Lidl-Löffel:Nicht zu fassen

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Ein Löffel ist ein Löffel? Nicht so ganz, wie dieses Modell zeigt. (Foto: Lidl)

Lidl-Kunden bekommen jetzt einen speziell geformten Löffel geschenkt, mit dem sie weniger Zucker konsumieren sollen. Ist das Kunst oder Satire?

Von Martin Wittmann

Monty Python feiern dieses Jahr bekanntlich ihren 50. Geburtstag, und da will offenbar auch ein Discounter noch schnell gratulieren, mit einem Jubiläums-Produkt: dem Lidl-Löffel. Dieser Löffel ist gleich eine doppelte Hommage an den absurden Humor der Briten.

Zum einen erinnert er an jene Szene im Film "Das Leben des Brian", in der die dummen Römer in Mannschaftsstärke in eine Wohnung einfallen. Aufständische halten sich dort dilettantischst versteckt. Nach einer Weile kommen die Römer wieder herausmarschiert, ohne die Gesuchten, aber mit Besteck. "Hab' den Löffel gefunden, Herr", bescheidet der Sergeant seinem Vorgesetzten pflichtbewusst.

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Zum anderen ist die Form des Lidl-Löffels ein kunstsinniger Witz. In seiner Laffe - so heißt der wannenähnliche Teil - hat er eine nach oben gewölbte Beule, also quasi eine umgekehrte Laffe. Die Beule verringert das Volumen, der Zweck des Löffels wird damit ad absurdum geführt. Die Methodik erinnert an die Designerin Katerina Kamprani, die in der Werkreihe "The Uncomfortable" Alltagsgegenstände so umgestaltet, dass sie unbrauchbar werden. Da gibt es etwa eine Gießkanne, deren Tülle - so heißt der halsähnliche Teil - derart deppert gebogen ist, dass das Wasser wieder zurück in die Kanne hineinliefe. Oder eben einen Löffel, dessen Laffe überdacht ist, was das Essen mit ihm unmöglich macht.

Unmöglich ist es nun nicht, mit dem Lidl-Löffel zu essen. Aber er disqualifiziert sich dank der geizigen Fassungsvermögensverwaltung für eine seiner eigentlichen Aufgaben: das Abmessen von Nahrungsmitteln. Ein Esslöffel, das ist auch eine Maßeinheit. Die Form, die laut Designergrundsatz unbedingt der Funktion folgen soll, hebelt diese aus.

Steckt eine Kunstaktion dahinter?

Kunden, die für mehr als 25 Euro bei Lidl einkaufen, bekommen den Löffel im Laden geschenkt. Online kostet der Löffel einen Cent, der entsprechende Versand 4,95 Euro. Die Verpackung, in der er kommt, erinnert in ihrer Einfachheit und Eindimensionalität ein wenig an Andy Warhols "Brillo Boxes". Ist das Absicht?

Ob Lidl da nur das Absurde feiert? Oder schwingt nicht doch subversive Kritik mit (am Perfektionswahn, am Versandirrsinn, am Billigkonsum, am Prinzip Suppe)? Steckt eine Kunstaktion dahinter? Anti-Werbung eines Gabel-Produzenten?

Die Beschreibung des Produkts gibt die Antwort, und die ist noch cleverer als gedacht. Der Löffel ist tatsächlich ein Spiegel der Gesellschaft. In seinem Edelstahl sieht sich der Mensch selbst, und er erkennt, wofür ihn Lidl hält: für einen Kunden, der dümmer ist als eine komplette Römermannschaft. Oder als vier Fünftel davon.

"Mit dem Lidl-Löffel sparst du im Handumdrehen ca. 20 % Zucker ein, ohne deine Gewohnheiten ändern zu müssen. Zwei Löffel Zucker im Kaffee bleiben zwei Löffel Zucker. Aber eben 20 % weniger." Der Löffel ist Teil einer Werbeaktion von Lidl, die darauf aufmerksam machen soll, dass der Discounter bis 2025 den zugesetzten Zucker im Eigenmarkensortiment um ein Fünftel reduzieren möchte.

Lidl geht also davon aus, dass ein Kaffeetrinker, der sich vornimmt, weniger Zucker in die Tasse zu schütten, sein Ziel dank einer plumpen Selbsttäuschung erreicht: zwei Löffel sind zwei Löffel, unabhängig davon, welche Menge an Zucker sie tragen. Dass der Kaffee, den man für gewöhnlich aus Geschmacksgründen trinkt, dann nicht mehr so (gut) schmeckt, scheint in dieser Logik weniger ins Gewicht zu fallen als das habituelle Zuckern mit dem Löffel.

Es ist also ein soziales Experiment, ein Gewohnheitstierversuch, der, so bitter das klingen mag, tatsächlich erfolgreicher sein könnte als jede Kampagne des Gesundheitsministeriums: Wenn es mit Überzeugung nicht geht, hilft nur noch die Täuschung. Nicht die heimlich untergejubelte, sondern die unheimlich offensichtliche. Eine willkommene Manipulation in Zeiten der Unmündigkeit, in denen die Klima-Diskussion auch mit Slogans geführt wird wie: "Verbietet uns endlich etwas."

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Vielleicht ist das alles aber doch nur eine Hommage an den US-Film "This is Spinal Tap", der gerade 35 Jahre alt wird. Die Pseudo-Dokumentation handelt von einer Gruppe tumber Rockmusiker. In einer Szene zeigt der Gitarrist einem Journalisten ganz stolz seinen Verstärker. Das Besondere daran: Der Drehknopf geht nicht, wie bei gewöhnlichen Geräten, bis zum Wert 10 - er geht bis 11.

Ob der Verstärker tatsächlich lauter sei als andere? Unerheblich. "Dieser geht bis 11", prahlt der Gitarrist und klingt dabei so von seinem Unsinn überzeugt wie ein Kaffeetrinker mit Lidl-Löffel, der sich "Da sind wie immer zwei Löffel Zucker drin" einredet. Der Film ist übrigens eine sehr lustige Satire.

© SZ vom 26.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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