Nachhaltigkeit:Und morgen?

Mit den "Students for Future" werden Fragen nach Umweltschutz und Klimawandel auch an den Hochschulen drängender. Doch noch sind nicht alle darauf eingestellt.

Von Jasmin Siebert

Nachhaltigkeitsseminar der Ostbayerischen Technischen Hochschule Amberg-Weiden (OTH)

Studierende der Technischen Hochschule Amberg-Weiden bauen in einem Blockseminar Szenarien aus der gegenwärtigen Welt. Später werden sie die Legoinstallationen in nachhaltige Zukunftsvisionen verwandeln.

(Foto: Jasmin Siebert)

Konstantin Flegar ist erst 21 Jahre alt, doch er hat schon viele Seiten Gesetzestext gelesen. Als die "Fridays for Future"-Demos anfingen, hatte der baden-württembergische Waldorfschüler sein Abitur schon in der Tasche, fuhr aber trotzdem mit ehemaligen Mitschülern jeden Freitag zu Demos nach Konstanz - der ersten deutschen Stadt, die den Klimanotstand ausgerufen hat. Bald engagierte er sich im Organisationsteam und arbeitete an der Kommentierung eines geplanten Klimaschutzgesetzes in Baden-Württemberg mit. In dieser Zeit reifte in Flegar der Entschluss heran, "etwas mit Umwelt" zu studieren. Dass er sein Engagement als Student fortführen wollte, war für ihn klar. Deswegen war er trotz vollem Stundenplan beim Gründungstreffen der "Students for Future"- Ortsgruppe an der Universität Bremerhaven dabei. Das war Mitte Oktober. Da hatte Flegar gerade angefangen, Maritime Technologien zu studieren, ein Bachelor-Studiengang, der sich um Wind- und Meeresenergie dreht.

In diesem Wintersemester kommt die erste Generation an die Hochschulen, die mit der Bewegung Fridays for Future ihre Schulzeit beendet hat. Es sind junge Menschen, die Begriffe wie Klima, Umwelt und Nachhaltigkeit häufig und selbstverständlich gebrauchen. Obwohl bei den Fridays for Future von Anfang an auch Studenten aktiv waren und mit Luisa Neubauer eines der bekanntesten Gesichter der Bewegung eine Geografiestudentin ist, werden die Fridays vor allem als Schülerbewegung wahrgenommen. Auch das ist ein Motiv dafür, dass viele Studierende nun eigene Ortsgruppen bilden.

Ein weiterer Grund sind die unterschiedlichen Strukturen an Schulen und Universität. "Man muss die Aktionsform der Institution anpassen", sagt Leonie Schröpfer. Die 24-Jährige studiert den Master Transformationsstudien in Flensburg und hat dort gerade die Ortsgruppe Students for Future mitgegründet. Außerdem sitzt sie im Vorstand von Netzwerk-N. Der 2012 geschaffene Verein bündelt bundesweit die Aktivitäten von Studentinnen und Studenten, die sich an ihren Hochschulen um Nachhaltigkeit bemühen. Auf der Webseite des Vereins (plattform-n.org) sind mehr als 5300 aktive Nutzer und 110 Hochschulgruppen angemeldet.

In Tübingen können Studierende schon seit 2009 das Zertifikat "Studium Oecologicum" erwerbe

"Elemente sozialökologischer Verantwortung sollten in jedem Studium fest verankert sein", fordert Schröpfer. Sie hat sich beim Netzwerk-N zum Coach ausbilden lassen und klärt Studierende über ihre Gestaltungsmöglichkeiten auf. Da sind zum Beispiel die studentischen Nachhaltigkeitsbüros, die es an manchen Standorten schon seit Jahren gibt. Doch Schröpfer und ihre Mitstreiter wollen mehr: dass Hochschulen sich ein offizielles "Green Office" mit einem bezahlten wissenschaftlichen Mitarbeiter leisten. Das zu erreichen, erfordert nach ihrer Auskunft allerdings meistens einen langjährigen Prozess.

Ähnlich läuft es mit Nachhaltigkeitszertifikaten, die neben dem regulären Fachstudium erworben werden können. In Tübingen gibt es das von Studierenden initiierte Studium Oecologicum schon seit 2009, andernorts, wie in Würzburg, kämpfen angehende Akademiker noch darum. Mit den Fridays for Future sei nun eine Situation entstanden, in der Veränderungen schneller umgesetzt werden könnten als bisher, sagt die Aktivistin Schröpfer. Sie hofft, dass viele Hochschulen dem Beispiel der Universität Potsdam und der Berliner Humboldt-Universität folgen. Dort startete das Studium Oecologicum im Sommersemester 2019.

Digitaler und nachhaltiger

Nachhaltigkeit ist eines der beiden Themen, die Hochschulen in Deutschland in den kommenden Jahren stärker in den Mittelpunkt rücken wollen. Jede fünfte Einrichtung plant, ihre Aktivitäten in diesem Bereich auszubauen. Bei der Digitalisierung - dem zweiten Großkomplex - ist es sogar jede zweite. Das geht aus dem neuesten Hochschul-Barometer des Stifterverbands hervor, einer jährlich erscheinenden Umfrage unter den Rektoren und Präsidenten deutscher Hochschulen. Besonders Fachhochschulen haben demnach vor, sich stärker auf Digitalisierung (58 Prozent) und Nachhaltigkeit (28 Prozent) hin auszurichten. Drei von zehn im Jahr 2018 neu besetzte Professoren widmen sich Aspekten der Digitalisierung. 71 Prozent der deutschen Hochschulen sind an Innovationsverbünden mit Partnern beteiligt, die nicht aus der Wissenschaft kommen - und auch diese Kooperationen gibt es hauptsächlich in den Feldern Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Insgesamt ist die Stimmung an der Spitze deutscher Hochschulen der Umfrage zufolge mau. Fast die Hälfte der Befragten, 48 Prozent, schätzten ihre Personalsituation als schlecht oder eher schlecht ein - der höchste Wert seit acht Jahren. Auch ihre finanzielle Lage sehen die Hochschulleitungen eher negativ. Große Unterschiede gibt es dabei zwischen privaten und staatlichen Einrichtungen. Private Hochschulen, vor allem Universitäten, sind mit ihrer Gesamtsituation deutlich zufriedener als staatliche; am negativsten fällt die Lagebeurteilung an kleineren staatlichen Universitäten mit weniger als 10 000 Studierenden aus. Sieht man sich allerdings die Umfragen der vergangenen Jahre an, dann ist der Zufriedenheitsvorsprung der privaten deutlich gesunken. Zwei Drittel der Hochschulleitungen sind der Meinung, dass ihnen für ihre Arbeit aus der Gesellschaft hohe Wertschätzung entgegengebracht wird. 2016 hatten das noch 76 Prozent der Befragten angegeben, der Wert sank im zweiten Jahr nacheinander. Eine schlechte Nachricht für die Bundesregierung: In die vom Forschungsministerium unter Anja Karliczek (CDU) gegründete "Agentur für Sprunginnovationen", die sogenannte disruptive Technologien fördern soll, setzen die Hochschulen wenig Vertrauen. Die Hälfte der befragten Rektoren und Präsidenten kennt sie überhaupt nicht. Paul Munzinger

Dass Hochschulen von sich aus Nachhaltigkeitsprogramme entwerfen, kommt eher selten vor. Die kleine Ostbayerische Technische Hochschule Amberg-Weiden hat es gemacht, dort können Studierende aller Fachrichtungen seit zwei Jahren die Zusatzqualifizierung "Ethik und Nachhaltigkeitsmanagement" erwerben. Der zuständige Institutsleiter Alexander Herzner hat sich zum Ziel gesetzt, das Zertifikat auch an anderen Hochschulen zu etablieren. Die Bedingungen dafür sind nicht schlecht, denn Nachhaltigkeit ist ein Begriff, mit dem sich Hochschulen inzwischen gern schmücken, in universitären Leitbildern ist er das beliebteste Schlagwort. Mit 21 Nennungen taucht es mit Abstand am häufigsten in den Profilbeschreibungen von 399 untersuchten Hochschulen auf, an zweiter Stelle steht Globalisierung mit sieben Nennungen. Das zeigt eine 2017 veröffentlichte Studie des Centrums für Hochschulentwicklung.

Eine der profiliertesten deutschen Hochschulen auf dem Gebiet der Nachhaltigkeit ist die Leuphana-Universität Lüneburg. Sie war 2010 die erste Hochschule Deutschlands, die eine eigene Fakultät für Nachhaltigkeit gründete und Nachhaltigkeitsmodule in allen Fächern von BWL bis Psychologie fest integrierte. Alle Bachelorstudierenden nehmen im ersten Semester an einer gemeinsamen Startwoche teil. Dieses Jahr stand der Klimawandel im Fokus. Er habe beobachtet, dass die Studierenden mit noch stärkeren Erwartungen gekommen seien als in den Jahren zuvor, sagt Sven Prien-Ribcke, der die Leuphana-Einführungswoche leitet. "Viele wollen, dass wir sie befähigen, am gesellschaftlichen Wandel Richtung Nachhaltigkeit mitwirken zu können", sagt der Politologe und Volkswirt. Als Berufsziel schwebe immer mehr jungen Menschen Nachhaltigkeitsmanagement vor. Und viele wollten den Klimawandel wissenschaftlich verstehen.

Das Interesse ist überall zu spüren. Klickt man sich durch Veranstaltungshinweise von Hochschulen, entsteht der Eindruck, dass in diesem Semester jede deutsche Hochschule mindestens eine Veranstaltung zum Klimawandel und Nachhaltigkeit im Alltag anbietet. Doch die Struktur der Hochschule selbst wird nur an wenigen Orten angetastet. Laut Netzwerk-N sind erst rund 20 Hochschulen EMAS-zertifiziert und veröffentlichen Nachhaltigkeitsberichte. EMAS steht für "Eco-Management and Audit Scheme", das Zertifikat verpflichtet Unternehmen, eine Umwelterklärung abzugeben sowie ihr Umweltverhalten stetig zu überprüfen und zu verbessern. Auch das Fairtrade-Siegel ist noch lange nicht selbstverständlich: Nach Angaben des Vereins Transfair tragen es erst 28 deutsche Hochschulen. Das Siegel garantiert unter anderem, dass in Automaten und bei Veranstaltungen auf dem Campus nur fair gehandelte Lebensmittel angeboten werden.

Für die Ortsgruppen der Students for Future, die nun vielerorts entstehen, bleibt viel zu tun, wenn sie erreichen wollen, dass ihre Hochschulen Nachhaltigkeit nicht nur punktuell zum Thema machen, sondern fest in Lehre und Verwaltung verankern. Der erste bundesweite Hochschulstreik ist für die letzte Novemberwoche geplant und soll am Freitag, dem 29. November, in einen globalen Klimastreik münden. Dozenten sind aufgefordert, in der Streikwoche klimarelevante Themen zu behandeln und ihre Veranstaltungen für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Die Hochschule Bremerhaven hat das schon getan. Im Oktober widmete sie sich dem Klimawandel mit wissenschaftlichen Vorträgen und Workshops, die jedem Interessierten offenstanden. Auf dem Programm standen unter anderem Urban Farming, also Landwirtschaft in der Stadt, eine Kleidertauschbörse und ein Zero Waste Day. Auch Erstsemester Flegar bemühte sich an diesem Tag um leere Mülleimer, "aber das mache ich immer", sagt er. Ansonsten habe er von der Klimawoche leider wenig mitbekommen, da er seine regulären Kurse nicht verpassen wollte. Dem Aufruf der Initiatorin Katharina Theis-Bröhl, in Kursen klimarelevante Themen zu behandeln, seien die meisten Dozenten nicht gefolgt. "Ich will meine Hochschule auf einen nachhaltigen Weg bringen", sagt die Festkörperphysikerin und Dekanin der Technikfakultät. Vor etwa einem Jahr sei sie auf ein Video des Physikers Harald Lesch über den Klimawandel gestoßen. "Erst dadurch habe ich realisiert, dass es wirklich so dringend ist", sagt sie.

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