Kommentar:Moskauer Manöver

Russland muss um die Teilnahme an den Spielen in Tokio bangen - und präsentiert sich plötzlich zahm und selbstkritisch. Nur Tarnung?

Von Johannes Aumüller

Für normale Bären beginnt gerade die Jahreszeit, in der sie sich langsam für die Winterruhe präparieren; für Bären aus der digitalen Welt scheint das nicht zu gelten. Microsoft will festgestellt haben, dass die mutmaßlich aus Moskau gesteuerten Hacker von "Fancy Bears" kürzlich mal wieder bei Anti-Doping-Organisationen aktiv waren. Und es verwundert nicht, dass das Thema jetzt wieder aufpoppt.

Es geht gerade um viel für Russlands Sport. Staatsdopingskandal, Teil X, läuft, diesmal in Form von Labordaten, die in offenkundig frisch manipulierter Form der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) übergeben worden sind. Tarnen, Täuschen und Vertuschen herrscht bis heute vor, das ist die Kernlehre. Und so müssen die Verantwortlichen in Moskau gerade einige Strippen ziehen, dass am Ende nicht eine harte Sanktion steht: der Ausschluss von den Sommerspielen 2020 in Tokio.

Die Russen wissen nur zu gut, dass ihnen dank ihres immensen Einflusses im organisierten Sport viele Protagonisten sehr wohlgesonnen sind. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) unter Leitung von Thomas Bach zum Beispiel war stets erstaunlich milde. Aber zugleich hat sich ein bisschen was verändert. Die Leichtathleten haben vorgemacht, dass sich eine konsequente Haltung lohnen kann, und bei der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) ist ebenso manches im Schwang. Die analytische Abteilung zeigt sich erkennbar hartnäckiger, in Person des Polen Witold Banka gibt es bald einen neuen Präsidenten - vor allem aber ist die Wada gemäß ihres gültigen Codes in der Lage, einen Weg für einen Olympia-Ausschluss Russlands zu bereiten.

Von daher fällt auf, dass sich Russland im Sport generell anders präsentiert als früher. Lautstarke Beschimpfungen des Westens sind seltener zu vernehmen, auch personell kommen sie anders daher. Der russische Funktionär, der im Westen gerade am deutlichsten zu vernehmen ist, ist Juri Ganus, Chef der russischen Anti-Doping-Agentur (Rusada). Von ihm kommen erstaunliche Sätze. Ganus nennt die aktuelle Situation eine "Tragödie", räumt Manipulationen um die Labordaten ein und kritisiert so offen Strukturen und andere Sportfunktionäre, dass er auch um seine Sicherheit fürchtet.

Das klingt alles besser als früher, und womöglich führt das bei dem einen oder anderen im Westen zu mehr Vertrauen. Nur haben auch Ganus' Vorträge Schwächen. Wenn er zum Beispiel Staatschef Wladimir Putin stets aus der Verantwortung nimmt. Oder wenn er über den großen und nicht auffindbaren Unbekannten räsoniert, der die Labordaten manipuliert hat. Das klingt wenig nachvollziehbar in einem Land, in dem sich fast alles kontrollieren lässt. Da ist es sogar möglich, dass ein selbstkritischer Rusada-Chef als Feigenblatt dient. Als Tarnung, die ebenso zur russischen Strategie gehören dürfte wie die extravaganten Bären.

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