Hansi Flick:Der neue, sozialere FC Bayern

FC Bayern Muenchen v Borussia Dortmund - Bundesliga

Unter Hansi Flick (links) spielt Thomas Müller wieder eine tragende Rolle in München.

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Mit ein paar Handgriffen und zwei Umarmungen hat Hansi Flick einen zweifelnden FC Bayern wieder in einen lebensprallen FC Bayern verwandelt.
  • Nach dem 4:0 gegen Dortmund weitet Vorstandschef Rummenigge den Zwei-Spiele-Auftrag aus.
  • Flick bleibt "bis auf Weiteres" für die Mannschaft verantwortlich.

Von Christof Kneer

Diesen Gefallen wollte Mats Hummels seinen ehemaligen Kollegen nicht auch noch tun. Er hatte jetzt 80 Minuten lang zugesehen, wie die Münchner eine gute Geschichte nach der nächsten erzählten, wenigstens diese letzte wollte er ihnen verwehren. Also grätschte er diesen Ball lieber selber ins BVB-Tor, bevor es der hinter ihm stehende Thiago tun konnte.

Undank ist Hummels gewohnt, zumindest gemäß Selbsteinschätzung, aber in diesem Fall dürfte ihm die ganze Liga abzüglich der Bayern wirklich dankbar sein. Man stelle sich vor, die Bayern hätten dieses abschließende 4:0 im sogenannten Spitzenspiel gegen Borussia Dortmund tatsächlich ohne Hummels' Beteiligung erzielt. Dann hätte der eingewechselte Coutinho einen No-Look-Pass auf den eingewechselten Ivan Perisic gespielt, dessen Hereingabe der eingewechselte Thiago über die Linie gedrückt hätte. Dann wären statt zwei gleich alle drei Einwechselspieler glücklich gewesen, und in diesem Fall wäre wirklich auch die letzte kleine Hoffnung der Liga zerplatzt: jene, dass bei diesen bedenklich wiedererstarkten Bayern wenigstens bald ein Zoff der Zauberfüße ausbricht, wie der Boulevard bereits hoffnungsvoll raunte.

Im Zuge seiner Erste-Hilfe-Maßnahmen hatte Trainer Hansi Flick ja Coutinho und Thiago auf die Bank gesetzt, und ein wenig haben Bundesliga und Boulevard vielleicht darauf spekuliert: dass die Stars beleidigt sind und sich bei Uli Hoeneß ausweinen und dass dann wieder der Komödienstadl ausbricht und dass der arme Hansi dann völlig überfordert ...

Flick mag die offensiven Lösungen

Bundesliga und Boulevard ahnen inzwischen aber, dass es so nicht kommen wird, trotz des Opfers von Mats Hummels, der mit seinem Eigentor immerhin die rührendste Bayern-Heldengeschichte verhinderte. Dennoch lässt sich am Tor aus der 80. Minute anschaulich erkennen, warum die zweifelnden Bayern unter Flick wieder die lebensprallen Bayern geworden sind. Das Aufschlussreichste an diesem Tor ist dabei, dass es eben das 4:0 war, das Kürstück obendrauf - und nicht das 1:0.

Hansi Flick ist ein offensiver Trainer, er mag die offensiven Lösungen, aber er hat nach seiner Amtsübernahme schnell gemerkt, dass er einen No-Look-Pass, dem zwei Übersteiger vorausgehen, im Moment höchstens in einer Schlussphase gebrauchen kann, wenn es schon 3:0 steht oder so. Am Anfang eines Spiels dagegen braucht er erst mal Seriosität. Bei der Wiederherstellung der bajuwarischen Selbstverständlichkeit helfen Flick keine No-Look-Spieler, sondern Spieler, die im Gegenteil ganz besonders viel gucken - ob die Abstände stimmen, ob der geschätzte Kollege die Position hält und ob sie selbst nahe genug beim geschätzten Kollegen sind, um bei Bedarf dessen Fehler auszubügeln.

Es ist eine beliebte These, dass gute Mannschaften irgendwann aussehen wie ihre Trainer, oder umgekehrt: dass gute Trainer es schaffen, Mannschaften nach ihrem Bilde zu formen. Es wäre spektakulär übertrieben, dem entspannten, klaren, aber gewiss nicht übercharismatischen Trainer Flick nach nur drei Trainingseinheiten einen solchen Einfluss zuzuschreiben - auffällig war aber schon, dass die Bayern auf einmal so sozial spielten, wie es den Charaktereigenschaften ihres Trainers entspricht. Joshua Kimmich unterstützte jeden Kollegen, den er finden konnte, mit gutem Auge und vorauseilender Dienstbarkeit, und Javi Martínez erinnerte an jene Fußballer, die ein paar Jahre in der Oberliga verbracht haben und im hohen Alter wieder heim aufs Dorf kommen und da von hinten raus das Spiel organisieren. Der hat mal höherklassig gespielt!, raunen die Zuschauer in solchen Fällen am Rande des Bezirksliga-Sportplatzes beeindruckt, erst recht, wenn der Höherklassige sich wie Martínez noch in jeden Kopfball schmeißt.

Lob von Hoeneß und Rummenigge

Flick musste gar nicht der beste Trainer der Welt sein, um die 1:5-Bayern wieder in 4:0-Bayern zu verwandeln, mit ein paar professionellen Handgriffen hat er getan, was zu tun war. "In fünf Tagen kannst du nicht die Welt verändern. Aber der Trainer hat an den richtigen Punkten angesetzt und die richtigen Änderungen vorgenommen. Das hat schon gefruchtet", sagte Leon Goretzka später. Vor allem hat Flick die defensiv zuletzt völlig verschlamperte Elf von hinten aufgebaut, er hat Martínez als Autorität in die letzte Reihe gestellt und die Abwehr trotz großer Personalnöte so umgebaut, dass für Kimmich im zentralen Mittelfeld Platz war. Vor Kimmich hat er Goretzka und Thomas Müller platziert und so eine deutschsprachige Zentralachse geschaffen. Und er hat die Spieler mit jenen Vorgaben ausgestattet, die selbstverständlich auch eine Spitzenmannschaft braucht; es ist ja gar keine blöde Idee, wenn der linke Spieler weiß, was der rechte macht.

"Ich fand es gut, dass der Trainer in der Defensive Strukturen und gewisse Abläufe festgelegt hat", sagte Kimmich, "jeder wusste auf dem Platz, was zu tun ist. Wir haben versucht, uns erst mal auf die Defensive zu konzentrieren und klar festzulegen, wer wen anläuft und wie wir anlaufen." Eine trockene Analyse, die im Umkehrschluss nicht für Niko Kovac spricht.

"Man muss Hansi ein großes Kompliment machen"

Hansi Flick hat jetzt erst mal Hilfe zur Selbsthilfe geleistet. Sein Plan, gegen Piräus und Dortmund zweimal derselben Elf zu vertrauen, ist aufgegangen, auf diese Weise hat er der Mannschaft eine ganz banale Sicherheit vermittelt, die diese mit zunehmender Spieldauer immer mehr genoss. Und dank der irren Treffsicherheit von Robert Lewandowski, der das 1:0 und das 3:0 erzielte, konnte Flick es sich am Ende noch erlauben, die Harlem Globetrotters auf Tournee zu schicken - bei einem ungefährlichen Spielstand hat er Coutinho und Thiago zum Zaubern in die Manege gelassen, und sicherheitshalber hat er den beiden am Spielfeldrand auch noch eine öffentliche Umarmung mitgegeben. Einstweilen dürfen sich also auch die Zauberer gemocht und gewollt fühlen.

Flick habe seine Aufgabe "bravourös" gemeistert, sagte Klubchef Karl-Henz Rummenigge später, "man muss Hansi ein großes Kompliment machen". Und Uli Hoeneß sagte, eines sei doch klar: "Nach so einer überragenden Woche mit zwei überzeugenden Siegen kann man doch nicht sagen, den Hansi Flick schicken wir jetzt erst mal wieder weg." Flick werde "bis auf Weiteres" die erste Mannschaft trainieren, ergänzte Rummenigge, parallel werden die Bayern weiter nach jener "langfristigen Lösung" suchen, die Hoeneß anmahnt.

Wie lange "bis auf Weiteres" ist und ob sie Flicks Assistentenvertrag in einen vorübergehenden Cheftrainervertrag umwandeln: Das können die Bayern in der nun anstehenden Länderspielpause entscheiden.

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