Zum Tod von Raymond Poulidor:Der geliebte Zweite

Zum Tod von Raymond Poulidor: Trotz lauter Anfeuerung: Gegen Jacques Anquetil und Eddy Merckx hatte Poulidor keine Chance

Trotz lauter Anfeuerung: Gegen Jacques Anquetil und Eddy Merckx hatte Poulidor keine Chance

(Foto: Simon/imago)

Raymond Poulidor gewann nie die Tour de France - aber genau deswegen wurde der Radfahrer und Bauernsohn zum beliebtesten Sportler Frankreichs. Nun ist er im Alter von 83 Jahren gestorben.

Nachruf von Jean-Marie Magro

In Frankreich sind nicht etwa ein stolzer Adler oder ein kräftiger Bär das Nationalsymbol, sondern der Hahn. Warum, verrät ein Sprichwort: "Weil er das einzige Tier ist, das mit den Füßen im Mist singt." Wahrscheinlich trifft dieses Wort auf niemanden so zu wie auf Raymond Poulidor.

Poulidor war, das lässt sich aus seinem Spitznamen "l'éternel second" (der ewige Zweite) nicht schließen, ein sehr erfolgreicher Radsportler. Er gewann große Rennen wie Paris-Nizza, Mailand-Sanremo und die Spanien-Rundfahrt. Nur stand er eben beim größten Rennen der Welt, der Tour de France, achtmal bloß auf dem Podium, fünfmal als Dritter, dreimal als Zweiter. Kein einziges Mal streifte er das Gelbe Trikot über. Doch genau diese Geschichte machte aus einem einfachen Radrennfahrer den wohl beliebtesten Sportler Frankreichs.

Einfach ist wohl das Adjektiv, das Poulidor am besten beschrieb, und es ist nicht despektierlich gemeint. "Poupou", wie ihn seine Landsleute nannten, wuchs im Departement Creuse auf, eine der ärmsten Gegenden in Zentralfrankreich. Weit weg von Paris und wirtschaftlich prosperierenden Städten. Die Eltern waren Landwirte. Er selbst half schon als Kind auf dem Hof.

Einer, der mit den Schwierigkeiten des Lebens wie alle anderen zurechtkommen musste

Poulidor stand sinnbildlich dafür, berühmt sein zu können und doch mit beiden Füßen im Leben zu stehen. Das Gegenbeispiel dafür war sein großer Konkurrent Jacques Anquetil. Ein ungemein eleganter und attraktiver Fahrer, der - anders als Poulidor - fünfmal die Tour gewann. Anquetil war zwar wie sein Kontrahent Franzose, doch er wirkte unnahbar und arrogant. Poulidor war Poulidor. Ein Mann, der mit den Schwierigkeiten des Lebens zurechtkommen musste wie alle anderen.

Die Rivalität der beiden Franzosen gipfelte 1964 auf dem Puy de Dome, Ellenbogen an Ellenbogen rauschten sie den Vulkan im Zentralmassiv hinauf. Anquetil war müder als Poulidor, doch der hatte eine falsche Übersetzung aufgelegt und musste viel schwerer treten als er eigentlich wollte. Poulidor nahm seinem Widersacher trotzdem Zeit ab, verpasste das Gelbe Trikot aber um 14 Sekunden. Beim abschließenden Zeitfahren in Versailles fieberten 600 000 Zuschauer mit, und als Anquetil ins Ziel rollte, feierten sie Poulidor. Für einen Moment glaubte er sogar, die Tour endlich gewonnen zu haben. Doch der beste Zeitfahrer seiner Generation hatte ihm keine Chance gelassen. Mit 55 Sekunden Vorsprung verwies ihn Anquetil, wieder einmal, auf den zweiten Platz.

Nach dem Rücktritt Anquetils war der immer noch junge Poulidor dessen natürlicher Nachfolger. Doch immer wieder kam etwas dazwischen. Neue Talente wie Landsmann Roger Pingeon oder der Italiener Felice Gimondi etwa. 1968 sah Poulidor wie der Sieger aus, doch dann überfuhr ihn ein Motorradfahrer, er musste aufgeben. Schließlich ist Sport auch immer eine Frage des Timings, und an Poulidor klebte das Pech, dass er es in seiner Generation gleich mit zwei Jahrhundertfahrern zu tun bekam. Der zurückgetretene Anquetil war der erste, ab 1969 brach dann das Zeitalter des Eddy Merckx an. Gegen den "Kannibalen" hatte "Poupou" immer wieder das Nachsehen, egal wie laut sie ihn die Berge hinauf schrien. Trotzdem probierte er es noch bis ins hohe Alter: 1976, mit 40 Jahren, schaffte er es sogar noch einmal aufs Podium. Es war ein würdiger Tour-Abschied, der zu ihm passte: kein Sieg, kein Gelb, aber die eigenen Grenzen auslotend.

Seine Leistungsfähigkeit in diesem Alter erklärte Poulidor damit, dass er nie gedopt habe. In einem TV-Interview vor drei Jahren räumte er jedoch ein, Amphetamine geschluckt zu haben. Nicht viel, nur um die Moral am Laufen zu halten. Poulidor wusste nicht, dass die Kamera noch lief. Zu seiner Ehrenrettung lässt sich sagen, dass er 1966 der erste Radprofi war, der sich einem Dopingtest unterziehen ließ. Andere verweigerten diesen und revoltierten.

Nach seiner aktiven Karriere blieb Poulidor seiner Heimat und dem Radsport treu. Er zog etwa 30 Kilometer in den Südwesten, nach Saint-Leonard-de-Noblat und arbeitete in einer Fahrradmanufaktur, die unter anderem Räder seiner eigenen Marke baute. Die Leidenschaft strahlte auf die Familie ab. Eine von Poulidors Töchtern heiratete den erfolgreichen Profi Adrie van der Poel, ihr gemeinsamer Sohn Matthieu ist heute eines der vielversprechenden Talente seiner Sportart.

FILE PHOTO: Former French cyclist Raymond Poulidor is seen on the podium of the 168.5 km ninth stage of the centenary Tour de France cycling race from Saint-Girons to Bagneres-de-Bigorre

Im gelben Shirt: Raymond Poulidor bei einem Besuch 2013 bei der Tour de France

(Foto: REUTERS)

Seit 2001 besuchte Raymond Poulidor jedes Jahr die Tour de France im Namen eines Sponsors des Gelben Trikots. Poulidor fiel in der Mixed Zone dann oft durch ein knallgelbes Poloshirt auf. Es war seine Form, mit den Füßen im Mist zu singen, und einer der Gründe, warum ihn selbst Jahrzehnte nach seinem aktiven Schaffen die Franzosen nie vergaßen und liebten. In der Nacht zum Mittwoch ist Raymond Poulidor im Alter von 83 Jahren in seiner Heimat Saint-Léonard-de-Noblat gestorben.

Zur SZ-Startseite
Tour de France - 8. Etappe -Armstrong Ullrich Winokurow

Alexander Winokurow
:Freigesprochen - trotz Mails und Überweisungen

Dem ehemaligen Radprofi Alexander Winokurow wurde vorgeworfen, bei einem Rennen 2010 seinem Konkurrenten den Sieg abgekauft zu haben. Ein Gericht sieht jedoch keine Beweise.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: