Fernverkehr:Warum der Circus Roncalli per Bahn reist

Circus Roncalli in München, 2010

Etwa 75 Zirkusfahrzeuge transportiert der Circus Roncalli auf den 50 Bahnwaggons.

(Foto: Stephan Rumpf)

Der Circus Roncalli zieht mit einem Teil seines Trosses noch per Zug durch die Gegend. Dabei kämpft er mit Problemen, die auch viele Bahnkunden gut kennen.

Von Marco Völklein

Zeit ist Geld - das gilt auch für ein Unterhaltungsunternehmen. Beim Circus Roncalli zum Beispiel lief am vergangenen Dienstagabend die letzte Vorstellung des diesjährigen Gastspiels in München. Gegen 22.30 Uhr verabschiedeten die Darsteller die letzten Besucher aus der Manege, direkt danach legten die Arbeiter los und fingen damit an, das große Zelt abzubauen, das Vordach am Kassenwagen einzuklappen und das Café-Zelt abzumontieren. Dann musste der ganze Kram nach Bremen und dort wieder aufgebaut werden, damit von kommendem Mittwoch an die Vorstellungen wieder beginnen. Das Besondere dabei: Einen Großteil des Equipments transportiert Roncalli mit der Bahn.

Etwa 100 Fahrzeuge umfasst der Roncalli-Tross. Viele davon sind historische Zirkus- und Schaustellerwagen, einige davon mehr als 100 Jahre alt. Als Roncalli-Mitgründer Bernhard Paul in den Siebzigerjahren mit dem Aufbau seines Zirkus begann, legte er auch den Grundstein für eine der umfangreichsten Sammlungen von historischen Zirkuswagen, sagt Betriebsleiter Patrick Philadelphia. Zwei prunkvolle "Fassadenwagen" zählt er dazu, außerdem Verkaufs- und Kassenwagen, Wohn-, Pack- und Garderobenwagen, Dusch- und Toilettenwagen. Sogar einen Schneidereiwagen gibt es, in dem sich eine Schneiderin bereithält, um beschädigte Kostüme zu reparieren. Philadelphia: "Dieses Wagenmaterial muss gepflegt und geschont werden."

Für den Betriebsleiter ist daher klar: Eine Strecke von München nach Bremen, insgesamt mehr als 700 Kilometer lang, können diese Wagen kaum auf eigener Achse bewältigen. Die Zirkusleute ziehen die Wagen deshalb mit einem Traktor zu einer nahen Verladestelle und schieben sie dort auf 50 flache Bahnwaggons. "Vier Kilometer bis zur Verladestelle im Münchner Norden", sagt Philadelphia. "Das ist okay." 75 Zirkuswagen laden seine Leute so auf die Waggons; den Rest, etwa 25 Transporte, wickelt der Zirkus über die Straße ab: Besonders lange und schwere Wohnwagen gehören dazu. Aber auch das komplette Zelt landet auf Tiefladern und wird über die Autobahn zum nächsten Spielort gefahren. Dennoch: "Drei Viertel des Zirkus reisen per Bahn", sagt Philadelphia.

Damit ist Roncalli mittlerweile eine Ausnahme in der Branche. Früher war das anders, sagt Julia Voigt vom DB-Museum in Nürnberg. Die Historikerin hat zuletzt eine Sonderausstellung zur Geschichte des Gütertransports auf der Schiene konzipiert, ein Teil davon befasst sich auch mit Zirkus- und Schaustellerfahrten. Demnach setzten mit dem Beginn des Eisenbahnzeitalters auch viele Zirkusfamilien auf das neue Verkehrsmittel, um ihren Radius zu vergrößern, über Nebenbahnen wurden auch kleinere Spielorte erreicht. Auch Zirkustiere reisten im Zug; für Giraffen gab es Waggons mit erhöhten Dächern, Waggons für Raubkatzen wurden "besonders ausbruchsicher" gefertigt, sagt Voigt. Für den Münchner Circus Krone wurden 1925 drei Elefantenwagen gebaut, zwei wurden nach 1945 verschrottet, der dritte blieb laut Voigt bis 1999 in Betrieb. "Danach stieg der Circus Krone auf den Straßentransport um." Ebenso wie viele andere.

eine Sonderausstellung des DB Museums in Nürnberg zum historischen Güterverkehr, bitte nur zur Verwendung frei in Zusammenhang mit der Besprechung der Ausstellung im Mobilen Leben. 
Quelle: DB Museum Nürnberg

Solche Fracht ist heutzutage kaum mehr denkbar: In den Fünfzigerjahren fuhren Zirkustiere wie diese Giraffe per Bahn zum nächsten Spielort.

(Foto: DB Museum Nürnberg)

Mit ein Grund dafür war auch, sagt Voigt, dass viele Nebenstrecken zurückgebaut und Güterbahnhöfe aufgegeben wurden. Damit hat auch Roncalli-Betriebsleiter Philadelphia zu kämpfen. Allein die Frage, wo er seine 50 Bahnwaggons entladen soll, wird zunehmend kniffliger. "Früher gab es in fast jeder Stadt einen Güterbahnhof mit einer Rampe", sagt Philadelphia. Allein schon, weil vielerorts Militärfahrzeuge auf die Bahn verladen wurden. Mittlerweile haben solche Rampen Seltenheitswert. In Bremen etwa gibt es keine mehr, Philadelphia ließ deshalb vor Kurzem für knapp 10 000 Euro von einer Spezialfirma in Aachen eine portable Rampe aus Stahlträgern und Holzbohlen zimmern, (per Lkw!) nach Bremen fahren und dort auf einem Gelände des Hafenbetreibers BLG errichten. "Andernfalls hätten wir nicht in Bremen spielen können."

Außerdem hat auch ein Zirkus mit den Schwierigkeiten zu kämpfen, mit denen sich viele ganz normale Bahnreisende herumschlagen. "Die Pünktlichkeit ist ein Problem", sagt Philadelphia. Und die Sache mit der verkehrten Wagenreihung: Damit die Arbeiter mit ihrem Traktor die Zirkuswagen von den Bahnwaggons ziehen können, müssen Letztere richtig herum an die Laderampe heranrangiert werden. Nicht selten aber kommt es vor, berichtet Philadelphia, dass der Zug erst gedreht werden muss, weil die Waggons falsch herum ankommen. "Und einen Sonderzug zu drehen", sagt der Zirkus-Chef, "das kann schon mal einige Stunden dauern."

Auf den Bahntransport verzichten allerdings will Roncalli auf keinen Fall. Insbesondere für lange Strecken sei die Fahrt auf der Schiene immer noch deutlich günstiger als der Transport auf der Straße, sagt Philadelphia. Theoretisch könnte man zwar die Zirkuswagen auch auf Tieflader packen und auf der Autobahn zum nächsten Spielort fahren - aber allein die Fahrer dafür zu finden, sei schwierig und kostspielig. Und mittlerweile hat er einige seiner Zirkuswagen mit kleinen GPS-Sendern ausgestattet, erzählt Philadelphia. "So können wir sehen, wo der Zug gerade ist." Der Vorteil: Bei einer Verspätung könne einem so keiner mehr weismachen, der Zug sei in Bälde am Zielort. "Veräppeln lassen wir uns jetzt nicht mehr."

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