Funkfrequenzen im Kulturbetrieb:Mehr Hertz für das Schöne!

Das MHz-Band, auf dem alle Kultur vom Theater bis zum Orchester sendet, soll an Mobilfunkanbieter versteigert werden. Der Deutsche Kulturrat schlägt Alarm.

Von Bernd Graff

Hand aufs Herz! Wann haben Sie zuletzt an Heinrich Hertz gedacht? Selten in jüngster Zeit? Noch nie? Unverzeihlich! Der Mann war schließlich der erste Wellenreiter der Physik, wenn man elektromagnetische Wellen dazuzählt. Gut, schwingende Störungen in den Gleichgewichtszuständen von Systemen, nichts anderes sind Wellen, hatte man vor ihm gekannt. Doch wer wäre vor Hertz auf die Idee mit dem Funkeninduktor und einer durch Kugeln kapazitiv verlängerten Dipol-Sendeantenne sowie einem unterbrochenen Metallring als Empfangsantenne gekommen? Eben! Niemand außer Hertz, diesem gepflegtesten Mann des 19. Jahrhunderts, Hanseat aus feinstem Hause und Vorbild für jeden Vatermörderträger. Darum tragen seine elektromagnetischen Wellen, die Hertz im Ultrakurzbereich als Erster erzeugte, auf ewig sein Andenken, Hz werden sie abgekürzt, eine Million Schwing-Zyklen pro Sekunde sind Megahertz, kurz: MHz.

Und jetzt fragen Sie natürlich, warum Sie sich das Gewelle und den ollen Hertz vergegenwärtigen sollten. Hat Sie doch in der Schule schon nicht interessiert. "Werch ein Illtum", um es kulturell völlig unverfänglich mit dem großen Ernst Jandl zu sagen!

Nicht nur, dass UKW-Rundfunksender im Bereich um die 100 MHz senden, ja genau: unser aller geliebter "Deutschlandfunk Kultur" etwa, hier in München auf 96,8 MHz, und der Empfang ist sogar in Gebäuden möglich, wie die Deutschlandradio-Redaktion auf ihrer Webseite vermerkt.

Gefordert wird vom Kulturrat ein "Masterplan", damit alle Kultur wieder "Planungssicherheit" erhalte

Auch der ganz normale Gang in ein Stadttheater Ihrer Wahl, der Besuch eines Orchesters, jede stinknormale Veranstaltung im Kulturbereich kommt heutzutage nicht mehr ohne Mega-Hertzens Wunderwellen aus. Diese Einrichtungen funken alle ihre Botschaften, Sentenzen, Texte, Lieder und Gedanken mit den kleinen Funkmikrofonen, die an den Mimenköpfen im Kieferbereich wie fehlgeschminkte Warzen wirken, aber von Metalldrähten gehalten werden, die an komplizierte Zahnspangen erinnern. Und zwar funken sie im 600 MHz-Bereich, der bislang exklusiv für die terrestrische Verbreitung von audiovisuellen Medien und den Einsatz drahtloser Produktionsmittel im Kulturbereich genutzt wird. Da erhält der Begriff Sendungsbewusstsein gleich eine besondere Note, Kultur ist immerzu auf Sendung. Doch dieses 600 MHz-Band soll auf der Weltfunkkonferenz (WRC-19) am 28. Oktober in Scharm el-Scheich an Anbieter von schnödem Mobilfunk verschachert werden.

Der Deutsche Kulturrat sieht völlig zu Recht große Probleme. Wie sollen Künstlerinnen und Künstler nun ihr Publikum noch erreichen. Stumme Kommunikation à la Marcel Marceau liegt nicht jedem und kann nur eine, keine Dauerlösung sein. Licht-Morsen gewiss auch nicht. "Auch wenn es sich vorrangig um eine technische Frage zu handeln scheint", so der Kulturrat, "geht es um nicht weniger als die Funktionsfähigkeit der Kultur- und Kreativwirtschaft." Gefordert wird also ein "Masterplan" für ausreichend Frequenzbereiche, damit alle Kultur wieder "Planungssicherheit" erhalte. Dem wollen wir uns "hertz"haft anschließen.

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