SPD:Willkommen im Geisterhaus

  • Die Europawahl wurde zur Enttäuschung und danach auch jede weitere Wahl, weil die SPD immer mehr schwächelte.
  • Dass es für die SPD auch in Thüringen wieder ein bitterer Abend werden würde, damit hatten alle gerechnet.
  • Die Vorsitzsuche überlagert gerade alles. In der Partei ist es das große Thema: Wer führt demnächst die Partei?

Von Mike Szymanski, Berlin

Der Zustand der SPD nach dieser Landtagswahl? Man kann natürlich einen Blick auf das Ergebnis werfen: 8,2 Prozent für die Sozialdemokraten. Thüringen ist das dritte Bundesland, in dem die SPD nach Bayern und Sachsen einstellig geworden ist. Man kann aber am Wahlsonntag genauso einen Blick in die Berliner Parteizentrale werfen, ins Willy-Brandt-Haus. Es ist kurz nach 18 Uhr. Zwei Fernseher sind aufgestellt, es läuft die Wahlberichterstattung von ARD und ZDF. Ein paar Kamerateams, eine Handvoll Journalisten sind gekommen. Die meisten Stühle bleiben später bei der Pressekonferenz leer.

In den oberen Stockwerken brennt Licht in ein paar Büros. Malu Dreyer ist im Haus, die einzig verbliebene von anfangs drei kommissarischen Vorsitzenden. Auch Generalsekretär Lars Klingbeil ist gekommen. Und Ralf Stegner, der Parteivize, natürlich, er ist gefühlt immer da. Ganz egal, wie gut oder schlecht es um seine Partei bestellt ist. Gewiss, an Abenden von Landtagswahlen spielt die Musik dort, wo auch abgestimmt wird. In den Ländern also. Aber bis vor nicht allzu langer Zeit hatten auch die Leute in der Parteizentrale noch richtig Anteil genommen an den Abstimmungen.

Als Andrea Nahles 2018 Chefin wurde, änderte sich das. Die SPD war klamm. Die Verluste bei der Bundestagswahl, die Extra-Ausgaben für Sonderparteitage und Mitgliederbefragungen, dies alles hatte das Budget aufgefressen. Und Nahles wollte auch keine Feiern mehr, auf denen es nichts mehr zu feiern gab. Die Europawahl wurde zur Enttäuschung und danach auch jede weitere Wahl, weil die SPD immer mehr schwächelte.

An diesem Sonntag, nach der Abstimmung in Thüringen, fühlte es sich im Willy-Brandt-Haus endgültig so an wie in einem Geisterhaus. Es fehlte nur noch, dass sich die große Willy-Brandt-Statue in Bewegung setzt und der alte Kanzler seinen Sockel verlässt. Schlägt in diesen Räumen wirklich noch das Herz einer Partei, die sich als Volkspartei begreift und der Regierung angehört?

Dass der Wahlabend für die SPD bitter werden würde, war klar. Aber so?

Der Tag danach. Es gehört zur Routine des politischen Betriebs, dass nach einer Landtagswahl der jeweilige Spitzenkandidat die Gremiensitzungen in der Parteizentrale besucht und die Parteispitze dann mit ihm vor die Presse tritt. Dieses Mal ist Wolfgang Tiefensee zu Gast. Seit der Neuauflage der großen Koalition in der Berlin gab es keine Wahl, bei der dann nicht ausdrücklich Rechenschaft darüber abgelegt werden musste, welchen Einfluss die Bundespolitik und die Arbeit der SPD auf das jeweilige Ergebnis in den Ländern gehabt hätten.

In der Regel war der Einfluss der Bundespolitik schlecht und Berlin schuld - mal mehr, mal weniger. Heute fällt es Übergangschefin Malu Dreyer zu, die Lage zu bewerten. "Der Schock sitzt auch heute morgen noch tief", sagt sie. Dreyer meint das starke Abschneiden der AfD. Dass es für die SPD wieder ein bitterer Abend werden würde, damit hatten alle gerechnet. Dreyer hat eine Erklärung parat, die einigermaßen Trost verspricht. Die Auseinandersetzung in Thüringen hätte sich auf die Frage zugespitzt: Ministerpräsident Bodo Ramelow von der Linkspartei gegen die AfD, die Thüringen in "Höcke-Land" verwandeln wolle. Da hätten viele SPD-Anhänger ihre Stimme eher der Linken gegeben. Aber genügt das als Erklärung?

Dreyer räumt ein, dass es nicht alles ist. Die Bundespartei ist im Moment auch nicht wirklich zu gebrauchen: Seit Sommer zieht sich die Nachfolgesuche für Andrea Nahles hin. Obwohl hinlänglich bekannt war, dass im Herbst drei Landtagswahlen - in Sachsen, in Brandenburg und Thüringen anstanden, entschied sich die Parteispitze für ein Verfahren, bei dem erst Anfang Dezember auf dem Parteitag Klarheit herrscht. Sie schickte ihre Bewerberteams für die Doppelspitze wochenlang durch die Republik. Am Samstag dann das erste Ergebnis: Die Brandenburgerin Klara Geywitz und Finanzminister Olaf Scholz müssen gegen die Digitalpolitikerin Saskia Esken mit ihrem Teampartner Norbert Walter-Borjans, Ex-Finanzminister aus NRW, in die Stichwahl.

Wieder vergehen Wochen. Dreyer sagt, die SPD sei mitten im Prozess, sich eine neue Spitze zu suchen. "Dieser Prozess führt auch dazu, dass viele Menschen im Moment darauf warten, wer wird denn jetzt eigentlich der neue Parteivorsitz, wo ist die Orientierung?" Der Schaden der Nabelschau wird immer deutlicher. Entscheidungen werden nicht getroffen.

Nach den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen hatte sich die SPD schon ratlos gezeigt, wie sie künftig mit Menschen umgehen will, die bei der AfD ihr Kreuz machen. Die Frage lautet - sie aufzugeben, weil man ihr Wahlverhalten nicht entschuldigen mag, oder zu versuchen, wieder unter ihnen "Land zu gewinnen", wie Dreyer sagt. Am Montag dreht sich im Präsidium die Diskussion erneut darum: Was ist die richtige Strategie im Umgang mit der AfD? Dreyer sagt, sie müssten "immer wieder feststellen", dass sie nicht das Rezept gefunden hätten, ihr etwas entgegenzuhalten.

Die Vorsitzsuche überlagert gerade alles. In der Partei ist es das große Thema: Wer führt demnächst die Partei? Unterdessen wurde im Bundestag ein Gesetz beschlossen, dass der Ausbeutung von Paketboten ein Ende setzen soll. Die SPD hat es gewollt. Sie hat es gegen Widerstände durchgesetzt. Es spricht nur kaum einer drüber, nicht mal in der SPD. Dreyer sagt, solche Erfolge gingen gerade "vollkommen unter".

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