Instrumentenbau:Zarte Berippung, schlanke Mensur

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Der Piano-Salon Christophori in Berlin-Wedding restauriert alte Klaviere und Flügel.

Von Wolfgang Schreiber

Das Klavier - eine Klangwelt, ein Universum der Musik. Aber was vermutlich nirgendwo zu finden ist: eine Instrumentenwerkstatt und ein Konzertsaal in einem - einem einzigen großen Raum. Das gibt es im Wedding, dem alten West-Berliner Stadtteil. Dort, im Areal "Uferhallen", dem früheren Ausbesserungswerk der Berliner Verkehrsgesellschaft, logiert der Piano-Salon Christophori. Der gehört zu den kuriosesten Institutionen der an ungewohnten Spielstätten nicht armen Berliner Klassikmusiklandschaft.

In dem Piano-Salon wird das Klavier nach allen Regeln des Handwerks unter die Lupe genommen - und es wird dann dort professionell Musik gemacht. Hier stehen historische Hammerklaviere in Reih und Glied, Pariser Érard- oder Pleyel-Flügel, Blüthner-Exemplare, betagte Steinways. Und im selben Raum mit seinen 200 Zuhörerplätzen geben Musiker manchmal im Tagesrhythmus Konzerte mit Klavier- oder Kammermusik. Seit 2001 gibt es den Salon, der von dem Sammler und Restaurator Christoph Schreiber begründet wurde und geleitet wird. Schreiber hat als Neurologe gearbeitet und sich zum Klavier-, zum Musikmäzen aus Leidenschaft entwickelt.

Namensgeber des Salons ist der italienische Instrumentenbauer Bartolomeo di Francesco Cristofori, der 1709 im Florenz der späten Medici-Epoche das erste Hammerklavier entwickelte, indem er eine neue Technik entwickelte: Die Saiten werden nicht mehr wie beim Cembalo angerissen, vielmehr wird ein kleiner Hammer durch eine Stoßzunge gegen die Saite geschleudert. Das bringt diese zum Schwingen und lässt den festen, farbigen, nunmehr weicheren Ton erklingen. Durch eine Dämpfung wird der Ton "abgefangen".

Cristofori war es auch, der pro Taste zwei gleich gestimmte Saiten nebeneinander anordnete, so wird der Ton lauter. So konnte der Spieler durch ungleich starken Tastendruck sowohl leise (piano) als auch laut (forte) musizieren, weshalb sich für das Instrument der Name Pianoforte einbürgerte. Im Weddinger Piano-Salon Christophori, wo Flügel und Klaviere jeden Alters und Zustands den Raum füllen, ist also die Historie des Hammerklaviers anwesend - zum Spielen, zum Restaurieren, zum Anschauen und zum Hören.

Wer den Raum in den Weddinger Uferhallen betritt, verliert leicht die Übersicht: Man sieht sich einer Fülle von historischen, noch spielfähigen oder maroden Konzertflügeln und auch "Ersatzteilen" gegenüber. Da stapeln sich an den Wänden sowie in den Flächen und Ecken des Raums in einer Art kreativen Durcheinanders die Instrumentenutensilien, Holzplatten und, als Zugaben, Bücherregale, Schallplatten, Ölgemälde sowie Musikerfotos.

Hier frönt Christoph Schreiber seiner so edlen wie bizarren Neigung: "Regulation, Hammerköpfe schleifen, intonieren, Dämpfung setzen und regulieren, Tastaturbeläge reparieren, reinigen, bleichen und polieren ..." Der Piano-Salon bietet sämtliche Restaurierungsdienste an: "Abwaschen des alten Lackes, Reparatur des Furniers, Schellackpolitur je nach Wunsch oder historischem Vorbild ..."

Der Chef des Piano Salons ist sich des Risikos jeder Restaurierung historischer Konzertflügel bewusst

Im Zentrum der Sammlung historischer Instrumente, mit Exemplaren der Marken Pleyel, Schiedmayer oder Steinway, Blüthner, Broadwood oder Duysen, befinden sich einige Konzertflügel der legendären französischen Firma Érard. Im Jahr 1777 fertigte Sébastien Érard aus Straßburg sein erstes "Tafelklavier", aber erst 1821 patentierte er seine "Doppelrepetitionsmechanik", die Voraussetzung für die spektakuläre Virtuosität eines Chopin, Thalberg oder Liszt - möglich gemacht durch die höhere Anschlagsdynamik und die schnellere Wiederholung der Anschläge auf derselben Taste.

Der Chef des Piano-Salons ist sich des Risikos jeder Restaurierung historischer Konzertflügel bewusst, nämlich "der Crux, sich positionieren zu müssen zwischen dem musealen Konservieren historischer Substanz, welche sich strikt dagegen wehrt, Neues und Eigenes in das Instrument einzubringen, und dem vorsichtigen Versuch, ein Instrument wieder in einen dem Original nahen Zustand zu bringen", also erneut spielbar zu machen.

"Der dünnere Resonanzboden, die zarte Berippung, die schlankere Mensur, das heißt das Verhältnis von klingender Länge einer Saite zum Durchmesser", das sei, so Schreiber, beim historischen Instrument höher und führe "zu einem leiseren, aber schwingungsfähigeren und gefühlt helleren Klang". Den schätzen immer zahlreicher jene Pianisten, die dem "historisch informierten" Musizieren verfallen sind.

Angeboten werden vom Piano-Salon der Verkauf, der Verleih und auch der Ankauf von Instrumenten. Und veranstaltet werden in kurzen Abständen Konzerte, solistische Klavierrecitals sowie kammermusikalische Darbietungen in variablen Streicher-Klavier-Besetzungen. Das Alte und das Neue Testament der Klavierkunst sind längst terminiert: Ludwig van Beethovens 32 Sonaten und Johann Sebastian Bachs Wohltemperiertes Klavier. Und zwischen Streichquartette und Vokalrecitals hat sich dort der Jazz etabliert.

Wer jetzt das Konzert mit dem griechischen Pianisten Giorgos Fragos hörte, für den der Klavierstimmer Andreas Weihert das Instrument hergerichtet hatte, vernahm einen ungewohnt hellen und scharfen Klavierklang. Weihert ist Schreibers ständiger Arbeitspartner an den Klavieren, und noch Sekunden vor Konzertbeginn musste dieser den Steinway-Klang von 1950 korrigieren. Da sitzen knapp einhundert Zuhörer auf ihren Plätzen, die dem 1984 geborenen Pianisten aus Athen, der auch Mathematik studiert hat, mit bemerkenswerter Konzentration und Kennerschaft folgen.

Fragos spielt auf dem delikaten Instrument mit virtuoser, spontan wirkender Gestaltungsenergie, Wolfgang A. Mozarts Sonate in c-Moll, Beethovens "Waldstein"-Sonate sowie Claude Debussys zweiten "Image"-Zyklus und die "Dante-Sonate" von Franz Liszt. Und der Hausherr steht für Informationen und Gespräche gern zur Verfügung - in der so gut wie familiären Veranstaltung eines Piano-Salons.

© SZ vom 24.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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