Prozess in München:Holocaust-Leugner steht erneut vor Gericht

  • Alfred S. gilt als notorischer Propagandist der Nazi-Ideologie. Die Vorwürfe gegen ihn lauten: Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Volksverhetzung.
  • Die Staatsanwaltschaft fordert fünf Jahre Haft für den 64-Jährigen, der im Moment bereits eine Gefängnisstrafe verbüßt.
  • "Er gehört nicht belächelt, er gehört bestraft", sagte der Oberstaatsanwalt vor Gericht.

Von Martin Bernstein

"Jämmerlich!" So bewertet Oberstaatsanwalt Andreas Franck den Versuch des Angeklagten, "seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen". Als es um den Hitlergruß geht, den der 64-Jährige bei anderer Gelegenheit zweimal kurz nacheinander im Gerichtssaal gezeigt haben soll, behauptet der gebürtige Seefelder, er habe nur "zeigen wollen, wie hoch mein Hund springen kann". Wegen des Eklats im Gerichtssaal vor eineinhalb Jahren und weil er damals in seinem Schlusswort den millionenfachen Mord an den Juden geleugnet hat, muss Alfred S. sich seit diesem Dienstag erneut vor dem Landgericht München I verantworten. Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Volksverhetzung lauten die Vorwürfe.

S. betritt den Gerichtssaal in Handschellen. Der notorische Propagandist der Nazi-Ideologie verbüßt in Stadelheim bereits eine Haftstrafe von mehr als drei Jahren, unter anderem, weil er in selbst produzierten Filmchen die Schoah geleugnet und gegen Juden gehetzt hat. "Millionenfach" seien die Videos im Internet angeschaut worden, behauptet der Deutsch-Kanadier - in Wirklichkeit waren es wohl ein paar tausend Aufrufe. Immer noch schlimm genug. Denn S. ist für Oberstaatsanwalt Franck ein "geistiger Brandstifter".

S. wolle die Grundlage für andere legen, die dann aktiv würden, zieht der Vertreter der Anklagebehörde eine Verbindung von der verbalen Hetze des 64-Jährigen zu antisemitischen Straftaten der jüngsten Zeit. "Ein Denker - ein Ausführender", das sei inzwischen das klassische Schema im Rechtsextremismus. Franck lässt in seinem Plädoyer keinen Zweifel, wie er S. einschätzt: Dem Angeklagten gehe es darum, "Juden töten zu lassen, vernichten zu lassen". Deshalb fordert der Oberstaatsanwalt, sich nicht vom konfusen Auftritt des 64-jährigen Mannes vor Gericht täuschen zu lassen: "Er gehört nicht belächelt, er gehört bestraft." Fünf Jahre soll S. nach den Vorstellungen der Staatsanwaltschaft in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim bleiben.

Unter Umständen könnte es noch länger werden. Denn auch am Dienstag nutzt S. den Prozess und insbesondere das letzte Wort, das ihm als Angeklagten zusteht, um die deutschen Verbrechen der Nazi-Zeit zu leugnen - und um die Legitimation des gesetzlichen Hitlergruß-Verbots in Frage zu stellen. Erneut bezeichnet S. die "Holo-Geschichte" (wie er sagt) als Lüge, als "Unsinn", als "Märchen". Die Vorsitzende Richterin der 18. kleinen Strafkammer weist ihn vergeblich darauf hin, dass er sich damit erneut strafbar mache. S. ficht das nicht an, im Gegenteil. Sein letztes Wort, bevor er für "sechs Millionen Jahre" im "Gulag" verschwinde, wie er seine Haft nennt, werde wohl mehrere Tage dauern, kündigt er an. An diesem Donnerstag wird er weitermachen dürfen. Wie lange das letzte Wort eines Angeklagten maximal dauern darf, ist unter Juristen umstritten.

S. legt es offenkundig darauf an, Gerichtssäle möglichst lange als Bühne nutzen zu können. "Ich bin gesegnet, dass ich mich in dieser Rolle befinde", sagt er an einer Stelle, Gerichtsverfahren und Haft seien für ihn gleich in mehrfacher Hinsicht ein "Jackpot". Seine Zuhörerschaft freilich ist überschaubar. Waren zum ersten Prozess gegen Alfred S. und dessen Schwester Monica noch etwa 30 Gesinnungsgenossen gekommen, sitzen am Dienstag nur noch eine gute Handvoll Freunde neben der Ehefrau des Tutzingers in den Zuschauerreihen. In Sitzungspausen kann man aus der Gruppe lautstarkes Schwadronieren darüber hören, dass das Landgericht "Rechtsbeugung" betreibe und dass immer am Schluss "abgerechnet" werde.

S. sieht das wohl ähnlich. Die Ausführungen des Oberstaatsanwalts kommentiert er mit Kopfschütteln und Lachen. Ob sie sich vorstellen könne, dass sie eines Tages ihre Plätze im Gerichtssaal tauschen, fragt der Angeklagte eine Staatsanwältin, die als Zeugin aussagt. Mit seinen Veröffentlichungen habe er zu einem "Flächenbrand" beigetragen, glaubt der 64-Jährige. In diesem Punkt stimmt ihm Andreas Franck zu: "Ein Judenhasser schlimmster Sorte", sei S.: "Völlig unbelehrbar - und gefährlich."

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