"Zündfunk Netzkongress":Apokalypse und Aktivismus

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Im siebten Jahr seiner Existenz steht der Zündfunk Netzkongress im Zeichen der Krise: des Klimas, der Demokratie und des Netzes. Doch eine gute Nachricht gibt es.

Von Max Muth

Das "Institut für Radiotaktik", wie sich die Zündfunk-Redaktion bisweilen nennt, steht im Bayerischen Rundfunk für Journalismus mit Blick nach vorn und mit Haltung. Nicht überraschend also, dass das ehemalige Jugendmagazin des BR mittlerweile im siebten Jahr bei seinem Netzkongress den Zustand des Internets seziert.

Im Jahr 2019 herrschen die Themen Apokalypse und Aktivismus vor. Im Reich der Apokalypse finden sich autoritäre Regime, Künstliche Intelligenzen und Internetplattformen, die nicht besonders gesund, aber dafür besonders mächtig sind. Nicht fehlen darf derzeit - womit wir beim Aktivismus wären - die ultimative Apokalypse, der Klimanotstand, die aufbegehrende Jugend. Zumindest als Thema, das Publikum im Münchner Volkstheater ist überwiegend deutlich jenseits der dreißig. Klimaforscher Professor Michael Sterner warnt stellvertretend: "Neun Jahre haben wir noch, dann ist der tipping point erreicht." Also der Punkt, an dem die Menschheit den weltweiten Temperaturanstieg nicht mehr in der Hand hat. Die ohnehin nicht sonderlich optimistische Stimmung derjenigen, die das Netz mal als unbegrenzten Möglichkeitsraum wahrnahmen, wird 2019 noch unterfüttert vom Sound der echten drohenden Apokalypse.

Die gute Nachricht: Die Politik sei mittlerweile aufgewacht

Das scheint auch den Organisatoren aufgefallen zu sein, sie haben versucht, dem dystopischen Grundton positive Entwürfe gegenüberzustellen. "Frei. Vernetzt. Für alle" steht auf den verteilten Jutebeuteln. Es wird über nachhaltige Software geredet, in Workshops beraten, wie die Wikipedia bunter und weiblicher werden kann und wie sich Otto-Normalbürger gegen Hacker und Überwachung schützt. Doch die Utopie, so viel sei verraten, hat sich nicht durchgesetzt. Defensive ist die Devise, echte Hoffnung sieht anders aus.

Paradigmatisch für die Stimmung im Netz ist der Vortrag der klugen österreichischen Autorin Ingrid Brodnig, die zentrale Thesen ihres Buches "Übermacht im Netz" referiert: Die Daten, das Wissen, die Macht sind konzentriert in der Hand weniger Konzerne. "Warum darf Mark Zuckerberg entscheiden, was die Normen der digitalen Gesellschaft sind?" Die Erklärung: eine Melange aus Untätigkeit der Politik, Naivität der Nutzer und Netzwerkeffekten, die keiner kommen sah. Widerspruch erntet Brodnig dafür nicht, die gemeinten Konzerne waren laut Zündfunk-Chef Jan Heiermanneingeladen, die meisten machten sich nicht einmal die Mühe abzusagen. Die gute Nachricht von Autorin Brodnig: Was wir mit dem Internet erleben, passiert mit jeder Technologie. Erst kommt der Wilde Westen, dann das Problembewusstsein, dann die Regulierung. Und die Politik sei aufgewacht: Allerorten werde beratschlagt, wie die Macht im Netz zurückgewonnen werden kann. Bis die richtigen Lösungen gegen Hatespeech, Desinformation und Datenmissbrauch gefunden sind, könne es aber noch dauern.

© SZ vom 11.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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