Schweiz:Chef der SP tritt ab

Swiss Councillor of State Levrat leaves a session of the Committee for Economic Affairs and Taxation on the Swiss-U.S. tax agreement in Bern

Abschied nach zwölf Jahren: Christian Levrat.

(Foto: Ruben Sprich/Reuters)

Christian Levrat will nach zwölf Jahren an der Spitze der Schweizer Sozialdemokraten nicht mehr kandidieren. In seiner Amtszeit hat es der Politiker geschafft, auch ohne Mehrheit linke Anliegen durchzusetzen.

Von Isabel Pfaff, Bern

Die Schweizer Sozialdemokratie steht vor einem Umbruch. In Interviews mit den Zeitungen Blick und La Liberté vom Dienstag kündigte Christian Levrat, Präsident der Sozialdemokratischen Partei (SP), an, im kommenden Frühling nicht mehr fürs Parteipräsidium zu kandidieren. Damit nimmt einer der dienstältesten Parteichefs der Schweiz seinen Hut: Levrat, ein Romand aus dem Kanton Fribourg, stand der Partei zwölf Jahre lang vor.

Levrats Ankündigung war erwartet worden. Seit den nationalen Wahlen vom 20. Oktober steht der Parteichef unter Druck, denn mit nur 16,8 Prozent Wähleranteil hat Levrat überraschend das schlechteste Wahlergebnis seiner Partei seit der Einführung des Verhältniswahlrechts 1919 geholt. Zwar verschlechterte sich die SP gegenüber den letzten Wahlen lediglich um zwei Prozentpunkte und ist damit meilenweit von den Einbrüchen französischer oder deutscher Sozialdemokraten entfernt. Doch angesichts des allgemeinen Links- und Grünrutsches bei den diesjährigen Wahlen erstaunten die Verluste der SP.

Noch am Wahlabend rechtfertigte Levrat das Ergebnis damit, dass die SP eben nicht "grün" im Namen trage - ein Hinweis darauf, dass sich die Grünen und die SP programmatisch stark ähneln. Im Interview übernimmt Levrat nun eine Mitverantwortung für das schlechte Ergebnis. Sein Abgang im kommenden Frühjahr sei aber schon vor den Wahlen beschlossen gewesen, sagte er im Gespräch mit La Liberté. "Ich war zwölf Jahre Präsident. (...) Das ermüdet, sowohl auf politischer als auch auf persönlicher Ebene. Man muss wissen, wann man die Verantwortung abgeben muss."

Wer dem 49-jährigen Levrat nachfolgen könnte, zeichnet sich derzeit noch nicht ab. Die meisten politischen Beobachter sind sich allerdings einig darin, dass es schwierig sein wird, jemanden vom Format Levrats zu finden. Der Parteipräsident gilt als einflussreicher Parlamentarier und gewiefter Stratege, dem es im Lauf seiner Amtszeit gelungen ist, über Kompromisse und Bündnisse zahlreiche linke Anliegen durchzubringen - obwohl zahlenmäßig die konservativen Parteien dominierten, insbesondere in der vergangenen Legislatur. Nicht zuletzt Christian Levrat wird es angerechnet, dass die Schweizer Sozialdemokraten nicht dasselbe Schicksal ereilt hat wie ihre europäischen Schwesterparteien: Zwar hat die SP in ihrer Geschichte noch nie die 30-Prozent-Hürde geknackt. Aber während die sozialdemokratischen Parteien in den Nachbarländern in den vergangenen Jahren teils tief abstürzten, bewegte sich die SP konstant an der 20-Prozent-Marke.

Das hat auch mit dem besonderen politischen System der Schweiz zu tun: Im Regierungsgremium, dem Bundesrat, sind alle wichtigen Parteien des Parlaments vertreten. Den Gegensatz aus Regierung und Opposition gibt es im eidgenössischen Parlament also nicht, entsprechend erleiden die Parteien auch keinen Profilverlust durch Regierungsverantwortung. Es ist durchaus üblich, dass eine Partei sich gegen einen Entscheid des Bundesrats wendet, auch wenn alle wissen, dass ihre eigenen Bundesräte den Entscheid mitgefällt haben. Die SP ist es in diesem Kontext gelungen, ein klares linkes Profil zu bewahren - anders als ihre Schwesterparteien im Ausland. Ein Beispiel: Obwohl die SP grundsätzlich eine EU-freundliche Haltung einnimmt, lehnt sie das Rahmenabkommen mit Brüssel in seiner jetzigen Form ab - weil der aktuelle Vertragsentwurf in ihren Augen die hohen Schweizer Löhne gefährdet. Gleichzeitig hat die Partei früh erkannt, dass ihre Kernklientel, die Arbeiterschaft, schrumpfen wird. Die Partei öffnete sich deshalb schon bald für postmaterialistische Strömungen wie Umweltschutz und Feminismus und konnte damit auch Anhänger außerhalb der Arbeiterschaft gewinnen.

Nach dem schlechten Wahlergebnis stellt sich allerdings die Frage, ob die europäische Krise der Sozialdemokratie nun nicht doch auch die Schweiz erfasst hat. Die Nachfolgerin oder der Nachfolger von Christian Levrat wird sich mit dieser Frage befassen müssen. Im April 2020 werden die Parteimitglieder entscheiden, wer den herausfordernden Posten übernehmen soll.

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