Krieg am Hindukusch:Wie Afghanistan Frieden finden will

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Afghanistans amtierender Staatspräsident Aschraf Ghani. (Foto: Wakil Kohsar/AFP)
  • Mit einem Sieben-Punkte-Plan will Afghanistans Präsident Ghani den Krieg in seinem Land beenden.
  • Gemeinsam mit Washington soll ein Abzugsplan für die verbliebenen US-Soldaten entwickelt werden - ein Zugeständnis an die Taliban.
  • In aller Offenheit benennt der Plan das Nachbarland Pakistan "als Wurzel des Problems" für den afghanischen Konflikt.

Von Tobias Matern, München

Er versucht, die Kontrolle zurückzugewinnen. Afghanistans Präsident Aschraf Ghani hat einen umfassenden Friedensplan erarbeitet, sieben Punkte, mit denen er seine Zuschauerrolle hinter sich lassen will. "Unser Ziel ist es, das Blutvergießen so schnell wie möglich zu beenden", sagte Ghanis Sprecher Sediq Sediqqi der Süddeutschen Zeitung am Montag.

Bislang waren es federführend die Vereinigten Staaten gewesen, die direkt mit den aufständischen Taliban verhandelt hatten, um den Krieg am Hindukusch zu beenden. Anfang September ließ US-Präsident Donald Trump die Friedensgespräche seines Diplomaten Zalmay Khalilzad mit den Vertretern der Islamisten aber auf Eis legen, nachdem ein amerikanischer Soldat bei einem Anschlag ums Leben gekommen war.

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Der Kabuler Vorstoß, über den zuerst der afghanische Nachrichtensender Tolo News berichtete, sieht nun vor, dass die afghanische Regierung gemeinsam mit Washington einen Abzugsplan für die verbliebenen US-Soldaten entwickelt. Damit kommt Präsident Ghani den Taliban weit entgegen, da auch die Islamisten immer wieder als Bedingung für einen Frieden fordern, die Amerikaner müssten Afghanistan verlassen. Den Taliban solle ein Abzug der westlichen Soldaten zugesichert werden, heißt es - zunächst solle dieser aber noch nicht vollzogen werden. Und die Islamisten müssten nach Ghanis Vorstellungen einem Waffenstillstand zustimmen, damit Friedensgespräche beginnen könnten. Obwohl die afghanische Armee und Polizei in den vergangenen Jahren schrittweise mehr und mehr Verantwortung übernommen haben, sind die Sicherheitskräfte nach wie vor auf die Verbündeten angewiesen, um nicht weitere Teile des Landes an die Taliban zu verlieren.

Präsident Ghani will nicht nur den innerafghanischen Prozess gestalten und die Zivilgesellschaft einbinden, sondern auch die Nachbarländer integrieren. In aller Offenheit benennt die Kabuler Regierung in ihrem Sieben-Punkte-Plan das Nachbarland Pakistan "als Wurzel des Problems" für den afghanischen Konflikt. Die Regierung in Islamabad müsse überzeugt werden, "den Terror in der Region nicht weiter zu fördern". Kabul wirft Pakistan seit Jahren vor, die Taliban zu unterstützen.

Auf internationaler Ebene will Kabul die EU, UN und die Weltbank zu weiterer Kooperation bewegen, um "nachhaltige Entwicklungsprogramme zu entwickeln und zu implementieren". Afghanistan hat es in den vergangenen Jahren nicht geschafft, wirtschaftlich auf die Füße zu kommen. Seitdem der Westen seinen Einsatz zurückgefahren hat, sind viele Jobs für Afghanen in der Kriegsindustrie weggefallen.

"Wir glauben, dass der afghanische Friedensprozess von der afghanischen Regierung angeführt werden muss, damit wir Resultate erzielen", begründete Präsidentensprecher Seddiqi die Initiative. Das klingt wie eine Selbstverständlichkeit, aber die Taliban hatten die Gunst der Stunde genutzt und die Regierung in Kabul gezielt aus ihren Gesprächen mit den USA herausgehalten. So wollten sie den Preis für den Frieden hochtreiben.

Ghani will eine "Mini-Dschirga" abhalten, eine Ratsversammlung, in der er mit angesehenen Persönlichkeiten, Vertretern der Zivilgesellschaft, Hinterbliebenen von Kriegsopfern, Vertretern von Jugend- und Frauengruppen einen nationalen Konsens für Gespräche mit den Taliban herstellen will. Gebremst werden seine Bemühungen durch eine innenpolitische Hängepartie in Kabul: Für die Ende September abgehaltenen Präsidentschaftswahlen liegen wegen technischer Schwierigkeiten noch nicht einmal vorläufige Ergebnisse vor. Beobachter gehen davon aus, dass eine Stichwahl erforderlich wird, die eventuell erst im Frühjahr abgehalten werden kann. Bis dahin hätte Ghani es schwer, sein Mandat für Friedensgespräche zu rechtfertigen.

Offenbar wollen auch die USA die von Trump eigentlich für "tot" erklärten bilateralen Verhandlungen mit den Taliban wiederbeleben: US-Diplomat Khalilzad hält sich derzeit in Kabul auf und führt Gespräche mit dem Präsidenten und anderen Regierungsvertretern. In den vergangenen Wochen hat sich auch China als Vermittler des Afghanistan-Konflikts in Stellung gebracht. Peking habe eine Delegation der Islamisten eingeladen, um einen innerafghanischen Dialog anzuschieben, hatten die Taliban mitgeteilt.

© SZ vom 29.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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