Bundeswehr-Gelöbnis:Ende der Entwöhnung

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Bundeswehrsoldaten beim Gelöbnis. (Foto: Maurizio Gambarini/dpa)

In einer sich ändernden Welt muss die deutsche Gesellschaft ihr Verhältnis zum Militärischen neu definieren. Deswegen ist es gut, wenn die Truppe öffentlich sichtbar ist.

Kommentar von Mike Szymanski, Berlin

So präsent war das Militärische in Deutschland lange nicht mehr: Das erste Mal seit 2013 werden am Dienstag Soldaten vor dem Reichstag in Berlin öffentlich geloben, Deutschland treu zu dienen und "das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen". Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hat sich das so gewünscht. Die CDU-Politikerin meint, die Truppe gehöre stärker ins Bewusstsein gerückt. Im nächsten Jahr werden die USA in einer Großübung wie es sie seit Jahrzehnten nicht gegeben hat, 20 000 Soldaten und ihr Gerät quer durch Deutschland in Richtung Osten verlegen. In der Übung geht es nicht nur um die Frage, ob die Bundeswehr eine solche logistische Herausforderung noch stemmen kann. Es geht auch darum: Regt sich noch etwas in dieser Gesellschaft, wenn wieder Militärkonvois auf den Landstraßen rollen wie in den Achtzigerjahren?

Kehren die alten Muster von vor 1989 zurück, womöglich gar ein gruseliger Militarismus und ein aufbegehrender Antimilitarismus? Gewiss nicht, auch wenn sich schon die Gegner der Truppe rüsten. Die Zeiten haben sich verändert, vor allem aber ist die Bundeswehr nicht mehr die alte. Das macht den Unterschied.

Im Kalten Krieg gab es eine Schicksalsgemeinschaft zwischen Bürgern und Soldaten

Gewöhnungsbedürftig ist trotzdem, was passiert: Jetzt wird öffentlich weithin sichtbar, was sich sicherheitspolitisch in Deutschland seit der Annexion der Krim durch Russland und dem damit verbundenen Aufleben alter Feindbilder verändert hat. Das wiederbelebte Konzept der Landes- und Bündnisverteidigung verlässt den Raum der politischen Debatte und die Sphäre der militärischen Planer. Es kommt, gelobend und kettenrasselnd auf der Straße an - in einer Gesellschaft, für die jene Abstinenz des Militärischen zur Normalität geworden war. Sie lebt in Frieden und muss wenig Zweifel daran haben, dass sich daran in diesem Land so schnell etwas ändert. Nur, welchen Platz ist diese Gesellschaft bereit, der Bundeswehr noch zuzugestehen?

In Jahren des Kalten Krieges war von einer Schicksalsgemeinschaft die Rede, in der sich Bürger und Soldaten befanden. Bedroht fühlten sich alle. Militär war allgegenwärtig, wenn auch nicht überall akzeptiert. Heute tritt die Bundeswehr als Konkurrentin um knappe Ressourcen auf. Sie steht mit der Wirtschaft in einem harten Wettbewerb um gut ausgebildete junge Leute. Wenn die Bundeswehr, die wieder wachsen soll, Kasernen reaktiviert, dann löst das nicht unbedingt Freude in der Politik aus - die Bürgermeister wollen Wohnungen schaffen.

Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer beklagt jetzt eine regelrechte Entwöhnung von der Bundeswehr, die durch die Aussetzung der Wehrpflicht eingetreten sei. Es ist mehr als das. Die Bindung an die Gesellschaft droht verloren zu gehen, wenn sie das nicht schon ist. Wenige Bürger dürften den Überblick darüber haben, wo die Deutschen überall im Einsatz sind und was sie dort leisten. Das Zutrauen in die Fähigkeiten der Bundeswehr schwindet. Vorgängerin Ursula von der Leyen hatte derart die Ausrüstungsmängel und Systemschwächen in den Vordergrund gestellt, dass sich der Eindruck einer Trümmer-Truppe verfestigte. Beim Gelöbnis in Berlin mag man das überspielen können. In Hessen hat die Bundeswehr nicht genügend Rekruten für ein solches Gelöbnis zusammenbekommen. Das zeigt dann doch, wie sehr die Truppe für und mit sich kämpfen muss.

© SZ vom 12.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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:Muss die Bundeswehr öffentlich sichtbarer werden?

Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer möchte die Bundeswehr sichtbarer machen und beklagt eine Entwöhnung von der Bundeswehr, die durch die Aussetzung der Wehrpflicht eingetreten sei.

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