Frankreich und Deutschland:Macron tritt auf wie der Erbe eines Imperiums

FILE PHOTO: French President Emmanuel Macron reacts during the inauguration of Centre Pompidou West Bund Museum in Shanghai

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron

(Foto: REUTERS)

Das außenpolitische Gebaren des französischen Präsidenten in den vergangenen Monaten ist unsensibel, unzuverlässig und übergriffig. Doch eines ist es nicht, und das ist entscheidend: uneuropäisch.

Kommentar von Nadia Pantel, Paris

Wenn in Deutschland an diesem Montag der Gedenktrubel erst mal ein Ende hat, bleiben in Frankreich Schulen und Geschäfte geschlossen. Der 11. November, der Tag, an dem vor 101 Jahren der Erste Weltkrieg endete, ist in Frankreich Feiertag. Ein Anlass, Hunderttausender junger Männer zu gedenken, die im Kampf gegen die Deutschen ihr Leben ließen. Emmanuel Macron begeht den 11. November dieses Mal sehr unauffällig. Der Tag wird für ihn eingerahmt von einem Besuch in Berlin, wo er am Sonntagabend mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Kanzlerin Angela Merkel den Fall der Mauer feiert. Und von einer Friedenskonferenz, die Macron am 12. November in Paris veranstaltet.

Aus deutscher Perspektive mag es überraschen, dass die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg in Frankreich so lebendig bleibt. Nicht nur Geschichtslehrer halten an ihr fest, sondern Familien im ganzen Land. Nationale Gedenkkalender folgen unterschiedlichen Rhythmen. Es schadet nicht, sich das bewusst zu machen, wenn man verstehen will, wie ernst es Macron mit der deutsch-französischen Zusammenarbeit ist. Und wie sehr seine Politik auf die Zukunft gerichtet ist.

Vergangenes Jahr, als sich das Ende des Ersten Weltkrieges zum 100. Mal jährte, absolvierte Macron eine einwöchige Historientour, die nicht nur die Vergangenheit, sondern auch ihn selbst, als Präsidenten, der Geschichte schreiben will, zum Thema hatte. Bescheiden war das nicht. Aber es war auch der Gegenentwurf zu einer veralteten Erinnerungspolitik, die Frankreich oft pflegt. Nationalstolz, chauvinistische Überlegenheitsgesten: All das fehlte. Selbstverständlich war das nicht. Die verschlankte Militärparade nahmen Generäle und Offiziere ihrem Präsidenten durchaus übel.

Nun, ein Jahr später, erscheint Macron auf den ersten Blick als ein anderer. Er tritt weniger wie ein gleichberechtigter Partner auf, sondern mehr wie der Erbe eines Imperiums. "Frankreich liebt Sie", hatte der Präsident früher den Abgeordneten des deutschen Bundestages zugerufen. Inzwischen fühlt sich Macrons Liebe eher an wie die Liebe von Eltern zum Kind: "Ich liebe dich, deshalb musst du eine Mütze aufsetzen" - oder deinen Rüstungsetat erhöhen. Macrons außenpolitisches Gebaren der letzten Monate ist unsensibel (die Nato "hirntot"), unzuverlässig (kein EU-Beitritt für Albanien und Nordmazedonien) und übergriffig (das EU-Parlament soll gefälligst für seine Kandidatin stimmen). Doch eines ist es nicht, und das ist entscheidend: uneuropäisch.

Macron ist auf offener See im Schnellboot unterwegs

Zwei Jahre lang hat Macron dabei zugesehen, wie Deutschland sich nicht um seine Mütze kümmerte, weil es so beschäftigt mit seiner Frisur war. Die USA ziehen sich aus der transatlantischen Partnerschaft zurück? Okay, schwierig. Aber was, wenn Horst Seehofer die große Koalition sprengt? Wenn man sich auf die Art und Weise konzentriert, in der Macron aktuell seine außenpolitischen Pläne kommuniziert, hat man Anlass, sich zu ärgern. Gerade hat er in einem Interview die geopolitische Weltlage bewertet, als sei er der Einzige, der sie durchblickt. Das macht die Zusammenarbeit anstrengend. Gleichzeitig ist sie auch unkompliziert, denn Macron ist konsistent und klar. Er will nach wie vor ein Zusammenwachsen der Europäer auf militärischer, finanz- und sozialpolitischer Ebene. Er sieht sich dabei nicht nur als Ideengeber, sondern auch als Anführer.

Das Naserümpfen, das dieses Selbstbewusstsein in Deutschland auslöst, sagt weniger über Pariser Arroganz als über Berliner Bequemlichkeit. Man sollte sich ehrlich fragen, warum Macron so irritiert. Zu den Antworten gehört auch: Er ist der Vorbote einer fragilen Zukunft. In Deutschland agieren noch eineinhalb Großdampfer an der Spitze des Landes. CDU und SPD haben zwar bereits einige Löcher im Rumpf, doch noch fahren sie. In Frankreich hingegen sind die Volksparteien bereits untergegangen. Und Macron ist auf offener See im Schnellboot unterwegs. Rechts, links, Mitte, hin und her, Hauptsache er. Für Frankreichs Demokratie ist das gefährlich. Macrons Erfolg baut darauf auf, dass er die extreme Rechte zur einzigen Opposition adelt. Doch genau diese Radikalisierung der Diskurse droht auch Deutschland.

Macron will handeln. Im Interesse Frankreichs und gemeinsam mit Berlin. Innerhalb Europas gibt es keine zwei anderen Länder, die so eng um Abstimmung bemüht sind, wie Frankreich und Deutschland. Der Streit ist kein Zeichen des Auseinanderdriftens, sondern ein Beleg für die wachsende Nähe.

Frankreich selbst kann man hingegen nur wünschen, dass Macron möglichst bald eine ernst zu nehmende Opposition erwächst, die nicht nur in der Systemverachtung von Marine Le Pen besteht. Europa versteht gerade, wie irritierend Macrons Dominanz werden kann. Die Franzosen leben nun schon seit zweieinhalb Jahren mit ihr. Sie brauchen eine demokratische, wählbare Alternative.

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