Kaschmir-Konflikt:Orchestrierte Normalität

Narendra Modi EU-Abgeordnete Indien

Indiens Regierungschef Narendra Modi (in weißer Kleidung) im Kreise einer Delegation von EU-Parlamentariern in Delhi.

(Foto: AP)
  • Eine Gruppe von knapp 30 EU-Parlamentariern besucht auf Einladung eines Thinktanks Indien und darf auch ins Krisengebiet Kaschmir reisen.
  • Kritiker monieren, dass Premier Narendra Modi den nicht-offiziellen Besuch für Eigen-PR vor dem Besuch von Kanzlerin Merkel nutzt.
  • Zu der Gruppe der Abgeordneten gehören auch Abgeordnete der AfD, der Brexit-Partei und Anhänger des nationalistischen Rassemblement National von Marine Le Pen.

Von Matthias Kolb, Brüssel, und Arne Perras, Singapur

Zwei Tage vor dem Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Indien sorgt eine Gruppe von EU-Parlamentariern für Aufsehen, die nach einem Treffen mit Premier Narendra Modi ins Krisengebiet Kaschmir reisen durfte. Es war die erste Delegation dieser Art, seitdem die Zentralregierung das Gebiet für ausländische Besucher Anfang August abgeriegelt hatte. Doch schon vor dem Abflug nach Srinagar brach ein Streit los um die knapp 30 Besucher, die überwiegend rechtsgerichteten europäischen Parteien angehören.

Sechs Abgeordnete sind Mitglieder des französischen Rassemblement National von Marine Le Pen, vier gehören der Brexit-Partei an und fünf zu Polens rechtsnationaler Regierungspartei PiS. Mit Lars Patrick Berg, Nicolaus Fest und Bernhard Zimniok reisten auch drei AfD-Europaabgeordnete nach Indien. Die Reise wurde von dem in Neu-Delhi ansässigen Thinktank "International Institute for Non-Aligned Studies" (IINS) organisiert, sagte Berg der SZ. Er war aus Termingründen nicht nach Kaschmir gereist. Zwei IINS-Mitarbeiter hätten in Brüssel Vertreter aller Fraktionen angesprochen, so Berg. Auch ein britischer Liberaldemokrat sowie ein Sozial- und Christdemokrat aus Italien seien mitgereist. "Ich bewerte meine Teilnahme als wertvoll, denn die Gespräche in Delhi haben einen guten Einblick in die indische Sichtweise vermittelt", sagt Berg, der Indien als sicherheitspolitisch wichtigen Partner ansieht.

Die Regierung in Delhi hatte der Krisenregion im Himalaja Anfang August die Autonomie entzogen, bis vor Kurzem waren dort Internet und Telefon komplett blockiert und weitreichende Ausgangssperren verhängt. Delhi beansprucht das überwiegend von Muslimen bevölkerte Kaschmir komplett für sich, doch auch Pakistan und China kontrollieren Teile davon. Das sorgt immer wieder für Spannungen zwischen den drei Atommächten. Im August kamen Tausende Politiker in Haft, um gewalttätigen Unruhen vorzubeugen, wie es in Delhi hieß. Inzwischen sind einige wieder auf freiem Fuß, die Beschränkungen wurden gelockert, doch für ausländische Journalisten bleibt das Gebiet gesperrt.

Der Modi-nahe TV-Sender Times Now titelte zum Treffen des Premiers mit den EU-Abgeordneten bereits: "Die Welt wird Zeuge der Normalität sein". Auf Social Media wurden unzählige Bilder gezeigt, die Modi beim Händeschütteln mit den Gästen zeigen: vor sorgfältig drapierten Fahnen Indiens und der EU. Die Regierung in Neu-Delhi hatte zuletzt wegen seiner eisernen Politik in Kaschmir Kritik von Menschenrechtsgruppen auf sich gezogen. Heftige Attacken kamen von Mebooba Mufti, die Kaschmir einst als Ministerpräsidentin führte und seit Anfang August inhaftiert ist. Ihren Twitter-Account führt nach eigenen Angaben ihre Tochter, die dort die "orchestrierte Normalität" eines "betreuten Picknicks" für EU-Abgeordnete beklagte. Sie fragte, weshalb die indische Opposition von Kaschmir weiterhin ausgesperrt bleibt, während rechtsgerichtete EU-Parlamentarier in die Region reisen dürften.

Dass indischen und amerikanischen Abgeordneten der Zugang verweigert wurde, habe er nicht gewusst, sagt AfD-Politiker Berg, der zuvor auch mit pakistanischen Diplomaten gesprochen hat. Im Gespräch mit Modi seien die Verhaftungen und Internetsperren nicht thematisiert worden, sagte Berg, doch diese Punkte seien später mit Beamten des Außenministeriums diskutiert worden.

Für Bernhard Zimniok, der Kaschmir von früheren Reisen kennt und daher nicht in die Region fuhr, steht fest: "Die EU soll sich neutral verhalten und nur als ehrlicher Makler agieren, wenn die Konfliktparteien darum bitten."

Die EU-Vertretung in Delhi betonte, dass die Parlamentarier nicht in offizieller Mission reisen, sondern privat unterwegs seien. Eine ähnliche Klarstellung kam auch vom Europaparlament, das im September über Kaschmir diskutiert hatte. Damals forderte die Außenbeauftragte Federica Mogherini, die Einschränkung von Grundrechten für die Menschen in Kaschmir aufzuheben. In der Debatte hatte der Pole Ryszard Czarnecki Verständnis für Indien geäußert, das nur auf Terrorbedrohung reagiere, und Pakistan beschuldigt: "Diese Terroristen sind nicht vom Mond gekommen. Sie kommen aus dem Nachbarland. Wir sollten Indien unterstützen."

Czarnecki ist einer der EU-Abgeordneten, die nicht nur eine halbe Stunde mit Premier Narendra Modi sprechen konnten. Sie wurden auch ausführlich von dessen Sicherheitsberater Ajit Doval gebrieft, was das hohe Interesse der Regierung an dem Besuch dokumentiert. Das Außenministerium versicherte, es habe keine tendenziöse Auswahl der ersten Besucher in Kaschmir getroffen, und dass man anderen ausländischen Gruppen künftig den Zugang erleichtern wolle.

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