Kunst:Die Stütze der Welt

Kunst: Die Säule aus Edelstahlgeschirr des indischen Künstlers Subodh Gupta, hier noch in seinem Atelier in Neu-Dehli, ist bereits in Polling angekommen.

Die Säule aus Edelstahlgeschirr des indischen Künstlers Subodh Gupta, hier noch in seinem Atelier in Neu-Dehli, ist bereits in Polling angekommen.

(Foto: Stoa 169 Stiftung)

Das "Stoa 169"-Projekt des Künstlers Bernd Zimmer nimmt Gestalt an. Erste Pilaster sind fertig, 2020 soll die Säulenhalle in Polling stehen

Von Sabine Reithmaier

Auf der nebelgrünen Wiese ist es ruhig. Im Hintergrund plätschert leise die Ammer, ab und an stören Autogeräusche von der Bundestraße her die Beschaulichkeit. Die Bauarbeiter haben das Gelände schon verlassen; ihr Werk, eine 2500 Quadratmeter große Bodenplatte, ist sorgsam mit einem Zaun von der grünen Umgebung abgegrenzt. Über den Winter soll die Fläche ruhen, bevor im nächsten Jahr der Aufbau der Säulenhalle beginnt. "Allmählich wird meine Vision Wirklichkeit", sagt Bernd Zimmer, der Initiator des Projekts Stoa 169, und mustert die Platte. "Wirkt doch gar nicht so groß", sagt der Pollinger Künstler, redet erst über wasserdurchlässige, stabilisierende Kiesschichten und schwärmt dann von Blühwiesen und Bäumen, die künftig die Säulenhalle umgeben werden. An diesem Sonntag aber wird er erst einmal den Grundstein im Boden versenken, einen 39 auf 39 Zentimeter großen Tuffstein. "Irgendwie altmodisch, aber ich finde, das gehört dazu."

Die Projektgegner sind inzwischen leiser geworden, verstummt sind sie noch nicht. Zimmer nimmt es gelassen. Er wolle ja einen freien Diskurs, sagt er, da gehörten auch negative Stimmen dazu. Mangelnde Transparenz - der zentrale Vorwurf der Widersacher hinsichtlich des Baugenehmigungsverfahrens - kann man seiner Stiftung jedenfalls nicht mehr vorwerfen. Die vorbildliche Internetseite stellt nicht nur die beteiligten Künstler vor, sondern auch die Bauarbeiter, informiert nicht nur über die Idee und das Konzept, sondern berichtet auch von Baustellenführungen.

Im Mai plant Zimmer, die ersten Säulen aufzustellen. Ein Quadrat von 64 oder bereits 81 Säulen - da ist er sich noch nicht sicher. Insgesamt sollen es 169 werden, jede einzelne 3,90 Meter hoch, jede einzelne individuell gefertigt. Über das Projekt denkt er seit Jahrzehnten nach. Als er im Winter 1989/90 erstmals nach Südindien reiste, faszinierten ihn an den Tempelanlagen der Hindus vor allem die Vorhallen. Jede Säule darin - mal hundert, mal tausend - war individuell gestaltet. Auch ihm schwebten damals 1000 Säulen vor; von der Idee ist er längst abgerückt. Das wäre vielleicht ein wenig eng geworden auf der Wiese, wobei schon noch Platz wäre auf dem insgesamt 35 000 Quadratmeter großen Areal. Aber es ist auch so nicht ganz einfach, die Künstler zu finden, die zum Projekt passen. Zimmer wählt sie nicht allein aus; die Kunstexperten Walter Grasskamp, Corinna Thierolf, Franziska Leuthäußer und Ulrich Wilmes unterstützen ihn bei der Suche. Inzwischen haben mehr als 100 Künstler zugesagt, sich auch schon Gedanken über ihre Säule gemacht. Dicht an dicht hängen an einer langen Wand in Zimmers Atelier die Entwürfe.

Daniel Spoerri beteiligt sich mit einer duftenden, weil mit Harz bestrichenen Säule. Die Wiener Künstlerin Brigitte Kowanz setzt in "Transmission" zwei Säulen zueinander in Beziehung, während ihr Landsmann Hans Schabus einen rostenden Masten - es könnte auch ein Leuchtturm sein - mit einem Rettungsring umgibt. Bildhauer Ulrich Rückriem begnügt sich mit vier Granitblöcken, der Brite Daniel Man hat Kollegen aus der Graffiti-Szene eingeladen, ihre Pseudonyme auf einer Eichenholz-Säule zu hinterlassen. Andrei Loginovs Werk wird begehbar sein und Ozeanien vertritt ein Künstler, der auf der Marquesas-Insel Hiva-Oa seinen Säulenbaum gefällt hat - der Insel, auf der Gauguin begraben ist. Auch Künstler der Aborigines machen mit, dank der Kontakte von Celia und Nikolaus Lang. Der Oberammergauer Konzeptkünstler ist in der Stoa mit einer "Marterl-Säule" vertreten, eine Erinnerung an sechs farbige Kinder aus dem Amazonasgebiet, die ans Königshaus nach Bayern verkauft wurden. Was Karin Kneffel malen wird, weiß Zimmer noch nicht. Auch von Tony Cragg ist noch kein Entwurf zu sehen, aber Säulen sind ohnehin das Thema des britischen Bildhauers. Dafür hat der Inder Subodh Gupta, bekannt für seine Installationen mit Edelstahlgeschirr, seine Säule schon nach Deutschland geschickt. Nicht alle Werke werden fix und fertig in Polling ankommen, manches setzt Zimmer erst vor Ort mit Handwerkern um. "Das spart uns Transportkosten." Magdalena Jetelovás "Knotensäule" wird jedenfalls in Unterammergau geschnitzt.

Bewundernswert ist, wie es Zimmer gelungen ist, Künstler aus allen Kontinenten von seinem Projekt zu überzeugen und zusammenzuführen. Existenzielle Fragestellungen interessieren den Maler seit jeher. Nach der Ausbildung zum Verlagsbuchhändler und noch vor seiner Zeit als "junger Wilder" in Berlin studierte er Philosophie und Religionswissenschaft. Erst danach gründete er mit anderen 1977 die Galerie am Moritzplatz. Nur gut, dass Zimmer bis heute einer der hoch gehandelten Vertreter der "Heftigen Malerei" ist. Wie sonst könnten er und seine Stiftung trotz mancher Zuschüsse das Projekt finanzieren und ein buntes, vielfältiges Archiv der zeitgenössischen Kunst aufbauen. Die Künstlerliste liest sich großartig, auch wenn einige derjenigen, die den Kunstmarkt dominieren, fehlen. "Da stecken oft strategische Überlegungen dahinter", sagt Zimmer. Er kämpfe gerade noch um fünf bis sechs Namen, aber manche der "eitlen Großkünstler" wollten einfach nicht. Egal, wichtig ist ihm, dass diejenigen, die mitmachen, vom Projekt auch seiner politischen Dimension wegen überzeugt sind.

Auf dem Weg zur "Baustelle" - die künftige Stoa ist nur zu Fuß erreichbar - redet Bernd Zimmer über die Anordnung der Säulen, die nur ästhetische - "ich will keine zwei dunklen Säulen nebeneinander" - und bautechnische Aspekte berücksichtigt. Ob er die eigene Säule schon gemacht hat? Die Frage erheitert Zimmer. Nein, sagt er, aber das werde er im Frühjahr mal angehen. Es klingt so, als wäre das wirklich sein geringstes Problem.

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