Theater:Zweifel und Poesie

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Damian Rebgetz als Förster vom Königssee, hadernd mit der ihm fremden Heimat. (Foto: David Baltzer)

"Nirvanas Last" im Schauspielhaus der Münchner Kammerspiele

Von Egbert Tholl, München

Im Jahr 1989 wären Nirvana fast nach München gekommen, aber dort gab es, so erzählt Damian Rebgetz, keinen Ort für Punk-Musik. Das stimmt so nicht ganz, aber egal, schließlich geht es hier eher um Rebgetz' Sicht der Dinge. Nirvana jedenfalls spielten dann im Circus Gammelsdorf im Landkreis Freising, den es heute so wenig gibt wie Nirvana. Der Club fiel einer Brandstiftung zum Opfer, und Nirvana spielten ihr letztes Konzert am 1. März 1994 am ehemaligen Flughafen München-Riem. Ein Monat später war Kurt Cobain tot.

Als Nirvana groß, wichtig und lebendig waren, hörte Rebgetz lieber Musicals oder Mariah Carey. Bevor man das zu spüren kriegt, erzählt er im Schauspielhaus der Kammerspiele, was es mit "Nirvanas Last" auf sich hat und worum es sonst noch geht. Es geht, und das empfindet er selbst ein bisschen als Anmaßung, auch um Bayern, um Heimat, um den Umzug des Münchner Flughafens ins Nebelmoos und den damit frei werdenden Flughafen in Riem, den der Wolfgang (Nöth) für sich entdeckte, worüber der Christian (Ude) begeistert war, weil da keine Hochkultur stattfinden sollte. Es geht in Rebgetz' Erzählung wie aus einem dicken Märchenbuch aber auch um Heimat im Sinne von "wir gehören hier her, du bist auch hier", um Gendermännerrollenbilder - bei Nirvana? - und um die Sache mit dem Kommerz. Süß, diese romantische Idee, eine Punkband solle bei einem kleinen Label bleiben und nicht die Seele an eine große Plattenfirma verkaufen. Wären Nirvana nicht zu einem Major-Label gewechselt, Cobain wäre, was er wollte, kein Rockstar geworden, und diesen Abend gäbe es auch nicht, weil nicht zig Millionen diese Musik gekauft und gehört hätten, während Rebgetz selbst weiterhin in Australien ausschließlich Musicals goutiert hätte. Die Frage ist doch: Hat der Wechsel die Musik verändert? Nirvanas provokantester Song - "Rape Me" - erschien auf der dritten CD, nach dem Durchbruch mit dem zweiten Album "Nevermind", dessen Cover ein schwimmendes Baby zeigt, das mit einer Dollar-Note geködert wird. Aber: "Es lebe das Stadttheater!"

Am besten, man vergisst den gesamten Überbau und hört die Lieder, angeordnet in der Reihenfolge des letzten Konzerts, aber so nie gehört. Alle auf Deutsch. Die ersten sieben singt Benjamin Radjaipour als bunter Satin-Wolpertinger zu Arrangements von Rebgetz selbst - ein Sound wie von einem Atari-Fiepgerät unter Honigkruste. In "Komm wie du bist" ("Come As you Are") fällt wie damals der Strom aus, die Musik wechselt zu Arrangements von Paul Hankinson, nun singt Rebgetz und Sachiko Hara spielt Klavier, als ginge es um Schubert. Ist ja auch Heimat, und Rebgetz ist der Förster vom Königssee.

Schließlich kommt ein Orchester, spielen Nina Takai Geige, Katerina Giannitsioti Cello, Isabelle Soulas Flöte und Konrad Probst Horn, singen Christian Löber, der auch toll Gitarre spielt, und Zeynep Bozbay, die anderen beiden Jungs kehren zurück, die Kostüme werden noch abenteuerlicher, und es gibt einen echten Nirvana-Moment, die Reminiszenz eines Schreis von Bozbay im roten Abendkleid.

Die Musik erzählt alles von allein. Die Lieder, einst brachialer Auswurf eines Zorns, werden zu hochfragilen Gebilden, zu fragenden Zuständen, voller Zweifel und Poesie. Der Abend wird zu einem immer stärker anrührenden Requiem, von Starkult, Punkfantasie, Widerstand und Aufruhr bleiben Erinnerungen, die mit einer letzten Klage zu Grabe getragen werden, mit großer Würde und auch viel Schönheit.

© SZ vom 26.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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