Urheberrechtsstreit in der Architektur:"Zerstörtes Werk"

Garching Campus

Die übermannshohen, fest verbauten Bänke verstellen die Sichtachsen und konterkarieren die Architektur.

(Foto: x-change)

Um die neue Mensa der TU München, dem letzten Werk des Architekten Andreas Meck, hat sich ein so bizarrer wie auch lehrreicher Streit entzündet.

Von Gerhard Matzig

Erst kommt das Fressen, dann die Moral. Das behauptet Brecht in der "Dreigroschenoper". So gesehen hat der Dramatiker nicht unrecht: An diesem herbstherrlichen Tag leben die Studierenden in der neuen Mensa am Campus Garching eher vom "mediterranen Nudelauflauf" - als von kalorienreduzierter Moral. Die bietet das Studentenwerk, das hier im Norden Münchens seit der Eröffnung im September täglich einige tausend Essen ausgibt, nicht einmal als Lightversion an.

Muss auch nicht sein. Garching ist schon längst kein Jägerzaunbiotop mehr, gelegen im Dunst zwischen Ikea, Flughafen, Ackerland und jener Freisinger Landstraße, wo sich der auch schon rentennahen Spider Murphy Gang zufolge dies ereignet: "und draußen vor der großen Stadt steh'n die Nutten sich die Füße platt".

In Wahrheit ist der Forschungscampus Garching, der sich auf Betreiben der insofern visionären Technischen Universität München (TUM) rund um das in den Fünfzigerjahren eröffnete "Atom-Ei" entwickelt hat, so etwas wie die deutsche Antwort auf die Technologie-Imperien anderswo. Garching, wo sich das Leibniz Rechenzentrum befindet, wo es Institute für Plasmaphysik oder Quantenoptik gibt, wo der Hyperloop nicht mit einem Oktoberfestspektakel verwechselt wird, ist kein Vorort von München - sondern ein Zentrum der Zukunft. In der Welt der Wissenschaft ist es so: München wird bald ein jägerzaunumstandener Vorort von Garching sein.

Nur dass man der Garchinger Zukunft ihren Futurismus nicht ansieht. Viele der wie nach einem Anfall von Würfelhusten auswurfartig herumliegenden Institutsgehäuse, scheinbar befreit von stadtplanerischen Vorgaben oder architektonischer Ambition, lassen die Zukunft alt aussehen. Doch mit der neuen, zentral bedeutsamen Mensa nach einem preisgekrönten Entwurf von Meck Architekten (München) schien sich die fatale Beliebigkeit der Campusarchitektur, die sich immer mehr zu einer baukulturellen No-go-Area entwickelte, zum Guten zu wenden. So schien es.

Nach dreijähriger Bauzeit bietet jetzt der zweigeschossige, kubisch klar organisierte und einladend gestaltete Bau, der als größte Selbstbedienungsmensa Deutschlands gilt und 44,5 Millionen Euro gekostet hat (statt ursprünglich veranschlagter 29,9 Millionen), Platz für 1750 Personen. Raum ist aber auch entstanden für einen bislang in aller Stille und zum Teil auch in aller Scheinheiligkeit ausgefochtenen Streit, der einen erstens deshalb so traurig stimmt, weil er Brecht zu bestätigen scheint: Die Moral, sofern man darunter Handlungsmuster auch der Baukultur versteht, spielt hier keine Rolle. Zweitens aber ist der Streit deshalb bestürzend, weil er sich am letzten Werk des kürzlich im Alter von nur 59 Jahren gestorbenen Münchner Architekten Andreas Meck entzündet.

Meck, der in Deutschland zu den vorbildlichen Architekten zählte und dessen Raumschöpfungen weit über Bayern hinaus bekannt sind, kann sich nicht mehr wehren gegen die instrumentierende Umarmung durch seinen letzten Bauherren. Die Wahrheit ist jedoch: Andreas Meck hat sich von seinem letzten Bau im heftigen Streit distanziert. Die Mensa betrachtete er am Ende als "zerstörtes Werk".

Es ist am Ende der öffentliche Bauherr, der sich als Problembauherr erweist

Der Grund dafür, nämlich das nicht nur urheberrechtlich anstößige, sondern baukulturell amateurhafte (und übrigens auch für die Kostenexplosion verantwortliche) Verhalten der TU als Auftraggeberin (angeblich ja ein exzellentes Bildungswesen, das auch eine angesehene Fakultät für Architektur unterhält und der Baukultur auf besondere Weise verpflichtet sein sollte), ist auch deshalb bemerkenswert jenseits von Stil- oder Geschmacksfragen, weil der zugrunde liegende Streit so typisch ist für das Bauen. Es ließe sich daraus lernen. Und womöglich bestünde ja auch darin eine Art Vermächtnis.

Das Requiem für Andreas Meck fand am 12. September statt. In der ebenfalls von ihm entworfenen Kirche in Poing, für die er zuletzt noch den wichtigsten Architekturpreis Deutschlands erhalten hatte. Eine absurde Koinzidenz: Genau an diesem Tag war in Münchner Blättern, auch in der SZ, über die tags zuvor, also am 11. September, feierlich eröffnete Mensa in Garching zu lesen. Studenten sprachen begeistert vom neuen "Speisepalast", Wissenschaftsminister Bernd Sibler rühmte die Mensa der Exzellenzuni als "exzellent", was sonst, und in einer letzten Amtshandlung verglich der scheidende TU-Präsident Wolfgang Herrmann die profane Mensa gar mit einem "Sakralbau".

Insbesondere wurde auch Andreas Meck gewürdigt. Man war stolz darauf, sein letztes Werk der Öffentlichkeit überantworten zu dürfen. Und da der Architekt tot war, blieb dies alles so stehen: Freude, Stolz, Lob, Tusch, und Eigenlob, Tusch, Tusch - und ein architektonisches Andenken zur Ehre des Verstorbenen. Der hat diese Heuchelei wahrlich nicht verdient.

Es existiert ein Briefwechsel zwischen Meck Architekten und der TU, der schon im Januar beginnt. Unterschrieben von Andreas Meck und Axel Frühauf, der als Büropartner das Mecksche Atelier weiterführt, fordern die Architekten, die einen europaweiten Wettbewerb für sich entscheiden konnten und so namhafte Kollegen wie Henning Larsen Architects oder Zaha Hadid Studio hinter sich ließen, den "Rückbau konstruktiver Einbauten".

Diese sind das Ergebnis des nicht an Meck Architekten, sondern an den Münchner Innenarchitekten Andreas A. P. Anetseder vergebenen Möblierungsauftrags. "Unsere preisgekrönte Vorstellung eines offenen Gebäudes", schreiben die Architekten über die Innengestaltung, "wurde durch die raumzerteilende Wirkung dieser Einbauten zerstört." Und weiter: "Transparenz und Leichtigkeit und der vom Preisgericht hervorgehobene ,uneingeschränkte Ausblick im Sitzen' wurden durch zum Teil mannshohe holzstapelähnliche Bankformationen zunichte gemacht." Auch werde der "Raumklang aus Materialien, Farbe und naturbelassenen Oberflächen von Holz, Terrazzo und Beton durch den Einbau beliebig bunter Glastrennwände derart verfälscht, dass die atmosphärische Qualität des Bauwerks zerstört ist".

Lapidar und wie genervt antwortet die TU monatelang später so darauf: "Sitzbänke mit hohen Rücklehnen (...) beeinträchtigen in keiner Weise die Offenheit der Räume, sondern verstärken diese vielmehr." Abschließend: "Wir weisen Ihre Aufforderung zum ,Rückbau' als unberechtigt zurück." Mit freundlichen Grüßen, Albert Berger, Kanzler. Florian Loibl, der zuständig ist für die TU-Immobilien in Freising und Garching, sagt am Telefon dazu: "Heute sind wir natürlich betroffen von den Vorwürfen, aber da wir auf unser Schreiben keine Antwort mehr bekamen, war für uns die Sache erledigt." Erledigt, was soll man sagen? Der Architekt, schwer erkrankt, hatte für urheberrechtliche Auseinandersetzungen wohl kaum mehr Energien frei. Wenig später starb er. Und die TU feierte dessen "letztes Werk".

Es ist nicht ungewöhnlich, dass Architekten nur das Gebäude als Rahmen verantworten sollen. Es ist leider sogar üblich geworden, dass die Raum-Architekten von der Innenraumgestaltung fern gehalten werden. Auch in diesem Fall wurde ein Innenarchitekt, das durchaus respektable Büro Anetseder (München), hinzugezogen. Wer den freundlichen Innenarchitekten trifft und wer auch mit Axel Frühauf spricht, der begreift allerdings sehr schnell, dass weder den Architekten noch dem Innenarchitekten die Verantwortung für das nun groteske Werk zuzuschieben ist. Es ist, einmal mehr in Deutschland, dieser Bauskandalhochburg von Pfusch, Überteuerung, Fristenschlamperei und baukultureller Belanglosigkeit, am Ende der öffentliche Bauherr, der sich als öffentlicher Problembauherr erweist.

Wer die Mensa besucht und sogleich von etlichen plastikpopbunten Dekotafeln und übermannshohen Holzbänken in jodelhaft zugespitzter Landliebelounge-Anmutung an der Durchsicht von Fenstern und Räumen gehindert wird, der kommt nicht ansatzweise auf die Idee, dass der Kanzler diese Szenerie schon einmal mit eigenen Augen gesehen haben könnte. Die wunderbar ausdrucksstarke Betondecke und der elegante Treppenaufgang, den man eher beschreitet als hochgeht, müssen sich zutiefst befremdet fühlen inmitten einer Innenarchitektur als dialogfreies Kontrastprogramm zur Architektur.

Es gibt ähnliche Fälle: In Leipzig wurde Zaha Hadid beim Neubau des BMW-Werks daran gehindert, mit Hilfe der Innenraumgestaltung die Architektur zu vollenden. In Berlin wollte Norman Foster klagen, weil er sein Urheberrecht am umgestalteten Reichstag verletzt sah. Und in München verzweifeln Jacques Herzog und Pierre de Meuron an all den Dingen, mit denen die Betreiber der "Fünf Höfe" die Architektur in verhübschender Absicht ruinieren. Architektur ist auch, ja vor allem der Dialog von innen und außen. Denn das Ganze ist mehr als die Summer seiner Teile.

Baukunst ist nur dann Baukunst, wenn sich das Innen mit dem Außen zu einem Ganzen fügt

Kein Wunder, dass Mies van der Rohe, der Auftraggeber einmal als "Kinder" beschrieb, die Möbel am liebsten festgeschraubt hätte. Kein Wunder auch, dass Hans Kollhoff einmal einen furiosen Wutbrief verfasste, nachdem die Frau des Bauherrn per Handyfoto ein Sofa dokumentierte, das vom Architekten eher als Anschlag denn als Sitzgelegenheit interpretiert wurde. Dem Klischee zufolge erweisen sich Architekten gern als Geschmacksdiktatoren. Wer Andreas Meck kannte, der weiß, dass ihm eine solche Wahrnehmung nicht gerecht wird. Er war nicht nur ein begnadeter Architekt, sondern auch ein Menschenfreund. Er fühlt sich seinen Bauherren und der baukulturellen Qualität verpflichtet.

Doch zugleich ist Baukunst nur dann Baukunst, wenn sich darin das Kleine mit dem Großen, das Innen mit dem Außen zu einem Ganzen fügen. Manchen Bauten sieht man die Unstimmigkeiten und Querelen an. Und manchmal kommt auch jede Paartherapie zu spät: Warum die Büros Anetseder und Meck über Technisches hinaus nicht zur Zusammenarbeit motiviert wurden, bleibt ein Geheimnis der TU.

Dabei ist Anetseder kaum ein Vorwurf zu machen; schließlich hatte er den Auftrag, die Mensa zu "möblieren". Das hat er getan - und offenbar gefällt das Ergebnis, das mit Geschmacksfragen (Farbe, Form, Material) nichts, mit Aspekten des räumlichen Konzeptes aber alles zu tun hat, jedenfalls dem Kanzler. Und einer TU, die sich als beratungsresistent erweist.

Sie hat das letzte Werk von Andreas Meck in einer Mischung aus Arroganz und Ignoranz wenn nicht zerstört, so doch ähnlich beschädigt wie den eigenen Ruf vorgeblicher Exzellenz.

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