Prozess in Fürstenfeldbruck:Beweissuche im Internet

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Das Amtsgericht vertagt eine Verhandlung über Volksverhetzung

Von Kristina Kobl, Fürstenfeldbruck

Was im Internet passiert, bleibt nicht im Internet: Eine 68-jährige Gröbenzellerin wurde nach einem fremdenfeindlichen Kommentar auf Facebook der Volksverhetzung angeklagt. Sie streitet die Tat ab. Ein Urteil ist in der Verhandlung am Montag im Brucker Amtsgericht noch nicht gefallen, es müssen noch weitere Beweise geprüft werden.

Der Auslöser war ein Artikel von "Focus Online" vom 18. April 2016: "Zentralrat der Muslime fühlt sich an Hitler-Deutschland erinnert." In dem Artikel kritisierte Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrat der Muslime, die Politik der AfD und warnte vor einer Welle der Islamfeindlichkeit in Deutschland. Unter einem Beitrag auf Facebook, in dem dieser Artikel geteilt wurde, soll die Angeklagte kommentiert haben: "Weg mit dem Ungeziefer, so etwas brauchen wir hier nicht." Der Kommentar stellt offensichtlich eine Ablehnung der muslimischen Bevölkerung in Deutschland dar - strafbar als Volksverhetzung.

Der Verteidiger stellt den Antrag das Verfahren einzustellen: Er sieht zu viele formale Fehler in der Anklage. Die meisten Fehler stellen sich als Missverständnisse heraus - geschuldet der mangelhaften Erfahrung mit den sozialen Netzwerken. Dieses Muster zieht sich durch die Verhandlung: Das Know-how fehlt, um zu verstehen, was online passiert; die Hintergrundinformationen fehlen, um zu verstehen, wann und wo es passiert. Laut dem Screenshot des Posts des Landeskriminalamtes wurde der Kommentar im Mai 2019 von einem Profil mit dem Namen der Angeklagten abgegeben, der Artikel ist jedoch schon im April 2016 erschienen. Der Verteidiger argumentiert zudem, auf dem Profil seiner Mandantin würden sich keinerlei politische Beiträge befinden, sondern nur Tierschutzposts. Es gehe jedoch um einen Kommentar, den sie von ihrem Account aus woanders veröffentlicht hat, Heißt es daraufhin im Gerichtssaal.

Laut der Anklage ist der Kommentar eine Reaktion auf die beiden vorangegangenen Kommentare und somit noch diskriminierender. Der Rechtsanwalt weist den Vorwurf zurück und klärt auf, wie das bei Facebook funktioniert: Man liest nicht alle anderen Kommentare, sondern kommentiert unabhängig von ihnen den ursprünglichen Post. Unter den 401 Kommentaren auf Focus Online unter dem Artikel sei der Kommentar der Angeklagten gar nicht dabei, erklärt der Rechtsanwalt weiter. Diesmal klärt die Staatsanwältin auf: Es gehe nicht um die Kommentare auf der Website von Focus Online, sondern um die unter dem entsprechenden Post auf Facebook. Der wurde allerdings noch nicht gefunden.

Der Richter verschiebt die Verhandlung, ohne dass die Unstimmigkeiten geklärt worden sind. Für die nächste Sitzung soll ein sachverständiger Zeuge des Landeskriminalamts Auskunft darüber geben, wo, zu welcher Uhrzeit und von welchem Profil der Kommentar abgegeben wurde. Um das zu ermitteln, wird die URL benötigt - die exakte Internetadresse mit allen Informationen.

Auch folgende Frage ist am Ende der Verhandlung noch offen und soll vom Landeskriminalamt geklärt werden: Gibt es eine realistische Möglichkeit, dass eine andere Person als die Angeklagte den Kommentar ins Netz gestellt hat? Der einzige Zeuge im Gerichtssaal ist der Polizist, der den Screenshot geschickt bekommen hat. Er sieht die Chance gering: Wenn es die Angeklagte nicht selbst gewesen sei, dann zumindest jemand, der ihr Facebook-Konto kennt. Und wenn sich jemand tatsächlich die Mühe mache, das Konto der 68-Jährigen zu hacken, sei der Kommentar: "Weg mit dem Ungeziefer, so etwas brauchen wir hier nicht", doch recht billig.

© SZ vom 23.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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