Uiguren in China:Überwacht, unterdrückt und interniert

Uiguren in China: Chinesische Polizisten patrouillieren in Kashgar.

Chinesische Polizisten patrouillieren in Kashgar.

(Foto: AP)
  • Der uigurische Regierungskritiker Ilham Tohti wurde für sein Engagement für die Versöhnung zwischen Uiguren und Han-Chinesen mit dem Sacharow-Preis ausgezeichnet.
  • Die muslimische Minderheit der Uiguren lebt im Nordwesten Chinas, in der Provinz Xinjiang.
  • Der chinesische Staat überwacht die Bevölkerungsgruppe, hat Hunderttausende in Umerziehungslager gesteckt und unterdrückt die freie Religionsausübung.

Von Lea Deuber, Peking

Nachts ist der Himmel über Kashgar in rotblaues Licht getaucht. Die Stadt im Nordwesten Chinas war einst ein reiches Handelszentrum an der Seidenstraße. In ganz Zentralasien war die muslimisch geprägte Stadt in Xinjiang für ihren Viehmarkt bekannt und die kostbaren Stoffe, die Reisende von dort mitbrachten. Übrig geblieben ist davon heute so gut wie nichts. Wer in die Region fährt, bekommt das Gefühl, in ein Kriegsgebiet einzureisen. Tot ist die Stadt, sagen Menschen, die Kashgar von früher kennen. Diese Beschreibung kommt dem Grauen nicht einmal nahe, das einen übermannt, wenn man durch die Straßen läuft.

Die Regierung hat fast die gesamte historische Altstadt abgerissen und neu bauen lassen. An jeder Straßenecke sind Polizeistationen errichtet worden. Ihre Sirenen werfen nachts den rotblauen Schimmer über die Stadt. Sie wirken wie eine Drohung. Wehe dem, der es wagt, die Macht des chinesischen Staates infrage zu stellen. An jeder Ampel und jedem Gebäude hängen Überwachungskameras. Alle paar hundert Meter patrouillieren bewaffnete Polizisten und gepanzerte Wagen. Die wenigen Menschen, die man sieht, huschen mit gesenktem Kopf durch die Straßen. Religiöse Zeichen wie ein Kopftuch oder einen Bart trägt niemand. Peking hat sie zu einem extremistischen Symbol erklärt.

Im autonomen Gebiet Xinjiang leben etwa 20 Millionen Menschen. Einst war die Region mehrheitlich Heimat des turksprachigen Volks der Uiguren. Nach der Machtübernahme der Kommunistischen Partei 1949 in China, verleibte sich das Regime das frühere Ostturkestan ein. Nach Jahrzehnten der Umsiedlungspolitik sind die Muslime dort in der Minderheit. Für viele Uiguren sind die Han-Chinesen auch Jahrzehnte später fremd geblieben. Für sie sind sie Zugezogene. Ja, Besetzer. Sie fühlen sich von den Han-Chinesen, die in China 90 Prozent der Bevölkerung ausmachen, diskriminiert und unterdrückt. In den vergangenen Jahren kam es deshalb immer wieder zu Spannungen und terroristischen Anschlägen. 2014 erstach ein uigurischer Angreifer in der südchinesischen Stadt Kunming 31 Menschen. Ein Jahr zuvor steuerte eine uigurische Familie ihr Auto in eine Menschenmenge in Peking.

Seit dem blutigen Aufstand in der Provinzhauptstadt Urumqi vor zehn Jahren hat die Kommunistische Partei ihre Politik in der Region systematisch verschärft. Peking rechtfertigt das mit den extremistischen Strömungen und wirft den Uiguren Separatismus vor. Von den meisten Chinesen wird die harte Politik deshalb auch unterstützt.

Inzwischen hat die Regierung einen nie dagewesenen Überwachungsapparat in der Provinz aufgebaut. Millionen Menschen werden permanent durch ein Netz von Kameras überwacht. Sie müssen Stimm- und DNA-Proben abgeben und können sich auch in China kaum mehr frei bewegen. In den Taxis in Kashgar sind nicht nur Kameras, sondern auch Mikrofone angebracht. Die Fahrer brauchen für jeden Passagier eine Genehmigung von der Polizei, wenn sie bestimmte Ziele anfahren. Auf den Zufahrtsstraßen müssen die Passagiere alle paar Kilometer an Kontrollpunkten aussteigen, ihr Gesicht und ihren Pass scannen und ihre Tasche durchsuchen lassen. Ein Freiluftgefängnis sei die Region geworden, kritisieren Menschenrechtsorganisationen.

Die Behörden sollen auch mehr als eine Million Uiguren ohne Anklage und Gerichtsurteil in sogenannten Umerziehungslagern festhalten. Einer der führenden Xinjiang-Experten Adrian Zenz geht sogar von einer deutlich höheren Zahl aus. Der Wissenschaftler aus Stuttgart nutzt offizielle Regierungsdokumente, um die Menschenrechtsverstöße in der Provinz zu belegen. In einem Interview mit der SZ sprach er im Sommer über Chinas Politik in der Region. Anfangs, so der Experte, habe das Land das Lagersystem aufgebaut, um bestimmte Personen umzuerziehen. Diese Politik richtete sich gegen Menschen, die aus staatlicher Sicht auffällig geworden waren, durch ihre Äußerungen oder ihren Glauben. Seit 2017 betreibe die Regierung aber eine präventive Umerziehungskampagne. Ganze Bevölkerungsgruppen werden nun als vorbeugende Maßnahme in Lager gesteckt. Die Menschen seien aus Sicht Pekings empfänglich für radikale Ideologien. "Die chinesische Seite stellt das wie eine Impfung dar", sagt Zenz.

Kopf hinter dieser Politik ist Parteisekretär Chen Quanguo. Er ist als Hardliner bekannt und war vorher für Tibet zuständig. Unter ihm trat auch die Verordnung in Kraft, die das Zurschaustellen religiöser und kultureller Symbole etwaiger Art als "extremistisch" einstuft. Darunter das Tragen eines Kopftuchs, der Besuch einer Moschee, das regelmäßige Beten und der Besitz von religiösen Büchern über die ­uigurische und islamische Kultur. In China genießen die Menschen laut Verfassung eigentlich Religionsfreiheit. Wie Satellitenbilder belegen, ließ die Regierung zuletzt auch mindestens zwei der ältesten Moscheen der Region abreißen.

Für die chinesische Regierung ist die Region auch deshalb wichtig, weil sie dort wirtschaftliche Interessen hat. Im Rahmen ihres Investitionsprogramms Neue Seidenstraße ist die Provinz von zentraler Bedeutung. Mithilfe dieser will Peking neue Handelswege zwischen China und Zentralasien erschließen. Wichtige Routen führen durch die Provinz, die zudem sehr rohstoffreich ist.

Journalisten können sich nicht frei bewegen

Die Existenz der international kritisierten Internierungslager hatte Chinas Führung zunächst komplett bestritten. Vor einem Jahr wurden sie dann nachträglich per Gesetz legalisiert. Die Behörden sprechen von "ideologischer Erziehung gegen Extremismus, psychologischer Behandlung und Verhaltenskorrekturen." Die Behörden behaupten zudem häufig, dass es sich um Ausbildungszentren handele, in denen sie den Menschen eine Berufsausbildung ermöglichten. Besuche von unabhängigen Beobachtern, Politikern und Diplomaten aus anderen Ländern sind bisher schwierig. Immer wieder organisiert die Regierung zwar Reisen in die Region. Teilnehmer berichten aber von inszenierten Besuchen in Lagern, bei denen die Insassen entweder akribistisch gebrieft und verängstigt wirkten oder die Einrichtungen für den Besuch womöglich sogar umgebaut worden waren. Auch Journalisten können sich vor Ort nicht mehr frei bewegen. Sie werden von Sicherheitsbehörden begleitet und an Recherchen gehindert.

Wer als Tourist in die Region reist, muss damit rechnen, befragt und durchsucht zu werden. Bei der Einreise über den Landweg spielt China Touristen eine Überwachungsapp aufs Handy, wie die SZ im Juli berichtete. Mindestens ein deutscher Reiseveranstalter hat dieses Jahr seine Reisen entlang der Seidenstraße eingestellt, weil sich die Touristen über die ständigen Durchsuchungen beschwert hatten.

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