjahr wieder gestiegen ist? Na also.

Na also? Ganz offensichtlich macht der Abschwung nur eine Pause. Für die nächste Zeit erwarten die von Ifo befragten Manager weitere Probleme, und die Ökonomen des Landes sind sich erst recht einig, dass die Lage heikel ist. Es ist dringend an der Zeit, dass die Verantwortlichen das erkennen, sagen und danach handeln. Optimismus macht gute Laune, aber er macht auch blind vor den Herausforderungen. Er verleitet zum Nichtstun.

In guten Jahren schlechte Politik zu machen, ist eine lässliche Sünde - in schlechten Jahren schlechte Politik zu machen, ist verheerend

Nichts oder wenig hat die Politik bisher gemacht, und es hat gut funktioniert: Deutschland kann auf zehn wunderbare Jahre zurückblicken. Obwohl sich die Politik auf Gesetze vor allem im Sozialbereich konzentriert und große Wirtschaftsreformen nicht angepackt hat, boomten die Geschäfte, und Deutschland war international erfolgreich. Hätte nicht schöner laufen können, ja - nur leider kann man sich nicht darauf verlassen, dass dieses System weiter funktioniert. In guten Jahren schlechte Politik zu machen, ist eine lässliche Sünde. In schlechten Jahren schlechte Politik zu machen, ist verheerend.

Der Optimismus des Bundesfinanzministers ist unverzeihlich, aber noch unverzeihlicher ist das Schweigen der Kanzlerin. Angela Merkel weiß im Zweifel, wie prekär die Lage ist, hält aber dennoch still. So hat sie es meist gemacht in ihrer langen Amtszeit, und deshalb könnte es zu viel verlangt sein, dass Merkel ausgerechnet jetzt, in ihrer Kanzlerdämmerung, noch einmal die Initiative an sich reißt - aber warum eigentlich ist das so? Warum nicht sich jetzt noch einmal neu erfinden? Es geht darum, ein Zeichen zu setzen, das öffentlich Wirkung entfaltet.

Die Bundesregierung müsste zunächst in kurzer Zeit ein Programm entwickeln, die vielen Vorschläge der Experten, die sich leider gelegentlich widersprechen, sichten, sammeln und öffentlich ordnen. Man kann dafür das Instrument des runden Tisches nutzen. Wenn der Juniorpartner SPD, der aktuell bei 15 Prozent liegt, öffentlichkeitswirksam Vorsitzende sucht, sind Debattenrunden zum wirtschaftlichen Reformbedarf des Landes zumindest angemessen.

Am Anfang des Prozesses müsste eine Paukenschlag-Rede der Kanzlerin stehen, am Ende ein Paket mit kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen in prägnanten fünf, sieben oder zehn Punkten. Dabei kann es nicht in erster Linie darum gehen, neue soziale Maßnahmen zu beschließen, die gab es zuletzt genug. Sondern es geht darum, die Investitionsbedingungen von Unternehmen zu verbessern: Hier entstehen Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand.

Es ist an der Zeit, Steuern zurückzugeben

Kurzfristig müssen Firmen durch Steuerleichterungen angeregt werden, mehr zu investieren und ihre Innovationskraft zu stärken. Zumal auch bei den Firmen der erste Impuls in der Krise ist, zu sparen und die besten, also die erfahrensten, Leute loszuwerden - weil sie die Ältesten sind. Ferner müssen sowohl Unternehmen als auch Bürger steuerlich entlastet werden. Nie hat der Staat so viel Steuern eingenommen, jetzt wäre es an der Zeit zurückzugeben. Das schafft mehr Kaufkraft und übrigens auch Optimismus als jede Pressekonferenz des Vizekanzlers.

Ferner muss der Staat selbst investieren, wie es für die Bahn im Klimapaket beschlossen worden ist. Die Politik argumentiert häufig, dass das Geld für Verkehr, Digitales, Bildung bereitgestellt, aber nicht schnell genug abgerufen werden kann. Die Antwort kann nur lauten: Dann müssen eben mit einem Schnellprogramm die Voraussetzungen dafür geschaffen und Hindernisse beseitigt werden. Die berühmte "schwarze Null", also die Grenze der Neuverschuldung, darf und muss für diese Art von Ausgaben gelockert werden - die niedrigen Zinsen lassen das zu und der Abschwung erzwingt es.

Das alles zusammen ist, zugegeben, ein großer Wurf für Jahre. Bürokratieabbau ist eine langfristige Sache, Investitionen sind es auch. Und dabei ist über die Schwierigkeit noch gar nicht gesprochen, in der zerstrittenen Koalition aus CDU, CSU und SPD zur Einheit zu finden. Aber so ist das eben: Wer in den vergangenen Jahren so viel verpasst hat, der muss nun jetzt alles auf einmal auf den Weg bringen. Wenn die Politik diese Herausforderung verschläft, dann wird es bald selbst für Optimisten schwierig.

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