Streit in Englands Nationalteam:Strafe für ein "Fünf-bis-zehn-Sekunden-Ding"

Raheem Sterling (Manchester City) und Joe Gomez (FC Liverpool)

Rivalen und Nationalmannschaftskollegen: Liverpools Joe Gomez (r.) und Manchesters Raheem Sterling.

(Foto: Peter Byrne/AP)
  • Raheem Sterling wird aus dem Kader gestrichen, weil er in der englischen Nationalmannschaft einen Disput mit Joe Gomez auslöst.
  • Die beiden waren schon am Wochenende im englischen Spitzenspiel aneinander geraten.
  • Nationaltrainer Southgate sagt, er habe die Entscheidung zum Wohle des Teams getroffen.

Von Tim Brack

Nationalmannschaften können sensible Gefüge sein, dort kommen Spieler aus Vereinen zusammen, die zünftige Rivalitäten pflegen. Der Liga-Alltag lässt sich dabei nicht immer so leicht abstreifen wie das Klubtrikot, das musste die englische Nationalelf vor ihrem EM-Qualifikationsspiel gegen Montenegro erleben.

Cheftrainer Gareth Southgate verzichtet nun sogar auf Raheem Sterling für die kommende Partie, nachdem es zu "einer Störung in einem privaten Teambereich" gekommen war, wie der englische Verband (FA) mitteilte. Die "Störung" muss nach allem, was bekannt ist, als körperliche Auseinandersetzung gewertet werden. Neben City-Stürmer Sterling war darin Liverpools Joe Gomez involviert.

Unstimmigkeiten der beiden aus dem intensiven Liga-Duell zwischen den Titelrivalen am vergangenen Sonntag (3:1) wabern nun im Nationalteam weiter. Die Profis waren zunächst in Liverpool während des Spiels aneinandergeraten. Nach Gomez' Einwechslung in der 87. Minute hatte es nur Sekunden bis zum Disput mit Sterling gedauert: ein Schubser, ein paar Worte, intensiver Augenkontakt. Eigentlich nichts Ungewöhnliches, könnte man meinen, nicht einmal Gelb gab's. Doch der Zoff war offenbar so ausgeprägt, dass es nun einer zweiten Runde in anderem Gewand bedurfte.

Rio Ferdinand unterstützt Sterling

Der Streit fand in der Kantine des englischen Quartiers statt. Sterling soll, so berichten es englische Medien, ein Problem damit gehabt haben, dass Gomez ihm von hinten die Hand gab. Der 24-jährige Flügelstürmer vom Guardiola-Klub soll Gomez daraufhin gefragt haben, ob er "noch immer der große Mann" sei. Sterling habe versucht, Gomez am Hals zu packen. Auf Bildern vom Training der englischen Elf ist unter Gomez' rechtem Auge ein Kratzer zu sehen. Auch Sterling machte bei der Einheit mit, er bleibt bis zum Duell gegen Kosovo am Sonntag im Kader.

Sterling gab darauf auf Instagram zu, dass ihn die Emotionen überwältigt hätten. Es sei ein "Fünf-bis-zehn-Sekunden-Ding" gewesen. "Wir beide haben uns ausgesprochen und sind uns über einiges klar geworden und schauen nach vorne", schrieb Sterling. Gegen Montenegro verzichtet Southgate, eigentlich ein wohlgesonnener Menschenfreund, dennoch auf Sterling. Wie die Zeitung The Times berichtet, schickte der Trainer Sterling zunächst sogar nach Hause, änderte nach einer Besprechung mit den Führungsspielern aber seine Meinung und beorderte ihn zurück. Sterling sei schon im Auto gewesen, als er ihn anrief. Er habe die Entscheidung zum Wohle des Kaders getroffen, sagte der Nationaltrainer in einer Mitteilung. Das Urteil sei im Einvernehmen mit allen Spielern gefallen.

Sterling allerdings kann den Schritt seines Trainers, ein Spiel auf ihn zu verzichten, offenbar nicht ganz nachvollziehen. Er habe gedacht, die Situation sei nach dem Gespräch mit Gomez ausgeräumt gewesen, schreibt der Mirror. Unterstützung erhielt Sterling vom ehemaligen Nationalspieler Rio Ferdinand. Zwar sei Southgate bislang "brillant" gewesen als Nationaltrainer, schrieb Ferdinand auf Facebook, doch mit diesem Vorfall hätte er besser umgehen müssen. Der ehemalige Verteidiger kritisiert, dass die Situation nicht intern gelöst wurde: "Jetzt muss sich Raheem allein gegen all die Hater verteidigen, die ihre Tastaturen hatten ruhen lassen, weil er ein Botschafter für das englische Spiel geworden ist."

Sterling mit besonderer sportlicher und gesellschaftlicher Rolle

Sterling ist mit acht Toren der beste englische Torjäger in der EM-Qualifikation (zusammen mit Harry Kane), auch seine gesellschaftlich Bedeutung ist herausragend. Als Spieler mit karibischen Wurzeln setzt er sich öffentlich immer wieder mit deutlichen Worten gegen Rassismus im Fußball ein. Er kritisierte dabei unter anderem schon den englischen Boulevard für die unterschiedliche Berichterstattung bei schwarzen und weißen Jungprofis.

Der Vorfall in der Kantine dürfte Sterlings Kritikern nun einen neuen Vorwand liefern. Seine Gereiztheit lässt sich aber teilweise mit dem erklären (nicht entschuldigen), was er in Liverpool erlebt hatte. Denn das Spiel gegen die "Reds" nimmt einen besonderen Platz für ihn ein. Sterling war einst Teil dieser Familie. Als 16-Jähriger war er an die Mersey gewechselt, nach drei Jahren im Klub unter öffentlichem Streit aber zu Manchester City gegangen. Die Fans an der Anfield Road sind zwar besonders laut, reagieren aber wie gewöhnliche Anhänger auf nicht erwiderte Liebe: mit Pfiffen. Im jüngsten Aufeinandertreffen bekam Sterling sie bei jedem Ballkontakt zu hören.

Wie die englischen Fans nach dem Zwist mit Gomez reagieren, wird spannend zu sehen sein. Nationaltrainer Southgate ist sich der delikaten Angelegenheit bewusst. "Eine der großen Herausforderungen und Stärken von uns ist es, dass wir die Klubrivalitäten von der Nationalmannschaft trennen können", sagte Southgate. Der Qualifikation der Engländer dürfte der Vorfall nicht im Weg stehen. Ihnen fehlt nur ein Punkt, um sich für die EM-Endrunde zu qualifizieren.

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