Testosteron im Radsport:Schlammschlacht vor dem Tribunal

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Ex-Sky-Coach Sutton fühlt sich von Arzt Freeman beleidigt (Foto von 2015). (Foto: Clint Hughes/Getty Images)
  • Was hat es mit einer Testosteron-Lieferung im Jahr 2011 zum Sitz des britischen Radsportverbands auf sich? Um diese Frage geht es vor einem Ärztetribunal.
  • In Manchester spielt sich eine Schlammschlacht ab: Ex-Sky-Trainer Shane Sutton wehrt sich gegen Vorwürfe, die die Anwältin des früheren Verbands- und Teamarztes Richard Freeman vorträgt.
  • Bei allem Schmutz, den die Verhandlung aufwirbelt - die drängendsten Fragen bleiben ungeklärt.

Von Johannes Knuth

Nachdem es rund zwei Stunden darum gegangen war, ob er ein Lügner, Doper und/oder Tyrann sei, ob er außerdem unter einer erektilen Dysfunktion leide und was das alles mit einer angeblich versehentlich georderten Testosteronpackung zu tun haben könnte, da sagte der Radsporttrainer Shane Sutton: "Zeit für 'ne Zigarette."

Nun wäre Sutton nicht der Erste, der in eine vermeintliche Raucherpause flüchtet und danach nie mehr gesehen wurde, aber der 63-Jährige musste tatsächlich etwas Dampf ablassen. Nach einer Viertelstunde kam er auch wieder zurück, um vor einem Ärztetribunal in Manchester Stellung zu jener Frage zu beziehen, warum vor acht Jahren ein Paket mit Testosteron-Gels am Sitz des britischen Radsportverbands in Manchester angeliefert wurde. War es für Profis des langjährigen britischen Paradeteams Sky bestimmt, was schwer gegen das Anti-Doping-Protokoll verstoßen würde? Oder hatte Sutton, der damals als Cheftrainer einer der Architekten des Sky-Erfolgs war, die Lieferung veranlasst, um sein Liebesleben zu revitalisieren, wie der damalige Teamarzt Richard Freeman zuvor vor dem Tribunal insinuiert hatte?

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"Ich hätte kein Problem zuzugeben, dass das Testosteron für mich war", sagte ein, man muss es leider sagen, sichtlich erregter Sutton - aber Freemans Version stimme halt nicht: "Sie behaupten hier, ich könne keinen hochkriegen - meine Frau kann aussagen, dass das eine verdammte Lüge ist", polterte Sutton. Die Testosteron-Order habe er auch nicht veranlasst, das schwöre er beim Leben seiner dreijährigen Tochter.

Dann stürmte Sutton aus der Verhandlung. Zurück blieben die Scherben, in denen die Reputation des zuletzt so erfolgreichen britischen Radsports mal wieder lag.

Um die Geschichte hinter dieser denkwürdigen Verhandlung halbwegs zu verstehen, muss man in den Mai 2011 zurückspulen: Damals traf das Päckchen mit 30 Beuteln Testosteron-Gel am Verbandssitz ein, geordert vom Verbands- und Sky-Arzt Freeman. Der behauptete später zunächst, die zuständige Firma habe das Paket versehentlich geschickt und den Irrtum sofort zugegeben. Das wirkte schon damals merkwürdig - eine Firma, die ein Radsportteam versehentlich mit Dopingstoff beliefert?

Sky und Freeman waren bald jedenfalls von weiteren Vorgängen umrankt. So hatte ein Sky-Trainer, ebenfalls 2011, unter großen Mühen eine Arznei von Manchester nach Frankreich transportiert, für Bradley Wiggins, der ein Jahr später als erster Brite die Tour de France gewann und in London beim olympischen Zeitfahren reüssierte. Angeblich war darin ein Hustenlöser, behauptete Sky-Teamboss Dave Brailsford, den konnte man halt nicht in jeder Apotheke erwerben. Die entsprechenden Belege befänden sich auf Freemans Laptop. Der sei ihm aber, welch blöder Zufall, im Urlaub in Griechenland gestohlen worden.

Als Freeman dann vor die Ärztekammer in Manchester zitiert wurde, wegen möglicher Verfehlungen, sträubte er sich erst - die Affären hätten ihn in schwere Depressionen gestürzt, sagte er. Schließlich gab er zu, gelogen zu haben. Fortan wolle er aber die Wahrheit sagen: Und zwar unter anderem, dass Sutton ihn zur ominösen Testosteronbestellung gedrängt habe, wegen dessen Problemen beim Liebesspiel.

Als Sutton am Dienstag vor dem Tribunal erschien, begann eine Schlammschlacht, die selbst schlammschlachterprobten britischen Reportern im Saal den Atem raubte. Freemans Anwältin Mary O'Rourke zitierte anonyme Zeugen, die behaupteten, Sutton sei ein "Lügner, Doper, und Tyrann". Ein weiterer Zeuge habe ihr bestätigt, dass er gesehen habe, wie Sutton sich einst Testosteron spritzte. "Interessant", giftete Sutton zurück, das sei wohl die Lüge eines neidischen Konkurrenten. Als Sutton dessen Namen nannte, entgegnete Freemans Anwältin: Nein, das sei nicht ihr Zeuge. Dann verlas sie Textnachrichten, die Sutton an Freeman geschickt hatte: "Sei vorsichtig, was du sagst - ich kann dich und andere in die Sache reinziehen."

Sutton reagierte nun immer ungehaltener; Freeman sei unglaubwürdig, behauptete er, der Arzt sei mehrmals betrunken zum Dienst erschienen. Freeman saß derweil neben Sutton, aber hinter einer Wand, die das Tribunal auf Freemans Antrag hin aufgestellt hatte. "Richard", brüllte Sutton die Wand an, "sei ein Mann! Schau mir in die Augen!" Dann stürmte er mitten in der Vernehmung aus dem Saal, verbunden mit der Bitte, man möge ihn gefälligst nicht mehr belästigen. Sutton war nach seinem Sky-Engagement bis 2016 Sportdirektor im britischen Rad-Verband - er trat damals zurück, weil er Para-Sportler als "Krüppel" und Athletinnen sexistisch beleidigt haben soll.

Bei allem Schmutz, den die Verhandlung aufwirbelte - die drängendsten Fragen blieben ungeklärt. Das Tribunal hält Freemans jüngste Version ebenfalls für wenig glaubwürdig; es vermutet, dass das Testosteron für die Sky-Profis bestimmt war. Freeman bestreitet das vehement. Und Sutton? Der behauptete vor seinem Abgang, er könne sich die Bestellung auch nicht erklären. Team Sky, das mittlerweile Ineos heißt und sieben der jüngst acht Tour-de-France-Sieger hervorgebracht hat, sei jedenfalls das sauberste Programm überhaupt gewesen. Das Verfahren soll an diesem Donnerstag fortgesetzt werden - dann ohne Sutton.

© SZ vom 14.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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