Inflation oder Deflation:Der Wert des Geldes

Anlieferung von Geld in einem Möbelwagen, 1923

Viele, viele Scheine: Boten liefern 1923 einer Bank Geld im Möbelwagen. Viel wert sind die Scheine wegen der Hyperinflation nicht mehr.

(Foto: SZ Photo)

Viele Deutsche schätzen die Preisentwicklung in der Weimarer Republik falsch ein. In Erinnerung blieben die Hyperinflation und Menschen, die ihr Geld in Möbelwagen und Schubkarren zur Bank brachten. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit.

Von Bastian Brinkmann

Es sind Schlagworte aus dem Geschichtsunterricht über die Weimarer Republik: Deutschland litt unter der Hyperinflation, dann brach die Weltwirtschaftskrise aus, und Reichskanzler Heinrich Brüning betrieb eine eiserne Sparpolitik. Schließlich endete die Weimarer Republik mit allen bekannten katastrophalen Folgen.

In der Rückschau zeigt sich jedoch heute: Viele Deutsche haben die Wirtschaftsgeschichte der Weimarer Republik anders in Erinnerung. Das zeigt eine Umfrage der deutsch-französischen Denkfabrik Jacques Delors Institut, deren Ergebnis zum Amtsantritt von Christine Lagarde als Präsidentin der Europäischen Zentralbank veröffentlicht wurde (PDF).

Demnach erinnern sich viele nur an die Hyperinflation und die Wirtschaftskrise, obwohl Jahre zwischen beiden Phasen lagen. Brünings Sparpolitik löste das Gegenteil einer Inflation aus, nämlich eine heftige Deflation. Doch die kommt in der Erinnerung fast nicht vor. "Für viele Deutsche verschmilzt die Zeit der Hyperinflation nach dem Ersten Weltkrieg und der Weltwirtschaftskrise zu einer umfassenden Krise", schreiben Nils Redeker und Kollegen vom Delors-Institut.

Etwa 40 Prozent der Deutschen nannten in der Umfrage von sich aus Hyperinflation, sehr hohe Inflation oder Geldentwertung als wirtschaftliche Probleme der Weimarer Republik während der Weltwirtschaftskrise. Die Umfrageteilnehmer wurden auch gefragt, wie hoch die Inflation auf dem Tiefpunkt der Wirtschaftskrise 1932 war. Jeder Zweite ging davon aus, dass sie damals bei zehn Prozent und mehr lag, 15 Prozent schätzten die Inflation sogar auf 100 Prozent und höher. Tatsächlich fielen die Preise 1932, statt zu steigen, und zwar um mehr als zehn Prozent. Nur rund vier Prozent der Befragten nannten Deflation als Problem der späten Weimarer Republik.

Die historischen Bilder der Hyperinflation sind auch eindrücklicher als die der Deflation. Wegen der Geldentwertung fuhren Menschen mit einer Schubkarre voller Geld zum Einkaufen. In Läden stapelten sich die wertlosen Papierbündel auf den Tresen, auf Scheine wurde "Hundert Billionen Mark" gedruckt. Die Deflation dagegen bleibt abstrakt.

Abgefragt wurde neben Wirtschaftsgeschichte auch der sozio-ökonomische Hintergrund der Befragten. Aus den Daten zeigt sich, in welchen Gruppen in Deutschland das Inflationsnarrativ besonders stark ist. Männer glauben eher daran als Frauen, Ältere eher als Jüngere. Anfällig sind zudem gebildetere Menschen, die politisch besonders interessiert sind. Die Inflation/Deflation-Verwirrung ist also kein Zeichen dafür, dass man desinteressiert an politischen Entscheidungen ist, wenig über Politik weiß oder öffentliche Debatten nicht verfolgt, schlussfolgern die Delors-Autoren. Keinen statistischen Unterschied gibt es zwischen Ost und West, ebenso wenig wie zwischen Menschen mit eher linker oder eher konservativer politischer Einstellung. Nur einen Unterschied fanden die Forscher hier: Wird die Wirtschaftskrise oder die Hyperinflation erwähnt, äußerten sich Konservative anschließend skeptischer über Inflation als eher links eingestellte Menschen.

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