Berlin:Heftiger Streit in der Bundesregierung über Pflanzenschutz

Spritzung des Unkrautvernichters Glyphosat gesehen am 20 02 2018 in der Gemarkung Sehnde bei Hanno

Wie viel darf gespritzt werden? Und was? Zwischen den Ministerien für Landwirtschaft und Umwelt droht neuer Streit um Pestizide.

(Foto: imago)
  • Im Mittelpunkt stehen drei Urteile des Verwaltungsgerichts Braunschweig, die Umweltauflagen gekippt haben, auf die das Umweltbundesamt gepocht hatte.
  • Die Genehmigung ergeht aber durch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, sodass nur diese Stelle Berufung einlegen kann.
  • Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner lehnt dies allerdings ab.

Von Markus Balser und Michael Bauchmüller, Berlin

Für Insekten hat Julia Klöckner eigentlich ein großes Herz. "Der Schutz von Insekten ist für unser Ministerium ein zentrales Anliegen", sagt sie gern. "Denn wo keine Insekten sind, findet keine Bestäubung statt." Die Biene etwa, findet die Landwirtschaftsministerin von der CDU, sei "systemrelevant". Diesen Mittwoch könnte sie eigentlich beweisen, wie viel an den großen Worten dran ist.

Dann endet die Frist, bis zu der Klöckners Ministerium eine Berufung gegen drei Urteile des Verwaltungsgerichts Braunschweig einlegen kann: Urteile, die den Insektenschutz in den Genehmigungen für Pestizide aushebeln. Und gleichzeitig Urteile, in denen der Bund unterlag, und die nach Auffassung des Bundesumweltministeriums eine Präzedenzwirkung haben, die noch weit über den Insektenschutz hinaus gehen könnte.

Es geht um Herbizide mit klangvollen Namen wie "Sunfire" oder "Corida" und um das Insektizid "Fasthrin 10 EC". Die Genehmigung für solche Stoffe erteilt das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, BVL. Allerdings braucht es dafür immer das Einvernehmen des Umweltbundesamtes, und das hatte Bedingungen gestellt. Sunfire etwa sollte in drei Jahren nur einmal ausgebracht werden dürfen, um das Grundwasser zu schützen. Die Behörde verweist auf ein Abbauprodukt des Stoffes, das sich in der Trinkwasseraufbereitung kaum aus dem Grundwasser entfernen lasse. Das Verwaltungsgericht kassierte die Auflage - zum Schaden der Umwelt.

Bei Corida und Fasthrin verlangte das Umweltamt die Ausweisung von Schutzzonen: Weil die Mittel die biologische Vielfalt einschränkten, bei Kräutern, Insekten und Vogelarten, sollten Landwirte auch einen Anteil von Flächen vorhalten, die als Rückzugsorte für die Arten dienen können. Das Verwaltungsgericht bestritt zwar nicht die Probleme für die Artenvielfalt, sah aber keine Rechtsgrundlage. Die Auflage war damit weg. Wer die Mittel nun verwendet, muss sich um Artenschutz und Grundwasser nicht weiter scheren.

Zwischen den Ministerien für Landwirtschaft und Umwelt droht deshalb neuer Krach. Denn die beklagte Behörde ist eben das in Braunschweig ansässige BVL. Nur dieses kann Berufung gegen die Urteile einlegen. Und das nur noch sehr kurze Zeit. Ganz genau bis zu diesem Mittwoch. Die Anweisung dafür könnte das Haus der Bienenfreundin Klöckner erteilen. Doch die erklärte auf SZ-Anfrage am Dienstag Abend, sie habe entschieden, dies nicht zu tun. Begründung: Dies komme "einer teilweisen Enteignung der Landwirte gleich". Eine Berufung sei aussichtslos "und würde zu anhaltender Rechtsunsicherheit führen", sagte Klöckner weiter. Die Rechtslage sei klar. Das Gericht habe die Umweltauflagen in erster Instanz als rechtswidrig bezeichnet.

Ein möglicher Konflikt mit dem EU-Recht droht dem Bund

Wie groß die Verärgerung mittlerweile ist, lässt ein Brief von Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth an seinen Amtskollegen im Landwirtschaftsministerium, kurz BMEL, erahnen, der noch vor Klöckners Entscheidung abgeschickt wurde. "Sollte das BMEL einer Berufung widersprechen", heißt es darin, "würden damit implizit durch das politische Handeln Ihres Hauses Schäden an der biologischen Vielfalt und insbesondere bei Insekten, ggf. aber auch negative Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit, sehenden Auges hingenommen." Es sei "nicht vertretbar, eine derart weitreichende Frage einem erstinstanzlichen Verwaltungsgericht zu überlassen". Möglicherweise gerate der Bund dadurch sogar in Konflikt mit dem EU-Recht. Der Brief ging diesen Montag an Agrar-Staatssrekretär Hermann Onko Aeikens, er liegt der Süddeutschen Zeitung vor. "Sollten die Urteile nicht einer Prüfung unterzogen werden, drohen zweifelhafte Urteile eines einfachen Verwaltungsgerichts faktisch zur höchstrichterlichen Rechtsprechung zu werden", warnt Flasbarth.

Sorgen löst in diesem Zusammenhang auch eine bevorstehende Spitzenpersonalie in der zuständigen Behörde aus. Nach SZ-Informationen soll das in der Sache entscheidende Bundesamt BVL kurzfristig eine neue Leitung bekommen. Der aktuelle BVL-Präsident Helmut Tschiersky soll seinen Posten zum 1. Dezember räumen und als Unterabteilungsleiter ins Bundeslandwirtschaftsministerium wechseln. Als aussichtsreichster Kandidat für seine Nachfolge wird in Ministeriumskreisen Friedel Cramer gehandelt, der für Pflanzenschutz und den Fall Glyphosat zuständige Beamte. Er gilt im Ministerium als Gegner strenger Auflagen für Pflanzenschutzmittel.

Im Bundestag erntet der Plan Empörung. "Mit dieser Personalentscheidung wird das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit degradiert zu einem Kampfinstrument der Ministerin Klöckner gegen das Umweltbundesamt", warnt Renate Künast, die Grünen-Sprecherin für Ernährungs- und Tierschutzpolitik. Das BVL werde einen Leiter bekommen, der keine Qualifikation bezüglich der wichtigen Lebensmittelsicherheit habe, warnt Künast. Klöckner spiele ein doppeltes Spiel. Sie erwecke öffentlich den Anschein, verantwortlich mit Pestiziden umgehen zu wollen, stelle das BVL aber personell so auf, dass dessen Hauptaufgabe der Kampf gegen Umweltauflagen sei. Das Bundeslandwirtschaftsministerium äußerte sich auf Anfrage nicht zu der Personalie.

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