Performance:Die Kunst ist politisch

Congo / Faustin Linyekula

Kolonialen Grausamkeiten hält Faustin Linyekula (links) in „Congo“ die Kraft der Kunst entgegen.

(Foto: Agathe Poupeney)

Faustin Linyekula und Nástio Mosquito schaffen Räume der Verständigung

Von Thomas Jordan

"Der Körper", sagt Faustin Linyekula, "ist ein uraltes Ding." Wo die Kraft der Worte nicht ausreicht, kann die Energie des Leibes dabei helfen, die ganze Geschichte zu erzählen. "Was macht es mit Dir, wenn mein Körper anfängt, zu vibrieren?", fragt der Tänzer und Choreograf. Beim "Spielart"-Festival ist Linyekula, der 1975 in Zaire, dem heutigen Kongo, geboren wurde, mit den Produktionen "Congo" und "Banataba" vertreten. Linyekula selbst sieht sich dabei als Geschichtenerzähler. Ein Erzähler allerdings, der Bewegungen, Tänze, Lieder und Texte aufbietet, um seine Geschichten zu erzählen. Und zu erzählen hat dieser Mann viel.

Viele Jahre, sagt Linyekula, habe er sich nicht so recht getraut, die koloniale Vergangenheit seines Heimatlandes künstlerisch aufzuarbeiten. Er wollte nicht, dass es so aussieht, als nehme er die kolonialistischen Verbrechen als Vorwand, um von eigenen Fehlern abzulenken. Inzwischen hat Linyekula seine Meinung geändert und ist sich sicher: "Es ist dringend nötig, Räume zu schaffen, in denen wir uns gegenseitig zuhören." Diese Räume der Verständigung über die gemeinsame Vergangenheit von Afrika, Europa und den USA zu schaffen, darum geht es in seinen Arbeiten.

Die Performance "Congo" greift dazu auf einen gleichnamigen Text von Éric Vuillard zurück. Darin schildert der französische Autor die grausame Praxis der "severed hands" unter dem belgischen König Leopold II. Ende des 19. Jahrhunderts. Im Nordwesten des Kongo mussten Einheimische damals wilden Kautschuk in den Wäldern ernten. Denjenigen Arbeitern, die das Erntesoll nicht erreichten, konnte zur Strafe die Hand amputiert werden. Linyekula hält diesen schwer in Worte zu fassenden Gewaltexzessen die Musik entgegen: In seiner Performance singt Pasco Losanganya, die selbst aus dieser Region des Kongo stammt, traditionelle Lieder aus dem Kautschuk-Erntegebiet, während Kamono Maonda Vuillard rezitiert und Linyekula seinen Körper dazu sprechen lässt.

Auch in der Performance "Banataba" spielt ein verwundeter Körper, allerdings der einer Statue, eine wesentliche Rolle. Er bildet den Ausgangspunkt für eine Reise, die Afrika, die USA und Europa verbindet. Bei einem Besuch in den Lagerräumen des Metropolitan Museums in New York entdeckte Faustin Linyekula eine 83 Zentimeter hohe, schwarz und weiß pigmentierte Statue aus dem Kongo, der ein Arm fehlt. "Banataba" erzählt davon, wie der Tänzer zusammen mit seiner Mutter nach Jahrzehnten der Abwesenheit wieder in deren kongolesisches Heimatdorf reist. Dort, in "Banataba", ließ er von einem lokalen Künstler eine Kopie des traditionellen Artefakts anfertigen und taucht damit ein in die Vergangenheit dieser Region.

Mithilfe der Replik dieser Statue, wie sie früher fester Bestandteil von Alltagsleben und Zeremonien auf den Dorfplätzen war, geht der Tänzer der Frage nach, wie die Kultur dieser kongolesischen Region vor dem Einbruch der europäischen Zivilisation beschaffen war. "Es geht darum, sich seine Identität wie ein Puzzle zusammenzusetzen", sagt Linyekula, der selbst in Frankreich und England gelebt hat.

Wo der Tänzer und Choreograf Linyekula auf die ästhetische Erkundung der Vergangenheit baut, setzt Nástio Mosquito auf die Kraft der Zukunft. Der in Angola geborene Multimediakünstler will das politische Potenzial menschlicher Träume und Visionen herausarbeiten. Und zwar durch den absichtlich herbeigeführten Popkultur-Overkill. Dazu hat er die Reihe "No. one.gives.a.mosquito's.ass.about.us" ins Leben gerufen.

Dabei wagt sich der 38-Jährige daran, die trashigen Routinen und popkulturellen Leerformeln des Karaokesingens auf die Frage hin zu untersuchen, was die Menschen im 21. Jahrhundert wirklich bewegt. Bei Mosquito, der mit seiner Performance der zunehmenden Entfremdung des Einzelnen entgegenwirken will, kulminiert das in den Zeilen: "Everyone cares about something. Are you willing to die for what you care about?" Und so ist das Anliegen des Multimediakünstlers gar nicht weit von seinem Kollegen Linyekula entfernt: Auch Mosquito will mit seinen Arbeiten Gelegenheiten schaffen, dass Menschen sich darüber verständigen, wofür sie wirklich brennen, geht aber noch einen Schritt weiter: Er will, dass aus dem Verstehen auch ein Handeln aus Verantwortung für die Gesellschaft entsteht.

Banataba, Fr., 25. Okt., 18 Uhr, Haus der Kunst; Congo, Di. und Mi., 5. und 6. Nov., 19.30 Uhr, Gasteig,No.one.gives.a.mosquito's.ass.about. my.gig, Sa., 26.8. Okt., 23.30 Uhr, verschiedene Orte im Rahmen des Spielart-Festivals

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