Tierhaltung:Wie Tierschutz auch ohne Öko gelingt

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Barbara und Michael Weichselbaumer halten ihre Mastschweine seit Jahren in einem Kaltluftstall. (Foto: Marco Einfeldt)
  • Wenig Platz, Spaltböden, kupierte Schwänze - die konventionelle Mast macht viele Schweine krank.
  • Dabei gibt es auch in nicht-ökologischen Mastbetrieben Wege, mit den Tieren schonender umzugehen.
  • Das kommt am Ende nicht nur den Schweinen zugute.

Von Christian Sebald, Pfaffenhofen/Ilm

Nach allen Seiten offen, sodass die Schweine tagein, tagaus an der frischen Luft sind, mehr als doppelt so viel Platz für jedes Tier wie in konventionellen Ställen und viel Stroh zum Wühlen, Kuhlenbauen und Kuscheln: Den 500 Mastschweinen auf dem Doimahof von Barbara und Michael Weichselbaumer nahe dem oberbayerischen Pfaffenhofen geht's bestens. Selbst an diesem grauen, nasskalten Novembervormittag herrscht in den Boxen wohliges Gegrunze. Neugierig begutachten die Tiere Besucher. Andere lassen sich in ihren Strohkuhlen nicht aus der Ruhe bringen. "Seit wir unseren neuen Stall haben, fühlen sich unsere Schweine richtig wohl", sagt Barbara Weichselbaumer.

Die Schweinehaltung zählt zu den umstrittensten Teilen der Landwirtschaft. Die Hauptgründe dafür: Bis auf ganz wenige Ausnahmen werden die Tiere in geschlossenen Ställen gehalten, sie kommen nicht an die frische Luft und sehen kein natürliches Tageslicht. Für ein Mastschwein mit 50 bis 110 Kilogramm Gewicht ist von Gesetzes wegen gerade mal ein Dreiviertelquadratmeter Platz vorgesehen. Außerdem leben die Tiere auf sogenannten Spaltenböden. Auf ihnen wechseln sich Betonbalken, auf denen sie stehen oder laufen können, mit knapp zwei Zentimeter schmalen Spalten ab. Durch letztere können die Exkremente der Schweine schnell und umstandslos in den Güllekeller abfließen.

Kupierte Schwänze, Kastenstände, Kastrierungen - konventionell gehaltene Schweine müssen meist viel aushalten

Auch den Schweinen selbst geht es an den Leib. Damit sie sich in den engen Boxen nicht vor lauter Stress gegenseitig die Schwänze abbeißen, werden diese kupiert. Muttersauen werden rund um die Geburt der Ferkel in Kastenstände gesperrt, in denen sie sich kaum umdrehen können, damit sie ihre Jungen nicht erdrücken. Und auch in Bayern werden jedes Jahr Hunderttausende männliche Ferkel kurz nach der Geburt ohne Betäubung kastriert, damit ihr Fleisch später nicht nach Eber riecht.

Dabei ist die Schweinehaltung im Freistaat längst nicht so industrialisiert wie in Niedersachsen oder in Mecklenburg-Vorpommmern. Laut bayerischem Agrarbericht gab es 2017 im Freistaat 5100 Schweinehalter mit insgesamt 3,3 Millionen Schweinen in den Ställen. Mit 810 000 Tieren wurde der Löwenanteil in 1200 Betrieben mit 400 bis 999 Mastplätzen gehalten, also in vergleichsweise kleinen Einheiten.

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Allerdings schreitet auch in Bayern der Konzentrationsprozess schnell voran. Und zwar in doppelter Hinsicht. Zum einen geben immer mehr Bauern die Schweinehaltung auf, allein zwischen 2016 und 2017 waren es 300 oder sechs Prozent. Zum anderen werden auch hier die Bestände immer größer. Laut Agrarbericht gab es 2017 in Bayern zwar nur gut 300 Betriebe mit mehr als 1000 Mastplätzen. Aber sie hielten zusammen bereits mehr als 400 000 Tiere. Der wirtschaftliche Druck auf die Schweinehalter ist immens. Die Stimmung in der Branche ist am Boden.

Für die Tiere sind die Konsequenzen der durchrationalisierten Haltung dramatisch. Neun von zehn Mastschweinen, die zu süddeutschen Schlachthöfen gebracht werden, leiden an schmerzhaften Schleimbeutel- und Sehnenentzündungen der Beingelenke. Das hat 2015 eine Studie der Tierärztlichen Fakultät an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München ergeben. Die Geschwulste sind oft so groß wie ein Tennisball. In besonders schlimmen Fällen ist die Haut über ihnen eitrig und blutig. "Die Studie ist nach wie vor aktuell", betont Hermann Meiler, der lange Jahre leitender Veterinär in Hof und damit zuständig für die Schlachthöfe in der oberfränkischen Stadt war.

Die massenhaften Entzündungen entstehen wegen der Spaltenböden in den Ställen. Auf ihnen stehen und laufen die Schweine viel unsicherer als auf einem normalen Betonboden mit viel Stroh. Außerdem belasten sie die Gelenke über Gebühr - zumal die Tiere binnen weniger Wochen auf ein Schlachtgewicht von etwa 110 Kilogramm gemästet werden. Eine andere Folge der Spaltenböden sind Deformationen der Klauen und Verletzungen der Fußballen - ebenfalls oft chronischer Art. Laut LMU-Studie leidet mehr als ein Viertel der Schlachtschweine auch daran.

Selbst Tierschutzorganisationen sehen die ökologische Mast nicht als einzige Alternative

Tierschutzorganisationen wie Pro Vieh, die alternative Bauernorganisation Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und Verbraucherorganisationen wie Slow Food verlangen seit Jahren die Umstellung der Schweinehaltung auf höhere Tierwohlstandards. Erst jetzt haben sie die Forderung auf einer gemeinsamen Veranstaltung wiederholt. Die ökologische Mast mit ihren sehr viel strengeren Vorgaben als die konventionelle ist aus ihrer Sicht aber nicht die einzige Alternative. Sondern auch Initiativen wie die der Weichselbaumers aus Pfaffenhofen verbessern das Tierwohl immens.

Die Bauersleute sind konventionell arbeitende Schweinemäster - allerdings mit viel Sinn für nachhaltiges Wirtschaften. Deshalb sind in ihrem Stall sind nicht nur Spaltenböden tabu und viel Platz und Stroh in den Boxen Pflicht. Sondern auch das Futter für ihre Tiere ist frei von Gentechnik. Es kommt fast ausschließlich von den eigenen Äckern. Und selbstverständlich lassen sie den Schweinen die Schwänze, sie werden nicht kupiert. Außerdem setzen sie auf kurze Wege und Direktvermarktung. Ihre schlachtreifen Schweine gehen an einen mittelständischen Metzger in Ingolstadt. Michael Weichselbaumer transportiert sie jede Woche direkt zu ihm hin.

In Bayern gibt es inzwischen etliche Schweinemäster wie die Weichselbaumers. So hat sich in Hof rund um den Metzger Rüdiger Strobel eine solche Initiative etabliert. Strobel hat auch die Interessengemeinschaft bayerisches Strohschwein mitgegründet. Die Organisation hat es sich zur Aufgabe gemacht, Abnehmer für Schlachtschweine aus tierfreundlicher Haltung zu finden. Der Mehraufwand, den die Mäster betreiben, hat natürlich seinen Preis. Strobel bezahlt seinen Bauern nach eigenen Worten pro Strohschwein zusätzlich zum Marktpreis Zuschläge von 29 Cent je Kilo Schlachtgewicht für die tierfreundliche Haltung und weitere zehn Cent je Kilo für die gentechnikfreie Fütterung.

Bei Pro Vieh, AbL und Slowfood hoffen sie dringend, dass Initiativen wie die der Weichselbaumers Schule machen. Schätzungen zufolge wirtschaften bisher allerhöchstes fünf Prozent der bayerischen Schweinemäster auf einem so hohen Tierwohl-Niveau wie sie. Ihr neuer Stall rentiert sich freilich nicht nur für die Schweine. Sondern auch für die Weichselbaumers selbst. "Wir gehen wieder richtig gern in den Stall", sagt Barbara Weichselbaumer. "Die Arbeit macht uns wieder viel Freude."

© SZ vom 15.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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