Musikdozenten:"Wir sind Freiwild"

Hans-Christian Hauser am Bösendorfer Flügel im Kurhaus.

Meister seines Fachs: Hans-Christian Hauser lehrte an der Musikhochschule vor allem slawische und jüdische Musik.

(Foto: Tobias Schumacher)

Nach 31 Jahren wird Hans-Christian Hauser von der Musikhochschule verbannt - ein Beispiel für den Umgang mit akademischen Lehrbeauftragten.

Von Karl Forster

Hans-Christian Hauser hat vielleicht einen entscheidenden Fehler gemacht. Er hat - womöglich - vergessen, was er ist: Lehrbeauftragter an der Münchner Hochschule für Musik und Theater. Hans-Christian Hauser, 59 Jahre alt, unterrichtet dort, wo er selbst ausgebildet wurde, seit insgesamt 31 Jahren, seit 2003 vor allem als Spezialist für slawische und jüdische Musik. Exakter formuliert: Er unterrichtete dort. Denn seit diesem Semester ist er ohne Lehrauftrag. Der wurde, ganz einfach, nicht mehr verlängert. Sein Name ist im Netz aus der Dozentenliste der Musikhochschule verschwunden.

Hauser, geboren in Stuttgart, aufgewachsen in Isny im Allgäu, wo er ein spannendes Musikfestival etablierte, wird sein Appartement in München, das er für seine Lehrtätigkeit benutzte, nicht mehr brauchen. Er hat auch keinen Anspruch mehr auf die Nutzung von Räumen der Musikhochschule. Er wird keine Studenten mehr unterrichten, verliert den fürs Portfolio nicht unwichtigen Eintrag, als "Lehrbeauftragter" für eine akademische Einrichtung zu arbeiten; und er bekommt natürlich auch keinen Lohn mehr. Ohne Auftrag, ohne Job kein Geld.

Das ist alles arbeitsrechtlich korrekt. Denn Lehrbeauftragte im deutschen Hochschulwesen sind, vor allem im Bereich der Musikhochschulen, das letzte Glied im Unterrichtssystem. Hauser sagt: "Wir sind Freiwild!" Selbst im Wikipedia-Eintrag über diesen Beruf fällt das Wort "Ausbeutung". Und selbst die Stargeigerin Anne-Sophie Mutter kämpft mit harschen Worten für eine Aufwertung dieses Berufsstandes: Der Umgang mit Lehrbeauftragten in Musikhochschulen sei - wortwörtlich - "unter aller Sau!" und "unfair. Ich muss protestieren und hoffe, es ändert sich was", sagte sie schon vor acht Jahren in einem bemerkenswerten Interview mit der Musikhochschule in Karlsruhe ( www.youtube.com/watch?v=R22xdGVnugA). Bisher ging ihre Hoffnung nicht in Erfüllung.

Auch im Fall Hans-Christian Hauser verhallten Appelle wie dieser ungehört. Er hat mit der Entscheidung seines Arbeitgebers nicht nur seine, wenn auch bescheidene, Haupteinnahmequelle verloren, sondern vor allem seine ideelle Lebensgrundlage, die darin bestand, Studenten und Studentinnen den Reiz und die Feinheiten slawischer und jüdischer Musikkultur zu vermitteln. Zugegeben, selbst für eine Musikhochschule ist das eine Art Orchideenfach. Aber Orchideen sind ob ihrer Seltenheit auch etwas sehr Schönes, wenn man weiß, wie man mit ihnen umgehen muss.

Was dem Musiker Hauser auch niemand abspricht. Und so wundert es nicht, dass er nach seiner Demission eine ganze Heerschar von Musikern aufbieten kann, die diese Entscheidung der Musikhochschule München für wenig nachvollziehbar hält. Darunter sind nicht nur Studenten und Kollegen, sondern auch durchaus Prominente des Musikgeschäfts, wie zum Beispiel der Dirigent Christoph Poppen, langjähriger Leiter des Münchener Kammerorchesters und unlängst zum "First Guest Conductor" des Israel Chamber Orchestra ernannt. Der hofft in einem Schreiben, die Situation möge sich für Herrn Hauser "doch noch zum Guten" wenden.

Und Ingolf Turban, einst unter Celibidache Erster Konzertmeister der Münchner Philharmoniker und heute gefeierter Solist, verspricht Hauser, er werde ein "leidenschaftliches Plädoyer für Ihre wunderbare Arbeit zugunsten der slawischen und jüdischen Musik an entsprechender Stelle weiterhin unüberhörbar machen".

Die entsprechende Stelle aber gibt sich schwerhörig. Und was den konkreten Fall Hans-Christian Hauser angeht, auch eher stumm. Man könne aus Gründen des Datenschutzes zu konkreten Fragen in dieser Causa keine Auskunft geben. Doch dass der (ehemalige) Lehrbeauftragte Hauser sich in der Bundeskonferenz der Lehrbeauftragten an Musikhochschulen als stellvertretender Bundesvorsitzender politisch engagiert, habe "in keiner Weise" mit dessen Ausbootung zu tun. Man setze sich, ganz im Gegenteil, sehr für bessere Arbeitsbedingungen dieser Klientel ein.

Keine Zweifel an der fachlcihen Qualifikation

Nun sind Lehrbeauftragte im gesamtdeutschen Hochschulbetrieb bei all ihrer akademischen Bildung die Deppen eben dieses akademischen Betriebs. Die Ludwig-Maximilians-Universität, gerade wieder zur Exzellenz-Uni gekürt, erlaubt sich in manchen Studienbereichen jenseits der finanziell gepäppelten Mint-Fächer einen Lehrbeauftragten-Lohn von 18,50 Euro pro Stunde. Immerhin haben die Musikhochschulen in Deutschland die Entlohnung für Lehrbeauftragte unlängst auf einen Unterrichtsstundenlohn von 45 bis 55 Euro angehoben. Der große Unterschied zur Situation an Universitäten aber ist: Hier werden Lehrbeauftragte nach Angestelltenrecht behandelt und nicht, wie an den Unis, nach Arbeitsrecht. Das nimmt dieser Freiberufler-Gruppe fast jeglichen rechtlichen Anspruch. Die sie vertretende Bundeskonferenz hält die aktuelle Beschäftigungspraxis daher verfassungsrechtlich für bedenklich.

Dazu kommt, dass, wie im Falle Hauser, die Zahl der wöchentlichen Arbeitsstunden beschränkt werden kann. Hauser, der noch vom Vorvorgänger des amtierenden Präsidenten Bernd Redmann, dem leidenschaftlichen Organisten Robert M. Helmschrott engagiert worden war, musste schon unter dessen Nachfolger Siegfried Mauser beim Unterrichten von slawischer und jüdischer Musik kürzertreten, weil dieser offenbar das kulturelle Gewicht solcher Fächer nicht so hoch einschätzte (laut Hauser sagte Mauser, da könne man ja gleich "grönländische Musik" unterrichten.) Jedenfalls dezimierte er Hausers Unterrichtszeit von 8 auf 5,25 Stunden und verbot Studierenden dort, trotz zahlreicher Proteste, den Besuch von mehr als maximal zwei Semestern, eine Reduzierung, die erst im Sommersemester 2019 wieder leicht entschärft wurde.

Jedenfalls errechnet sich daraus ein Wochensalär, das sich im günstigsten Falle auf 288,70 Euro beläuft, was einem Monatseinkommen von knapp über 1150 Euro entspricht. Wovon dann alle Sozialabgaben und die von vielen Politikern geforderte private Altersvorsorge abzuziehen sind. Von der Miete fürs Appartement am Arbeitsplatz in München gar nicht zu reden. Man muss da nicht die letzte Rechnung für die Erneuerung der Lichtmaschine am eigenen Auto zu Rate ziehen, um ein gewisses Missverhältnis zwischen dem Verdienst eine Handwerkers und dem eines Lehrbeauftragten nach vielen Jahren Studium und endlosen Übungsstunden am Instrument festzustellen.

Noch dazu da niemand Hans-Christian Hauser die fachliche Qualifikation wirklich absprechen will. Er ist qualifiziert als Pianist, als Organist, als Komponist und Dirigent, als Kirchenmusiker, Liedbegleiter, Chorleiter und so weiter. Er spricht mehrere Sprachen, darunter Russisch, Chinesisch und Ivrith, also modernes Hebräisch, was seiner Intention, der Vermittlung jüdischer (Vokal-)Musik natürlich entgegenkommt.

Seitens der Musikhochschule legt man, unabhängig von Hausers Nichtweiterbeschäftigung, auch Wert auf die Feststellung, man stärke weiter das "Ausbildungsangebot im Bereich jüdischer Musik und sehe die Hochschule auch in der Verantwortung für eine lebendige Erinnerungskultur". Man eröffne in diesem Zusammenhang demnächst das "Ben-Haim-Forschungszentrum" mit Schwerpunkt auf Leben und Werk von NS-verfolgten Komponist*innen. Auch arbeite derzeit eine Gastprofessorin im Forschungsfeld jüdischer Musik. Kurz: Jeglicher Vorwurf, man wolle mit Hausers Rauswurf jüdische Musik an der Hochschule beschneiden, entbehre jeglicher Grundlage.

Was ja auch niemand behauptet. Was also könnte dahinterstecken, dass ein Lehrender nach 31 Jahren seine Bestimmung verliert? Petra Kucharsky, die Witwe des 2010 verstorbenen Kammersängers Andrej Kucharsky, der in den Achtzigerjahren das Fach slawischer Vokalmusik an der Hochschule eingeführt hat, mutmaßt, Hauser sei als Nachfolger ihre Mannes vielleicht "zu erfolgreich" gewesen und zitiert aus Richard Wagners Oper "die Meistersinger", wo der handwerkliche Nachwuchs so eifrig war, dass die Hauptfigur, der Schuhmacher Hans Sachs, argwöhnte, der Erfolg der nach vorne drängenden Jungen "macht den Meistern bang!".

Ein Insider aus der Musikhochschule hat eine pragmatischere Vermutung parat: Der Musikausbilder Hauser habe halt vielleicht nur zu wenig Studenten akquiriert. Das aber wäre wohl auch der Politik des Hauses zu verdanken, die die Arbeit von Hans-Christian Hauser so stark beschnitt. Und der hat wohl verdrängt, was er ist: nur ein Lehrbeauftragter.

Hinweis: In einer früheren Fassung hieß es irrtümlich, die Bundeskonferenz der Lehrbeauftragten an Musikhochschulen plane einen Gang vor das Bundesverfassungsgericht. Diese Information beruhte auf einem Missverständnis. Tatsächlich hegt die Bundeskonferenz zwar verfassungsrechtliche Bedenken gegen die aktuelle Praxis, plane derzeit aber nicht den Gang nach Karlsruhe.

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