Ayodhya:Indiens Justiz sendet ein fragwürdiges Signal

Ayodhya: Nach dem Urteil entzünden Anwohner Lichter.

Nach dem Urteil entzünden Anwohner Lichter.

(Foto: AFP)

Der indische Ort Ayodhya stand im Zentrum blutiger Unruhen zwischen Hindus und Muslimen. Jetzt gibt es ein Urteil, das juristisch haltbar sein mag. Die Wunden heilen wird es nicht.

Kommentar von Arne Perras, Singapur

Gibt es Streit im Leben, können Menschen vor Gerichte ziehen. Das ist gut, weil solche Verfahren oft verhindern, dass Konflikte mit Gewalt ausgetragen werden. Manchmal aber ist die Justiz reichlich überfordert, manchmal wird von ihr erwartet, dass sie Knoten aufdröselt, die unauflösbar sind. So ist das auch im Streit um Ayodhya in Indien. Dort hat das oberste Gericht ein Urteil gesprochen, das zwar die große Mehrheit der Inder glücklich macht. Aber eine Minderheit lassen die Richter frustriert zurück. Ob dieses Urteil tatsächlich Ruhe und Versöhnung in diesem Streit bringt, ist deshalb nicht gewiss.

Es ging - stark vereinfacht - um die Frage, wer künftig beten darf auf einem kleinen umkämpften Stück Land. Schon lange streiten darüber Hindus und Muslime in Ayodhya, der Ort ist zum Symbol für die Bruchlinien der indischen Gesellschaft geworden. Die Richter in Delhi waren mit einem Fall befasst, der politisch und religiös extrem aufgeladen ist. Und gerade deshalb entzieht er sich einer rein juristischen Lösung.

Ein Symbol für die Verwundbarkeit einer pluralistischen Gesellschaft

Das liegt auch an der Last des Jahres 1992, in dem Ayodhya zur Bühne eines Sündenfalls wurde, der bis heute nachwirkt. Damals fielen Zehntausende Hindu-Eiferer über die alte Babri-Moschee aus dem 16. Jahrhundert her, in ihrem entfesselten Fanatismus zertrümmerten die Angreifer die muslimische Gebetsstätte, weil sie unter der Moschee den Geburtsort ihres Gottes Ram vermuten.

Die Tat hatte verheerende Folgen, sie provozierte religiöse Unruhen, die 2000 Todesopfer im Land forderten. So wurde der Ort Ayodhya zum Symbol für die Verwundbarkeit einer pluralistischen Gesellschaft.

Nur konsequente Versöhnungsarbeit kann solche Wunden heilen und Gräben überbrücken. Zwar haben Gewaltausbrüche zwischen Hindus und Muslime in Indien eine lange Geschichte. Doch der Exzess von Ayodhya im Jahr 1992 hat die Kluft vertieft und das Misstrauen untereinander verschärft. Hinter der Wut steckt die zersetzende Kraft eines religiösen Fanatismus, der den inneren Frieden Indiens bedroht.

Die Richter hatten in diesem Verfahren nicht über die Schuld der Täter zu befinden, vielmehr fällten sie ein Urteil über rivalisierende Ansprüche auf das Land. Sie fanden Hinweise überzeugend, dass die Moschee des 16. Jahrhunderts tatsächlich auf Resten einer älteren, wahrscheinlich hinduistischen Gebetsstätte errichtet wurde. Das Verfassungsgericht hat dann, basierend auf archäologischen Erkenntnissen, den Weg für die Hindus frei gemacht, ihren lang ersehnten Tempel in Ayodhya zu bauen - und zwar genau dort, wo bis 1992 die Moschee stand. Die Muslime sollen mit einem anderen Stück Land kompensiert werden.

Das Urteil der fünf Richter erfolgte einstimmig, juristisch mag es haltbar sein, doch nach der Zerstörung der Babri-Moschee und den blutigen Unruhen, die folgten, sendet die Entscheidung doch ein fragwürdiges Signal. Denn die indische Justiz scheint nun ausgerechnet jenen Kräften den Weg zu ebnen, die vor fast drei Jahrzehnten versuchten, mit Gewalt Fakten zu schaffen.

Das pluralistische Erbe Indiens verblasst

Wie immer man die komplizierten historischen Verhältnisse in Ayodhya bewerten mag - sicher ist, dass dieses Urteil die Sehnsüchte einer breiten Hindu-Mehrheit befriedigt. Und diese Mehrheit scheint immer weniger Wert auf das pluralistische Erbe im Land zu legen. Die indischen Muslime haben schon damit gerechnet, dass sie als religiöse Minderheit mit ihren Interessen zurückstecken müssen. Bei vielen dürfte unterschwellig ein Gefühl von Frust und Ohnmacht zurückbleiben, weil das Gericht aus ihrer Sicht keine Balance gefunden hat, die beiden Seiten gerecht wird.

Mutig wäre es, Ayodhya in einen gemeinsamen Erinnerungsort zu verwandeln; eine Stätte, die Muslime und Hindus zusammenführt und miteinander versöhnt. Doch das Klima ist dafür viel zu aufgeladen, ein solcher Schritt scheint derzeit kaum möglich. Die Hindu-Mehrheit ist nur durch den Bau eines Ram-Tempels zufrieden zu stellen. Er wird nun bald das neue Indien widerspiegeln, das der hindu-nationalistische Premier Narendra Modi seinen Wählern versprach: In diesem Indien verblasst das pluralistische Erbe immer mehr, es triumphiert ein Hindu-Nationalismus, der Dominanz einfordert. Den Interessen von Minderheiten lässt er immer weniger Raum.

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