Amazon:Diese letzte Meile

Amazon Opens First Go Store To Accept Cash

Amazon-Go-Laden in New York: In den 16 Filialen der Kette muss mit der App des Internetkonzerns bezahlt werden.

(Foto: Spencer Platt/Getty/AFP)

Der Internet-Händler will einen Lebensmittel-Supermarkt in Los Angeles eröffnen - dahinter steckt ein großer Plan.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Woodland Hills. Es ist wichtig, diesen Ort zu kennen, in dem der Alles-Lieferant Amazon seinen weltweit ersten Supermarkt aus Stein und Mörtel eröffnen möchte. 67 000 Leute leben in dem Stadtteil von Los Angeles. Die meisten von ihnen verdienen ordentlich und sind hellhäutig, die bedeutendsten Arbeitgeber sind Versicherungen. Es ist eine typische Wohngegend in Kalifornien, und natürlich ist es kein Zufall, dass Amazon dort beginnt.

Der Konzern macht immer mehr auf wirkliche Welt. Es gibt 16 Läden, "Amazon Go" heißen jene Hightech-Geschäfte, in denen nicht an der Kasse, sondern per Amazon-App abgerechnet wird. Es gibt Pop-up-Stores, die sogenannten "4 Star"-Läden. Und es gibt stationäre Buchläden. Vor zwei Jahren hat der Konzern außerdem für 13,7 Milliarden Dollar die Bio-Supermarktkette Whole Foods mit 365 Filialen gekauft - inzwischen sind es 506. Manche nennen den Satz von Thomas Watson - "Es gibt einen Weltmarkt für vielleicht fünf Computer" - die größte Fehlprognose der Geschichte. Vielleicht werden sie demnächst den Whole-Foods-Gründer John Mackey zitieren, der einmal sagte, dass Amazon keine Konkurrenz darstelle und der Einstieg ins Lebensmittelgeschäft desaströs enden würde.

Amazon selbst äußert sich nur vage zum neuen Supermarkt in Woodland Hills. Es hat bisher nur die geplante Eröffnung bestätigt, nachdem Stellenausschreibungen für Aufregung gesorgt hatten. Es gibt keine Informationen darüber, wie dieser Supermarkt heißen soll und ob weitere geplant sind - nur, dass er sich von den Filialen von Whole Foods und Amazon Go unterscheiden werde. Es solle ein "gewöhnlicher" Supermarkt werden. Im Amazon-Universum ist das ein Hinweis darauf, dass ein großer Plan dahintersteckt. "Jedes neue Projekt von uns hat jeweils Jahre gedauert", sagte Amazon-Gründer Jeff Bezos einmal in einem Interview. Damals kündigte er Amazon Web Services an, das heute mit großem Vorsprung Marktführer im Bereich Cloud Computing ist.

Das Geschäft mit Lebensmitteln funktioniert anders als der Buchhandel

"Sie wollen die Lieferkette für Lebensmittel optimieren", sagt Juozas Kaziukenas, Chef der Analysefirma Marketplace Pulse. Das Geschäft mit Lebensmitteln - 800 Milliarden Dollar werden damit in den USA pro Jahr umgesetzt - funktioniert anders als das mit Büchern oder Klamotten. Die meisten Kunden wollen Steak und Salat sehen, bevor sie kaufen, Lebensmittel lassen sich kaum zurückschicken. Die Waren müssen unterschiedlich gekühlt, Frischprodukte gesondert transportiert werden. Es geht um die berühmte letzte Meile in der Logistik, das letzte Teilstück auf dem Weg zum Kunden. "Amazon will möglichst viele Daten darüber sammeln, wie diese Lieferkette funktioniert", sagt Kaziukenas. "Diese Informationen werden sie dann verwenden, um auch den Internethandel zu perfektionieren."

Es gibt einige Orte in den USA, die so außergewöhnlich gewöhnlich sind, dass Firmen sie gern als Testmarkt verwenden. Schnellrestaurants zum Beispiel testen Produkte immer zuerst in Columbus, der Hauptstadt von Ohio. Die Analyse von Amazon hat offensichtlich ergeben, dass Woodland Hills ein guter Testmarkt ist für das Experiment mit dem Supermarkt, der vielleicht zugleich ein Lagerhaus sein wird. Viele Supermärkte in den USA sind auch nachts geöffnet, wenn Gänge geputzt und Regale befüllt werden. Warum also nicht den Kunden längere Öffnungszeiten bieten, wenn ohnehin jemand im Laden ist?

Amazon braucht zur Optimierung seiner Logistik ein engmaschiges Netz. Wer frische Lebensmittel innerhalb von zwei Stunden liefern will, und das verspricht das Unternehmen seinen Prime-Mitgliedern in 2000 US-Städten, der braucht Stationen möglichst nah bei den Kunden.

Die Lebensmittel-Branche ist hart umkämpft, auch andere Unternehmen warten mit neuen Ideen auf. Walmart hat gerade seinen Lieferservice überarbeitet, Albertsons die Struktur seiner Preise verändert. Kroger bietet seinen Kunden an, bestellte Waren direkt an einer Abholstation auszuliefern - wie beim Drive-thru-Schalter eines Schnellrestaurants. Es sind keine kleinen Buchhändler oder schnuckelige Klamottenläden, gegen die Amazon antritt, sondern milliardenschwere Konzerne, die den digitalen Wandel ebenfalls erkannt haben und über die Optimierung der letzten Meile nachdenken.

So sehr Amazon für seine Kundenfreundlichkeit bekannt ist, so sehr ist das Unternehmen auch berüchtigt für seine Arbeitsbedingungen. Beim Lohn liegen die ausgeschriebenen Stellen - 16,90 Dollar pro Stunde für eine Art Filialleiter - bislang eher im unteren Spektrum, weshalb das Projekt wohl auch kritisch beobachtet werden dürfte.

"Die große Stärke von Amazon ist es, einen Trend früh zu erkennen, dann aber geduldig zu sein und die Kunden anpassen zu lassen", sagt John Rossman, einst Amazon-Manager und Autor des Buches "Think Like Amazon". Jetzt ist es an den Bewohnern von Woodland Hills, neue Erkenntnisse zu liefern.

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