Bogenhausen:Erst der Bundestag, dann die Bürger

Lesezeit: 3 min

Planung abschnittsweise, Informationen scheibchenweise: Die Bahn bestätigt eine Verdreifachung des Güterverkehrs im Münchner Osten bis 2030 und will einen Dialog anbieten - sobald die Finanzierungsentscheidung gefallen ist

Von Ulrike Steinbacher, Bogenhausen

Im Jahr 2030 werden täglich "in etwa" 226 Güterzüge die vier Kilometer lange Bahnstrecke zwischen Daglfing und Johanneskirchen passieren. Diese Zahl hat ein Sprecher der Deutschen Bahn jetzt erstmals offiziell bestätigt. Das entspräche einer Verdreifachung des heutigen Güterverkehrs, ist aber nach Ansicht von Bahn-Kritikern noch deutlich zu niedrig gerechnet. Sie halten für möglich, dass sich bis 2050 die Zahl der Güterzüge, die durch Bogenhausen rattern, sogar verachtfacht - von heute 83 auf dann 657. Pro Tag.

Die Bahn arbeitet im Münchner Osten an verschiedenen Aus- und Umbauprojekten, die zeitlich gestaffelt sind, separat behandelt werden, aber dennoch zusammenhängen, weil sie alle dazu beitragen, eine Verdichtung des Güterverkehrs zu ermöglichen. In München kreuzen sich transeuropäische Güterzugstrecken. Und der Nordzulauf zum Brenner-Basistunnel, auch das sagt der Bahn-Sprecher, wird in Trudering beginnen. Das sei aber Zukunftsmusik. Geplant werde abschnittsweise von Süden her. "Für den Bereich Großkarolinenfeld - Grafing - Trudering haben die Planungen noch gar nicht begonnen."

Die Vorarbeiten aber durchaus. Dazu zählt das Projekt Truderinger und Daglfinger Kurve (TDK). Die Bahn will die Gleiskurve zwischen Daglfing und Riem zweigleisig ausbauen, in einen Trog verlegen und die eingleisige Verbindungskurve zwischen Trudering und Riem modernisieren. Zudem soll die eingleisige Truderinger Spange zwischen Trudering und Daglfing ein zweites Gleis bekommen. Damit können mehr Züge in höherem Tempo - in den Kurven 80 Stundenkilometer, auf der Spange 100 - den Bahnknoten passieren.

Im Norden schließt sich ein weiteres Vorhaben an, der viergleisige Ausbau von Daglfing bis Johanneskirchen. Dort werden die Gleise von Güterzügen und Flughafenlinie S 8 entflochten. Derzeit untersucht die Bahn, ob die Schienen oberirdisch verlaufen sollen, ob sie in einen Trog oder - wie von den lärmgeplagten Anwohnern seit Jahrzehnten ersehnt - in einen Tunnel verlegt werden. Die Stadt München hat sich zuletzt 2016 bereit erklärt, die Extra-Kosten zu schultern. Sie plant östlich der Bahnlinie ein Wohnquartier für 10 000 bis 30 000 Menschen, die Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme (SEM) Nordost, und will die trennende Bahnschneise loswerden.

Mit öffentlichen Informationen über den viergleisigen Ausbau und die Untersuchung der drei denkbaren Grobvarianten - oberirdische Strecke, Trog, Tunnel - hält sich die Bahn zurück. Der Bezirksausschuss (BA) Bogenhausen wurde zwar zweimal über die Bewertungskriterien, deren Gewichtung und das Auswahlverfahren informiert, an dem ein Wissenschaftler der Universität Innsbruck mitarbeitet. Auf Wunsch der Bahn-Vertreter fanden diese Sitzungen aber nichtöffentlich statt.

"Was die unter Öffentlichkeitsbeteiligung verstehen, weiß ich nicht", kommentierte das ein BA-Mitglied. Bekannt wurde, dass die Zahl der Lkw-Fahrten und die Menge des anfallenden Erdaushubs zu den Bewertungskriterien gehören; dass die Bahn sich offenkundig schwer tut, Bürgerbeteiligung zu einem messbaren Faktor in ihrem Kriterienkatalog zu machen; und dass die Sache sich hinzieht.

Ursprünglich hatte die DB Netz AG im vierten Quartal 2019 ein Ergebnis der Variantenauswahl vorlegen wollen. So steht es in einem Brief an den Bezirksausschuss von diesem Mai. Jetzt werden die Bogenhauser erst im Frühjahr 2020 erfahren, welcher Streckenführung die Bahn den Vorzug gibt. "Die Planungen sind noch nicht so weit gediehen", begründet der Bahn-Sprecher die Verzögerung. "Wir werden sie erst im März/April abschließen." Danach stellt die Bahn ihrem Auftraggeber, dem Bundesverkehrsministerium, ihre Vorzugsvariante vor, dann entscheidet der Bundestag, und erst wenn dann feststeht, was der Bund finanziert, können die Bogenhauser ihre Meinung sagen. "Sobald die Planungen vorliegen", erklärt der Bahn-Sprecher, "werden wir einen Dialog anbieten". Ein Trostpflaster hält er bereit: "Sollte die Vorzugsvariante keinen Tunnel beinhalten, so werden wir der Landeshauptstadt vorschlagen, uns mit der Planung einer Tunnel-Variante zu beauftragen."

Alles auf die Schiene: Die Bahn baut den Münchner Osten zur Drehscheibe des Güterverkehrs aus. (Foto: Holger Weitzel/Mauritius)

Das heißt, dass die Stadt dann tatsächlich allein für den Tunnel aufkommen würde. Nach Zahlen von 2018 liegen die Kosten dafür bei 2,3 Milliarden Euro, die Schätzung für die oberirdische Variante kommt auf 757 Millionen. Kritiker halten das Prozedere für einen Schachzug zum Nachteil der Stadt: Die Bahn sei angesichts der Güterzug-Zahlen verpflichtet, für adäquaten Lärmschutz zu sorgen und entledige sich dieser Aufgabe, indem sie die hohen Kosten für den Tunnel auf die Stadt abwälze.

Zu diesen Kritikern gehören die Mitglieder des Vereins Bürgerinitiative für Bahntunnel von Zamdorf bis Johanneskirchen. Weil die Bahn-Vertreter beharrlich schweigen, hat der Verein Anfang Oktober einen Informationsabend zum viergleisigen Ausbau organisiert und dafür Veröffentlichungen von Bahn und Bundesverkehrsministerium ausgewertet. Nach diesen Recherchen sind die 226 Güterzüge pro Tag im Jahr 2030, die der Bahn-Sprecher bestätigt, auf der Strecke durch Bogenhausen längst überholt. Die Zahl stammt aus dem Bundesverkehrswegeplan von 2016, und darin sei noch nicht einmal der Verkehrszuwachs durch den Brenner-Basistunnel berücksichtigt, erklärt der Verein, geschweige denn weitere Entwicklungen wie Österreichs Einschränkung des Lkw-Transits.

Die Tunnel-Befürworter legen daher die Trimode-Studie des Verkehrsministeriums für 2050 zugrunde. Deren weitestgehendes Szenario rechnet mit 459 Güterzügen pro Tag auf dem Brennerzulauf zwischen Rosenheim und Kufstein. Die meisten davon würden durch den Münchner Osten fahren, sagte der Vereinsvorsitzende Klaus-Walter Kröll beim Infoabend. Zusätzlich plane die Bahn, Ostbahnhof und Südring vom Güterverkehr zu entlasten, sodass 115 weitere Güterzüge via Daglfing und Johanneskirchen den Nordring ansteuern würden. Macht zusammen mit den 83 Zügen, die heute schon unterwegs sind, knapp 660 pro Tag. Der Bahn-Sprecher verweist ebenfalls auf die Trimode-Studie, beharrt aber darauf, dass die Zahlen des Bundesverkehrswegeplans von 2016 noch keineswegs überholt seien. "Der Bund aktualisiert seine Prognosen alle fünf Jahre."

Was die Bogenhauser vom viergleisigen Ausbau halten, können sie bei der Bürgerversammlung an diesem Donnerstag sagen. Beginn ist um 19 Uhr in der Turnhalle des Wilhelm-Hausenstein-Gymnasiums, Elektrastraße 61.

© SZ vom 24.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: