Schiedsrichter:Alle Rugby schauen!

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Der französische Rugby-Schiedsrichter Jerome Graces beim WM-Halbfinale zwischen Südafrika und Wales. (Foto: AP)

Die Attacken in der Kreisliga und die lasche Strafe gegen Franck Ribéry zeigen: Der Fußball muss seine Schiedsrichter besser schützen und sollte sich endlich ein Vorbild an anderen Sportarten nehmen.

Kommentar von Klaus Hoeltzenbein

Was hat der AC Florenz mit dem FSV Münster zu tun? In beiden Klubs wird Fußball gespielt, aber sonst? Beide Klubs könnten sportlich kaum weiter auseinanderliegen, Florenz ist in Italien erstklassig, Münster wird in Hessen in der Kreisliga C notiert. Trotzdem muss seit Sonntag die gedankliche Linie gezogen werden. Fast gleichzeitig kam es an beiden Orten zu Attacken auf die Unparteiischen. In Florenz wurde Franck Ribéry auffällig, der ehemalige Profi des FC Bayern hatte auf dem Weg in die Kabine zweimal den Linienrichter geschubst. In Münster wurde ein 22 Jahre alter Schiedsrichter von einem Amateur bewusstlos geschlagen. Er kam mit dem Rettungshubschrauber ins Krankenhaus.

Natürlich gibt es rechtsrelevante Unterschiede: in der Schwere der Attacke, aber auch in der Härte der Sanktion. Und dennoch geht es im Kern um dasselbe Vergehen, die Unantastbarkeit der Schiedsrichter wurde aufs Gröbste verletzt. Der Spieler, der in Münster zuschlug, wurde sofort ausgeschlossen, die erste Mannschaft vom Spielbetrieb abgemeldet. Offen ist, ob sich - wie immer häufiger bei Körperverletzungen gefordert - neben dem Sportgericht auch ein Zivilgericht der Tat annimmt. Im Fall Ribéry tagte das Fußball-Schnellgericht: drei Spiele Sperre, 20 000 Euro Geldstrafe für den 36 Jahre alten Franzosen, der den Linienrichter, so stellt es das Urteil fest, vor seiner Attacke zudem "bedroht" und mit "respektlosen" Aussagen behelligt habe. Automatisch folgt die Frage: Ist das angemessen? Ist das nicht viel zu milde bestraft?

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Der Begriff der "Vorbildfunktion" wird im Fußball oft überstrapaziert, hier aber benennt er zielgenau die Achse des Problems: Was oben passiert, kommt unten an. Wenn eine Handgreiflichkeit gegen das Schiedsgericht von einem Weltstar wie Ribéry wie ein Kavaliersdelikt eingestuft wird, dann ist ein abschreckender Reflex auf die unteren Klassen nicht vorhanden. Dabei ist das Spektrum der Sanktionen im Profifußball deutlich breiter, wie der gravierendste Fall in Deutschland zeigt: Knapp sieben Monate wurde 2012 der bis dahin kaum verhaltensauffällige Lewian Kobiaschwili gesperrt - er soll, was er bis zuletzt bestritt, nach dem wilden Relegationsspiel von Hertha BSC Berlin bei Fortuna Düsseldorf im Kabinengang Schiedsrichter Wolfgang Stark einen Faustschlag versetzt haben.

Aktuell hat es den Anschein, als habe sich der Kampf gegen Gewalt auf den Fußballplätzen zur gesamtgesellschaftlichen Herausforderung gesteigert. Ausgerechnet an jenem Wochenende, an dem sich die Vorfälle in Florenz und Münster ereigneten, hatte ein Streik der Berliner Schiedsrichter in den unteren Klassen eine Art Weckruf sein sollen. Die Frage ist aber auch, was der Fußball selbst tun kann, tun muss - er läuft ja Gefahr, immer weniger Freiwillige zu finden, die ihr Wochenende opfern, um schlagende Amateure, renitente Familienväter oder Stellvertreterkonflikte unterschiedlicher Volksgruppen zu befrieden.

Wer einen Lösungsansatz direkt auf dem Rasen sucht, hat am Samstag um 10 Uhr einen Pflichttermin: Rugby-WM-Finale in Yokohama, England gegen Südafrika. Der Schiedsrichter dort ist natürlich sakrosankt, doch dieser Status wird viel klarer als im Fußball betont. Nur der Kapitän darf in seiner Nähe auftauchen und direkt bei ihm vorsprechen (im Eishockey ist es ähnlich). Er bekommt eine Entscheidung exklusiv erklärt, dreht ab und erläutert sie seinem Team. Kein Gefuchtel, kein Gewimmel, keine nervtötende Rudelbildung. Die Zahl der Hitzköpfe, die überhaupt in eine Schlagdistanz kommt, wird so erheblich reduziert. Eine solche Toleranzzone fehlt dem Fußball, sie könnte bis runter in die Kreisklasse die Autoritäten betonen und deeskalierend wirken. Fraglich ist, ob der selbstverliebte Fußball sich anderswo etwas abschaut. Er hätte schon jahrelang Zeit dazu gehabt.

© SZ vom 31.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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