Geschwister-Scholl-Preis:Durch die Wand

Ahmet Altan 2015 auf dem Edinburgh International Book Festival.

Ahmet Altan wurde als Journalist und Schriftsteller in der Türkei bekannt.

(Foto: Action Press)

Der türkische Autor Ahmet Altan wird dieses Jahr mit dem Geschwister-Scholl-Preis ausgezeichnet - für sein Werk, das er im Gefängnis geschrieben hat.

Von Johanna Pfund

Der Geschwister-Scholl-Preis feiert ein Jubiläum. Bereits zum 40. Mal verleihen die Landeshauptstadt München und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, Landesverband Bayern, den Preis an einen mutigen Autor oder eine mutige Autorin. Im Jubiläumsjahr ist es ein Schriftsteller, der bis vor wenigen Tagen noch im Gefängnis saß und erst Anfang November unter Auflagen freigelassen wurde.

Ahmet Altan war im Juli 2016 verhaftet worden. Die türkische Regierung warf dem Journalisten und Schriftsteller vor, an dem Putschversuch gegen die türkische Regierung im Juli 2016 teilgenommen zu haben, und zwar mittels der "Verbreitung einer unterschwelligen Botschaft". Im Februar 2018 wurde Altan gemeinsam mit weiteren Journalisten zu lebenslanger Haft verurteilt, in der Zwischenzeit wurde das Urteil abgemildert, aber nicht aufgehoben. Anfang Oktober entschied ein Gericht, dass Altan weiter ein Gefangener bleibt.

Jetzt, Anfang November, die Nachricht, dass Altan zwar zu einer Haftstrafe verurteilt ist, jedoch auf freien Fuß kommt und die Türkei nicht verlassen darf. Der Geschwister-Scholl-Preis ist in den vergangenen Jahren oft an Autoren verliehen worden, die Sprachrohr mutiger Menschen sind. Glenn Greenwald hat die Geschichte des Whistleblowers Edward Snowden erzählt und wurde 2014 dafür gewürdigt, die französische Journalistin Garance Le Caisne erhielt den Preis 2016 für ihre Dokumentation der syrischen Todesmaschinerie. Altan ist nun ein Preisträger, der selbst in Gefahr geraten ist.

Was Altan in diesen Tagen, Monaten und Jahren, in denen sein Leben auf eine winzige Gefängniszelle reduziert war, durch den Kopf gegangen ist, das hat er in einem Buch aufgezeichnet. "Ich werde die Welt nie wiedersehen" lautet der Titel (S. Fischer, 2018). Wie hoffnungslos. Ein abendlicher Restaurantbesuch, Tagungen, die Familie, die Frau - all diese Ingredienzien eines westlich-bürgerlichen Alltags gehören von einem Tag auf den anderen der Vergangenheit an. Nicht einer lange vergangenen Zeit, an die sich bestenfalls Eltern oder Großeltern erinnern, sondern dem Hier und Jetzt, während man das Buch liest, während manche wohl nur wenige Stunden entfernt vom Ort dieses Gefängnisses ihren Urlaub verbringen.

Altan könnte verzweifeln. In manchen Passagen kommt dies zum Ausdruck. "Ich werde die Welt nie wiedersehen. Nie wieder werde ich einen Himmel sehen, der nicht von den Mauern des Gefängnishofs eingegrenzt ist. Ich steige in den Hades hinab." Hat er sein Schicksal nicht schon früher beschrieben, in einem seiner Bücher? Hat er das Schicksal herausgefordert? Der Verzweiflung setzt der Autor trotzig seine Hoffnung entgegen. Nämlich die Hoffnung auf die Freiheit im Kopf. Wie in dem alten Volkslied "Die Gedanken sind frei" sinniert der heute 69-Jährige über die Möglichkeiten, seiner Zelle zu entfliehen. Niemand kann Herrschaft über seine Gedanken gewinnen. Altan zehrt in der Einzelhaft von seinem Wissen über Literatur. Gustave Flaubert, Leo Tolstoi, Doris Lessing besuchen ihn in seinem Gehirn. Altan überlegt, welchen Part Intuition für Schriftsteller spielt, ob das Geniale doch eher aus Intuition denn aus Wissen entsteht. Es erscheint als Luxus, sich in einer ausweglosen Situation Gedanken über die Rolle der Intuition zu machen. Oder ist dies notwendig für das Überleben? "Die mich hier eingesperrt haben, mögen die Macht dazu besitzen. Doch mich im Gefängnis festzuhalten, dazu reicht ihre Macht nicht ... Weil ich die Zaubermacht besitze, die allen Schriftstellern eigen ist. Ich kann mühelos durch Wände gehen." In der Tat.

Lesung, Dienstag, 26.11., 20 Uhr, Lehmkuhl

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