Sachbuch :Friedliche Revolution, die Mauer muss weg

70 Jahren deutsche Geschichte: Der zwölfjährige Theo will endlich wissen, wie die Verwandten in Ost und West gelebt haben. Dafür begibt er sich auf eine Wissensreise und forscht innerhalb der Familie und bei Zeitzeugen nach.

Von Roswitha Budeus-Budde

Warum gibt es immer wieder Streit auf den Familientreffen, wenn über die DDR geredet wird, wenn der Großvater sich noch stolz als Ossi bezeichnet und der SED nachtrauert und die Großmutter, die schon immer eine Gegnerin des Regimes war, ihm knallhart die Unterdrückungsmechanismen dieser Parteidiktatur vorhält? Der zwölfjährige Theo will endlich Fakten. Und die besorgt er sich, indem er nachforscht und zuhört auf dem Wochenende mit den Verwandten. Und, wenn er sich gar nicht mehr auskennt, von seinem erwachsenen Freund, einem versierten Amateurhistoriker, sich über die politische und soziale Realität der letzten 75 Jahre in Deutschland informieren lässt.

Es geht in diesem erzählenden Sachbuch um Gesamtdeutschland. Die Autorin Juliane Breinl, die als Elfjährige fünf Jahre vor dem Mauerfall per Ausreiseantrag mit ihrer Familie die DDR verließ, hat die politische Entwicklung in der BRD immer mit im Blick, setzt beide politischen Systeme nebeneinander, wenn sie am Anfang darüber informiert, was die USA in Westdeutschland und die Sowjetunion in Ostdeutschland nach dem Krieg planten. Oder wie die Wirtschaftssysteme, die soziale Marktwirtschaft und die sozialistische Planwirtschaft funktionierten. Und welche Auswirkungen der kalte Krieg in Ost und West hatten. Doch Breinl will die politischen Ereignisse nicht wie in einem Schulbuch aufbereiten, sondern für junge Leser lebendig machen. Einmal durch die fortlaufend sehr kontroversen Diskussionen innerhalb der Familie, dann durch die zahlreichen Erinnerungen von Zeitzeugen, die einen besonderen Platz in diesem Layout einnehmen. Das mit vielen Fotos aus 40 Jahren Leben in der DDR manchmal wie eine Zettelkasten wirkt, den Theo für sich selbst angelegt hat.

In den vier großen Kapiteln - "Warum war Deutschland geteilt?" "Nicht nur die Mauer trennte zwei Deutschland", "Friedliche Revolution, die Mauer muss weg" und "Gibt es noch Ossis und Wessis?"- steht natürlich auch das Alltagsleben im Mittelpunkt, das so ganz anders war, als es sich Jugendliche in Deutschland heute vorstellen können. Mit einer Schule, die forderte, in die FDJ einzutreten, wenn man studieren und nicht Gefahr laufen wollte, als Klassenfeind diskriminiert zu werden. Es ist auch spannend zu entdecken, wie unterschiedlich die Frauen in Ost und West lebten: "Berufstätige Frauen im Osten. Frauenbewegungen im Westen." Auch das dunkle Kapitel der DDR-Geschichte fehlt nicht, die Macht und Brutalität der Behörde für Staatssicherheit.

Das Buch endet nicht mit dem Mauerfall, sondern Theo muss sich auch mit den politischen Verwerfungen nach der Wiedervereinigung auseinandersetzen. Die hier diskutiert werden unter dem Schlagwort "Rechtsextreme gibt es nicht nur im Osten", oder: "Ist Fremdenhass ansteckend?" Immer wieder finden sich zwischen den Texten typische DDR-Witze, die die Stimmung der Bevölkerung wiedergeben. Wie dieser aktuelle: Sagt ein Wessi zu einem Ossi: Wir sind ein Volk. Lächelt der Ossi: Wir auch. (ab 12 Jahre)

Juliane Breinl: Mein Mauerfall. Von der Teilung Deutschlands bis heute. Ars Edition, München 2019. 139 Seiten, 15 Euro.

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