Handke-Debatte:Zitate als Zeugen

Der Suhrkamp Verlag versucht den internationalen Ruf seines Autors Peter Handke durch eine Handreichung zu retten, in der Zitate aus seinem Werk zum Teil zum ersten Mal ins Englische übersetzt werden. Wird ihm das helfen?

Von Lothar Müller

Der amerikanische Autor und Übersetzer Scott Abbott betreibt seit Jahren den Blog "The Goalie's Anxiety". Der Titel ist eine Hommage an Peter Handkes Roman "Die Angst des Tormanns beim Elfmeter" (1970). Abbott hat mehrere Texte von Handke übersetzt, darunter auch "Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien" (1996). Nun hat er eine Handreichung in seinen Blog gestellt, die der Suhrkamp Verlag am 31. Oktober unter dem Titel "Peter Handke. Clarifications, materials and further sources related to an ongoing debate" herausgegeben und mit dem Vermerk "Work in Progress" versehen hat.

Das 24-seitige Papier existiert ausschließlich auf Englisch. Es dürfte der Sorge des Verlages um den internationalen Ruf seines Autors - nicht zuletzt in der europäischen und angelsächsischen Verlagsszene - entsprungen sein. Und der Hoffnung, auf die Debatte über Handkes Schriften und Interviews zu Jugoslawien und den Kriegen, in denen es in den Neunzigerjahren zerfiel, durch Zitate aus diesen Schriften und Interviews Einfluss zu nehmen.

Nur wenige der in Band 10 und 11 der im Jahr 2018 erschienenen Handke-Werkausgabe zu findenden einschlägigen Texte sind international in Übersetzungen greifbar. Die Suhrkamp-Handreichung stellt die Vorwürfe zusammen, die Handke in der internationalen Presse nach seiner Wahl zum Nobelpreisträger gemacht wurden, etwa den, er sei ein Leugner des Genozids von Srebrenica, und konfrontiert sie mit - häufig erstmals übersetzten - Passagen aus Handkes Schriften. Das zentrale Argument: Handke habe nie die Existenz von Völkermord und Kriegsverbrechen in den Jugoslawien-Kriegen geleugnet, lediglich die Art und Weise in Frage gestellt, in der darüber berichtet wurde.

An der Struktur der Debatte in Deutschland wird diese Handreichung wenig ändern. Sie reagiert weniger auf die Dankesrede zum Deutschen Buchpreis, in der Saša Stanišić die Wahl Handkes zum Nobelpreisträger attackierte, als auf die Artikel, in denen etwa Aleksandar Hemon in der New York Times oder Peter Maass in The Intercept Handke als Völkermord-Apologeten darstellten.

Die Evidenz von Zitaten ist nicht gegeben, sondern wäre durch die Debatte erst herzustellen

Aber der Hinweis, dass Handke bereits 2006 vom "Genozid von Srebrenica" gesprochen habe, wird so wenig Folgen haben wie die Korrektur der Falschbehauptung, Handke habe sich beim Kriegsverbrecherprozess gegen Slobodan Milošević in Den Haag als Entlastungszeuge zur Verfügung gestellt. Und von der Angst des Tormanns und den anderen derzeit überschatteten Werkregionen wird auch weiterhin nicht die Rede sein.

Dies nicht etwa deshalb, weil die in der Suhrkamp-Handreichung zusammengestellten Zitate aus dem Zusammenhang gerissen wären. Dieser wohlfeile Vorwurf lässt sich jedem Zitat machen, es gehört zu seiner Natur, aus einem Kontext herausgelöst zu sein. Die Debatte wird ihre Struktur behalten, weil diese Struktur so beliebt ist. Es ist die Struktur des Tribunals, in dem jedes Zitat dazu verurteilt ist, Zeuge entweder der Anklage oder der Verteidigung zu sein. Diese Rolle kann es umso besser speilen, je eindeutiger es ist, je mehr Anspruch auf Evidenz es erheben kann.

Hier aber liegt das Problem in den Schriften und Interviews Handkes zu den Kriegen und Massakern in Jugoslawien. Das hängt nicht mit dieser oder jener "poetisierenden" Wendung zusammen (Achtung, "andersgelbe Nudelnester"!), sondern mit der Zwielichtigkeit der Ich-Figuren. Unverkennbar gibt es in ihnen ein Ich, das wünschen möchte, die Massaker von Srebrenica seien nicht allein von den bosnischen Serben zu verantworten, es gibt aber auch das Ich, das diesem Wunsch ins Wort fällt. Und es gibt das Ich, das sich im Blick auf die Brücke über der Drina in Visegrád weigert, das dort verübte Massaker an bosnischen Muslimen in den Sprachbildern eines amerikanischer Reporter in sich eingehen zu lassen. Dieses Ich entgeht nur knapp der Versuchung, mit den Bildern das Ereignis selber in Frage zu stellen, und muss sich fragen lassen, warum es die Vorstellung der bosnisch-muslimischen Opfer und der bosnisch-serbischen Täter nur widerstrebend in sich aufnehmen kann.

Die Suhrkamp-Handreichung mag eindeutige Falschaussagen über Handke korrigieren. Der in ihnen enthaltene Appell, Handke zu lesen, am besten die gesamten Bände 10 und 11 seiner Werkausgabe, führt in Regionen, in denen die Evidenz von Zitaten nicht gegeben, sondern in der Debatte erst herzustellen ist. Das ist die Konsequenz der in den vergangenen Wochen häufig formulierten Einsicht, Handkes Aussagen über die Kriege und Massaker in Jugoslawien ließen sich von ihrer literarischen Form nicht trennen.

Es gibt eine weitere Grenze dieser informellen, in Verlagen, bei Übersetzern und in Redaktionen kursierenden Handreichung. Sie ersetzt nicht eine Äußerung Peter Handkes selbst. Die Form einer Selbstverteidigung des Angeklagten vor dem Internationalen Handke Tribunal müsste sie nicht annehmen. Es wäre schon viel gewonnen, wenn das Ich des Autors und Nobelpreisträgers im Jahr 2019 als Leser der Bände 10 und 11 seiner Werkausgabe vor das Publikum träte.

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