Mieterstrom:Aus dem Schatten

Mieterstrom: Licht und Schatten: In Deutschland wird immer mehr Solarstrom erzeugt. Davon profitieren aber vor allem die Eigentümer.

Licht und Schatten: In Deutschland wird immer mehr Solarstrom erzeugt. Davon profitieren aber vor allem die Eigentümer.

(Foto: mauritius images)

Solarenergie vom Hausdach? Gibt es für Mieter meist nicht. Nur sehr wenige Vermieter versorgen ihre Bewohner bislang mit selbst erzeugtem Sonnenstrom. Das könnte sich bald ändern.

Von Ralph Diermann

Gleich um die Ecke vom Berliner Nettelbeckplatz, mitten im Stadtteil Wedding gelegen, hat die örtliche Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892 in den 1970er-Jahren ein sechsstöckiges Wohnhaus errichtet. Mit dem Anspruch, den Mietern etwas Besonderes zu bieten: Große Gemeinschaftsflächen im Haus laden die Bewohner zur Begegnung ein. Vor einigen Jahren musste das Gebäude umfassend saniert werden. Anlass für die Genossenschaft, den Mietern wieder ein außergewöhnliches Angebot zu machen: Sie können jetzt Strom beziehen, der auf dem Dach ihres Hauses erzeugt wird. Dort wurde im Zuge der Sanierung eine 52-Kilowatt-Solaranlage installiert. Der Sonnenstrom fließt nicht in das öffentliche Netz, sondern in die Steckdosen der Haushalte. "Unsere Genossenschaft gibt es seit mehr als 120 Jahren. Nachhaltigkeit ist für uns also seit jeher ein großes Thema. Da ist die Versorgung der Bewohner mit Solarstrom, der vor Ort produziert wird, nur konsequent", sagt Vorstandsmitglied Dirk Lönnecker.

"Mieterstrom" heißt dieses Modell. Das Prinzip: Die Eigentümer von Mehrparteienhäusern oder von ihnen beauftragte Dienstleister installieren eine Photovoltaikanlage auf dem Dach oder ein Blockheizkraftwerk im Technikraum. Den erzeugten Strom verkaufen sie an die Mieter. Produzieren die Anlagen nicht genug Energie, um den Bedarf zu decken, füllen sie die Lücke mit Strom aus dem Netz. Das geschieht automatisch, sodass die Haushalte stets sicher versorgt sind. Wie bei einem Standardstromtarif erhalten die Mieter nur eine Rechnung. Ob sie das Mieterstromangebot annehmen oder doch einen konventionellen Versorger wählen, bleibt ihnen selbst überlassen.

Gerade auf Mietshäusern wäre viel Platz für neue Solaranlagen

Projekte wie das im Wedding tragen dazu bei, die Energiewende in die Städte zu bringen. Dort wird bislang kaum grüner Strom erzeugt -für Windräder fehlt es an Platz, für Photovoltaikanlagen an Interesse der Wohnungsbaugesellschaften. Dabei wäre es für viele Mieter durchaus attraktiv, Solarstrom vom Hausdach zu beziehen, meint Thomas Engelke, Leiter des Teams Energie und Bauen des Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). "Mieterstrom bietet die Möglichkeit, einen relevanten Anteil der 22 Millionen Haushalte in Mehrfamilienhäusern in Deutschland direkt von der Energiewende profitieren zu lassen", erklärt er. Eigenheimbesitzer tun das schon seit vielen Jahren: Mit einer Solaranlage auf dem Dach können sie sich zu niedrigen Kosten mit hausgemachtem Sonnenstrom versorgen. "Mit Mieterstrom-Modellen kommen die Vorteile der Solarenergie auch Mietern zugute", erklärt Engelke. Das wiederum verbessert das Image der Wohnungsbaugesellschaften, was ihnen auf Märkten mit einem Überangebot an Wohnraum einen Vorteil verschafft.

Vor gut zwei Jahren hat die Bundesregierung das sogenannte Mieterstromgesetz verabschiedet, das einen rechtlichen Rahmen für das Modell definiert und eine Förderung festschreibt. Das Gesetz sollte die Wohnungswirtschaft ermuntern, Mieterstromprojekte umzusetzen. Damit ist die Regierung jedoch krachend gescheitert, wie eine vor wenigen Wochen veröffentlichte Bestandsaufnahme des Bundeswirtschaftsministeriums zeigt. Bis Juli 2019 waren danach solare Mieterstromanlagen mit einer Leistung von zusammen gerade einmal 14 Megawatt installiert. Das entspricht etwa der Leistung von fünf Windrädern. Die Fördermittel hätten jedoch für 500 Megawatt pro Jahr gereicht. Die Bundesregierung hat deshalb zugesagt, noch in diesem Herbst eine Novelle des Mieterstromgesetzes vorzulegen.

Handlungsbedarf sieht die Wohnungswirtschaft unter anderem bei der steuerlichen Praxis. So kritisiert der Dachverband GdW, dass Wohnungsunternehmen mit Mieterstromprojekten riskieren, für ihre gesamten Einnahmen, also auch ihr Kerngeschäft der Vermietung, gewerbesteuerpflichtig zu werden. "Solange die Stromerzeugung vor Ort und der direkte Verbrauch in den Quartieren durch die Mieter für die Wohnungsunternehmen den Verlust der Gewerbesteuerbefreiung für die Vermietungstätigkeit bedeutet, bleibt die urbane Energiewende aus", prophezeit GdW-Präsident Axel Gedaschko. Er verlangt deshalb, das Gewerbesteuergesetz so zu ändern, dass der Betrieb von Photovoltaik-Anlagen auf Hausdächern grundsätzlich genauso behandelt wird wie der von Heizungsanlagen.

An dieser Gewerbesteuerbürde wäre das Mieterstromvorhaben der Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892 beinahe gescheitert. "Steuerlich gesehen ist das Thema Mieterstrom eine echte Schlangengrube", sagt Vorstand Lönnecker. Gelöst hat die Genossenschaft das Problem schließlich dadurch, dass sie mit dem Berliner Unternehmen Solarimo einen Partner mit an Bord geholt hat. Solarimo tritt den Mietern gegenüber als Vertragspartner auf, kümmert sich um alle energiewirtschaftlichen Aufgaben und kauft den zusätzlich benötigten Strom ein.

Mit weiteren Anbietern wie Polarstern, Entega, Discovergy, Naturstrom und anderen gibt es eine Reihe von Dienstleistern, die der Wohnungswirtschaft aus der Steuerklemme helfen könnten.

Ob ein Projekt gelingt, hängt auch vom Image des Vermieters ab

Warum kommt das Mieterstrom-Modell trotzdem nicht aus seiner Nische? Vor allem, weil die finanziellen Bedingungen unzureichend sind, meint Harald Will, Chef des Beratungsunternehmens Urbane Energie. "Die Anbieter sind gezwungen, sehr knapp zu kalkulieren, weil die Tarife laut Mieterstromgesetz um mindestens zehn Prozent unter denen des örtlichen Grundversorgers liegen müssen. Das macht Mieterstromprojekte vielerorts unattraktiv", sagt Will. Besonders falle hier ins Gewicht, dass auf den Mieterstrom die volle EEG-Umlage von derzeit 6,4 Cent pro Kilowattstunde zu zahlen ist. Anders als bei Immobilienbesitzern, die sich selbst mit Solarstrom versorgen - sie sind ganz oder teilweise von der Umlage befreit. Im Gegenzug sieht das Gesetz zwar eine Förderung für den Mieterstrom vor. Die beläuft sich derzeit aber nur auf gut einen Cent pro Kilowattstunde.

Naturstrom-Vorstand Tim Meyer verweist zudem auf den Aufwand, der dadurch entsteht, dass Anbieter mit jedem einzelnen der bundesweit mehr als 800 Netzbetreiber aushandeln müssen, wie Messung und Abrechnung erfolgen sollen. Er fordert daher vom Gesetzgeber, klare Spielregeln mit verlässlichen Fristen für den Netzzugang und die Abrechnung mit den Netzbetreibern vorzugeben. "Für normale Haushaltsstromtarife oder die normale Photovoltaikanlage existieren solche Vorgaben seit Jahren und haben für entsprechende Kostensenkungen und Wettbewerb gesorgt", erklärt Meyer. Auch die aufwendigen Melde- und Nachweispflichten sowie die nötigen Investitionen in die Messtechnik sorgten für zusätzliche Kosten. Meyer verlangt deshalb, die Förderung so zu erhöhen, dass diese Mehrkosten gedeckt werden. "Wir gehen davon aus, dass vier Cent pro Kilowattstunde ausreichen würden", so der Naturstrom-Vorstand. Dies entspräche ziemlich genau der Entlastung bei der EEG-Umlage, die denjenigen Gebäudeeigentümern gewährt wird, die sich eine mehr als zehn Kilowatt große Photovoltaikanlage für den Eigenbedarf auf ihr Dach montiert haben. "Die Nutzung von Solarstrom im Mehrfamilienhaus sollte gleichgestellt werden mit der Nutzung von Solarstrom im Eigenheim", erklärt Meyer.

Ob ein Projekt gelingt, hängt auch vom Image des Vermieters ab

Ob mehr Förderung und weniger Bürokratie dem Modell zum Durchbruch verhelfen werden? Bessere rechtliche und finanzielle Bedingungen sind notwendig, reichen allein aber nicht aus. Denn das Modell kommt für Wohnungsunternehmen nur dann in Frage, wenn sie damit rechnen können, dass sich eine große Zahl der Mieter für das Angebot entscheiden wird. Ob das der Fall ist, dürfte zum großen Teil vom Vertrauen abhängen, das der jeweilige Vermieter bei den Bewohnern genießt. "Manche Vermieter haben keinen großen Kredit bei ihren Mietern. Da sorgen Mieterstromangebote eher für Skepsis", sagt Berater Will. "Ist das Verhältnis dagegen gut, zeigt die Erfahrung, dass sich sehr viele oder gar alle Mieter davon überzeugen lassen."

Wer sich als Mieter mit lokal erzeugtem Solarstrom versorgen will, kann das jedoch auch unabhängig von Mieterstromangeboten tun - sofern es in ihrer Nachbarschaft andere Anlagenbetreiber gibt, die Strom verkaufen wollen. Möglich machen das neue Geschäftsmodelle, bei denen Verbraucher ihren Strom direkt bei Erzeugern einkaufen können, ohne dass ein Versorger involviert ist. Die Haushalte können sich damit gezielt einen Lieferanten aussuchen, etwa den Handwerksbetrieb um die Ecke mit einer großen Photovoltaikanlage auf dem Dach oder auch eine Energiegenossenschaft, die vor Ort einen Windpark betreibt. Dabei helfen Unternehmen wie Enyway oder Lition, die Plattformen für den Handel bereitstellen und den Produzenten rechtliche und administrative Aufgaben abnehmen. Wenn die Erneuerbare-Energien-Anlagen nicht liefern können, springen die Dienstleister ein, indem sie andernorts Ökostrom zukaufen. So ist gewährleistet, dass die Kunden nicht im Dunkeln sitzen, wenn die Sonne untergeht.

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