AfD:Niemand kennt die Stärke von Höckes "Flügel"

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Alexander Gauland, Björn Höcke und Jörg Meuthen geben nach der Landtagswahl in Thüringen in der Bundespressekonferenz (Foto: Britta Pedersen/dpa)
  • Nicht nur die frühere Vorsitzende Petry wollte den Rechtsaußen Höcke nicht mehr dabeihaben, es war fast der ganze Vorstand, darunter die heutige Bundestagsfraktionschefin Weidel.
  • Aber die beiden heutigen Vorsitzenden Gauland und Meuthen hielten immer zu Höcke - und tun es nach dessen Wahlerfolg umso mehr.
  • Dabei fürchten parteiinterne Gegner Höckes schon lange einen Machtzuwachs für den Thüringer und dessen völkischen "Flügel".

Von Jens Schneider, Berlin

Für Jörg Meuthen sind die Zahlen mehr als ein Wahlerfolg. "Wir erleben eine Art Zeitenwende", sagt der AfD-Vorsitzende am Tag nach der Wahl in Thüringen. Meuthen zieht eine Bilanz der Landtagswahlen 2019. Anfang September holte die AfD in Brandenburg und Sachsen je etwa ein Viertel der Stimmen, nun in Thüringen. In Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt ist sie schon seit 2016 zweitstärkste Kraft. Seine Partei sei der große Sieger, sagt Meuthen. Die Konkurrenz, vor allem die SPD, nennt er "ehemalige Volksparteien im Niedergang". Mit ihm ist Björn Höcke, Spitzenkandidat in Thüringen, in die Hauptstadt gekommen. Er erklärt die Wahlen im Osten zum Vorbild: "Wir sind die junge, vitale Volkspartei des Ostens", sagt Höcke, und das werde die AfD bald in ganz Deutschland sein.

Einträchtig sitzen Höcke, Meuthen und dessen Co-Vorsitzender Alexander Gauland in Berlin beieinander. Es gab Zeiten, da galt Höcke in der Spitze der AfD als Persona non grata. Man wollte ihn ausschließen, um Schaden von der Partei abzuwenden. Nicht nur die damalige Vorsitzende Frauke Petry wollte den Rechtsaußen nicht mehr dabeihaben, es war fast der ganze Vorstand, darunter die heutige Bundestagsfraktionschefin Alice Weidel.

Aber Gauland und Meuthen hielten immer zu Höcke - und tun es nach dessen Wahlerfolg umso mehr. Gauland sieht Höcke, den Anführer des AfD-internen völkischen "Flügels" als "Mitte der Partei". Er sagt: "Also, Herr Höcke rückt die Partei nicht nach rechts." Empört reagiert Gauland auf die Frage, ob Höcke ein Faschist sei, das sei "völliger Unsinn". Als ihm Zitate aus einem Buch Höckes vorgehalten werden, in dem der zum Beispiel von einem bevorstehenden "Volkstod durch den Bevölkerungsaustausch" spricht, reagiert Gauland gleichmütig. Das ist die Logik der AfD-Spitze an diesem Tag: Es könne nicht sein, dass die Partei nach rechts rücke, wenn Höcke an Einfluss gewinne, weil Höcke ja gar nicht rechts sei in der Partei. Höcke sei bestimmt keine Randfigur, sagt Gauland und verweist zur Begründung auf dessen Erfolg. Meuthen nennt ihn "mittig".

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Dabei fürchten parteiinterne Gegner Höckes schon lange einen Machtzuwachs für den Thüringer und dessen völkischen "Flügel". Der Bundesparteitag Ende November in Braunschweig könnte eine Richtungsentscheidung bringen. Der von Meuthen und Gauland angeführte Bundesvorstand muss neu gewählt werden. Höcke hat bereits im Spätsommer beim sogenannten Kyffhäusertreffen des "Flügels" mit einer Kampfansage einen Beifallssturm ausgelöst. "Ich kann euch garantieren, dass dieser Bundesvorstand in dieser Zusammensetzung nicht wiedergewählt wird." Er werde sich zum "ersten Mal mit großer Hingabe und mit großer Leidenschaft der Neuwahl des Bundesvorstandes hingeben".

Nur was das heißen soll, weiß so recht keiner in der AfD. Höcke lässt offen, ob er sich für den Parteivorstand bewerben will. Es solle mehr Vertreter aus dem Osten im Bundesvorstand geben, sagt er am Montag. "Das muss nicht ich sein. Aber ich behalte mir vor, ob ich kandidiere oder nicht." Es gehe nicht um Personen, sagt der Mann, dem kritische Parteifreunde schon öffentlich rieten, er möge auf den "exzessiv zur Schau gestellten Personenkult" verzichten. Sein Kurs aber soll der AfD Erfolg bringen. Er glaube, dass seine Idee eines "solidarischen Patriotismus" für die ganze Partei ein Erfolgsmodell sein könne.

Seine Gegner halten es für wenig wahrscheinlich, dass sich Höcke um einen Spitzenposten bewirbt. Zu groß könnte das Risiko sein, dass er mit einem mäßigen Ergebnis von der Basis zurechtgestutzt wird. Höcke wird von führenden Parteifreunden als Zauderer beschrieben, der auch parteiintern empfindlich auf Widerspruch reagiert und offene Auseinandersetzungen scheut. Und niemand kennt die genaue Stärke des "Flügels" in der AfD insgesamt.

Und er hat Widersacher. Bundesweit reagierten im Spätsommer einflussreiche AfD-Politiker der zweiten Reihe mit einer scharfen Erklärung auf seine Drohungen gegen den Vorstand, darunter mehrere Landesvorsitzende. Höcke solle sich mäßigen: Der AfD-Chef in Rheinland-Pfalz, Uwe Junge, forderte Höcke zur Kandidatur für die Bundesspitze auf und gab sich sicher, dass dieser scheitern werde.

Spekuliert wird, dass Höcke andere bewegen will, in die bei der AfD extrem unberechenbaren Vorstandswahlen zu gehen, vor allem für die Vizeposten.

Parteichef Meuthen will wieder antreten. Gauland lässt offen, ob er wieder kandidieren will. Als Fraktionschef im Bundestag kann er auch so Einfluss nehmen, braucht den Posten an der Parteispitze nicht. Sollte er verzichten, will sich der sächsische Bundestagsabgeordnete Tino Chrupalla bewerben. Er zählt nicht zu Höckes "Flügel",aber auch nicht zu dessen Widersachern. Höcke bekundete am Montag, dass er Chrupalla für einen geeigneten Kandidaten hält.

© SZ vom 29.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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