Zeitumstellung:"Den Einfluss der Uhr zurückdrehen"

Zeitumstellung

In der Nacht auf Sonntag werden die Uhren um eine Stunde zurückgedreht.

(Foto: Ralf Hirschberger/dpa)

Karlheinz Geißler sieht nicht nur die Zeitumstellung kritisch, sondern den Umgang mit der Uhr insgesamt. Der Zeitforscher erklärt, wie man von der "Uhrzeit zur Naturzeit" kommt und wieso er Schulen Gleitzeit empfiehlt.

Interview von Nora Ederer

Karlheinz Geißler forscht und publiziert zum Thema Zeit. Der Ökonom war bis 2006 Professor für Wirtschaftspädagogik an der Universität der Bundeswehr in Neubiberg. Zuletzt erschien von ihm das Buch "Die Uhr kann gehen: Das Ende der Gehorsamkeitskultur" im Hirzel Verlag.

SZ: Herr Geißler, am Sonntag wird die Uhr eine Stunde zurückgestellt. Was halten Sie davon?

Karlheinz Geißler: Viel Lärm um nichts. Die Umstellung ist ein Nullereignis. Es wird auch nicht die Zeit umgestellt, sondern die Uhr; sie wird für eine Stunde angehalten. Aber das betrifft sowieso nur die Leute, die sich nach der Uhr richten. Alle anderen Leute betrifft es nicht.

Zeitumstellung: Zeitforscher Karlheinz Geißler

Zeitforscher Karlheinz Geißler

(Foto: timesandmore)

Die meisten Menschen richten sich heutzutage aber nach der Uhr.

Die Umstellung ist mitten in der Nacht, das merken die Leute doch gar nicht - besonders wenn sie noch eine Stunde geschenkt bekommen wie jetzt. Das wollen die Leute doch eigentlich, sie beschweren sich doch andauernd, dass sie zu wenig Zeit haben.

Trotzdem scheinen wir uns schlecht mit der Umstellung anfreunden zu können. Letztes Jahr durften EU-Bürger darüber abstimmen, ob sie abgeschafft werden soll und mehr als 80 Prozent der Teilnehmenden wünschten eine dauerhafte Sommerzeit.

Der menschliche Körper ist ein rhythmisches Instrument. Er repräsentiert Zeit, indem er mir anzeigt, wann ich aufnahmefähig und aktiv bin und wann müde. Die Uhr ist hingegen ein Taktinstrument und die Umstellung auf die Winterzeit bringt uns sozusagen aus dem Takt. Man könnte sie aber auch als eine Chance sehen, um wieder in den natürlichen Rhythmus zu kommen, den wir in den vielen Jahren, in denen wir nach der Uhr gelebt haben, verlernt haben.

Auf Ihrer Webseite steht, dass Sie seit 30 Jahren ohne Uhr leben. Wie stellen Sie das an?

Ich lebe nicht komplett ohne Uhr, aber ich trage keine Uhr. Das funktioniert, weil es um mich herum schon ganz viele Uhren gibt. Komplett ohne Uhr kann man in unserer veruhrzeitlichten Gesellschaft heute nicht leben, aber ich versuche mich in meinem Alltag so wenig wie möglich nach ihr zu richten.

Denken Sie, das könnte bei allen Menschen klappen?

Nein, aber bei vielen. Und die Menschen, die in Betrieben arbeiten, in denen andere über ihre Zeit entscheiden, können in Momenten, in denen sie selbst über ihre Zeit verfügen, bewusst den Einfluss der Uhrzeit zurückdrehen. Wenn ich von der Uhrzeit zur Naturzeit komme - also zu einem Rhythmus, der von meiner eigenen inneren Natur ausgeht oder der äußerlichen Natur - dann ist die Chance am größten, dass ich zufrieden bin.

Wieso lassen sich Pünktlichkeit und ein gutes Leben so schwer miteinander vereinbaren?

Der Körper zeigt Zeitqualitäten an; er zeigt mir an, wann ich aufmerksam bin und viel arbeiten kann und wann ich müde bin. Das kann die Uhr nicht! Doch wenn ich zeitzufrieden leben will, dann richte ich mich am besten nach meinem Körper oder der Natur draußen, die mir zum Beispiel sagt: Heute ist Sonne, heute gehe ich sparzieren.

Sie sind Mitgründer der Deutschen Gesellschaft für Zeitpolitik. Was ist Zeitpolitik? Und wieso braucht es dafür einen Verein?

Zeitpolitik geht davon aus, dass alle politischen Entscheidungen auf unser Zeitverhalten Einfluss haben - und das deutlich zu machen, das ist unsere Aufgabe. Gleichzeitig versuchen wir politische Entscheidungen so zu steuern, dass sie den Spielraum, um eigenständig über Zeit zu entscheiden, vergrößern. Zum Beispiel waren wir bei der Förderung der Elternzeit aktiv. Wir haben die Regierung beraten, wie man Elternzeit am besten organisiert, und argumentiert, dass es sinnvoll ist, Menschen für die Elternarbeit in einem gewissen Maße zu bezahlen und freizustellen.

Wahrscheinlich tun wir uns mit dem Nichtstun auch gerade deshalb so schwer, weil wir so fokussiert darauf sind, Zeit mit Geld zu verrechnen.

Zeit können Sie nur mit Geld verrechnen, wenn Sie sich nach der Uhrzeit organisieren. Und erst seitdem wir das tun, funktioniert es. Die Uhr ist ein Grund für unseren Güter- und Geldwohlstand. Das haben wir über die Uhrzeit erreicht; wir sind reicher geworden - aber auch ärmer an Zeit. Doch es ist wichtig, dass es in unserem Leben nicht nur Zeiten gibt, die wir mit Geld verrechnen. Denn die Zeiten, die wir nicht mit Geld verrechnen, das sind einfach die angenehmeren, wertvolleren und besseren im Leben.

Würden Sie denn dafür plädieren, die Uhr komplett abzuschaffen?

Nicht generell abschaffen, aber ihren Einfluss zurückdrehen. Das heißt viele Dinge nicht nach der Uhr organisieren.

Zum Beispiel?

Die Schule. Man könnte in der Schule Gleitzeit einführen - wie das viele Betriebe auch schon machen. Man könnte anbieten, dass die Kinder morgens erst in die Schule kommen, wenn sie lernfähig sind; aber um neun Uhr muss jeder da sein. Zwischen sieben und neun kann jedes Kind kommen, wenn es sich ausgeschlafen hat und lernfähig ist. Das ist überhaupt kein Problem, das so zu organisieren.

Wie würde Sie das denn organisieren?

Na, der Lehrer arbeitet mit denen, die da sind. In der Arbeitswelt können viele entscheiden, ab wann sie im Büro sitzen - und das kann man den Kindern doch auch zumuten.

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