Zum bundesweiten Vorlesetag:Bitte nicht aufhören!

An diesem Freitag stehen Geschichten im Vordergrund - doch im Landkreis Ebersberg wird das ganze Jahr hindurch Leseförderung betrieben

Von Michaela Pelz

Horkoló liebt Geschichten. Acht Jahre ist er alt und mag es besonders, wenn man ihm während des Vorlesens über den Rücken streicht. Dann wird er ganz ruhig, entspannt sich sichtlich und hört aufmerksam zu. Bestimmt auch an diesem Freitag, am 16. bundesweiten Vorlesetag, wenn jede Menge Vorleser (2018 waren es 687 000) in Bibliotheken, Kindergärten und Schulen zugange sind.

Manchmal stellen wie in der Grund- und Mittelschule Glonn die Großen den Kleinen ihre Lieblingsbücher vor, bevor sie selbst in den Genuss einer Lesung kommen. In Glonn stehen dafür 30 Erwachsene vom Bürgermeister bis zum Basketballtrainer zur Verfügung, die sich dafür teilweise sogar Urlaub genommen haben. Manchmal wird aber nicht nur dem Nachwuchs vorgelesen, sondern auch der deutlich älteren Generation, wie es Georg Reitsberger in Vaterstetten tut, dessen Publikum aus Kindern und Senioren zugleich besteht. Und manchmal gibt es sogar Geschenke, wie in Poing, wo alle Krippen, Kindergärten und Horteinrichtungen zur Unterstützung der Aktion von der Gemeinde Bücher erhalten.

Doch im Landkreis Ebersberg wird weit häufiger als nur einmal im Jahr Begeisterung fürs Lesen und Vorlesen geschürt. An allen Schulformen findet man Lesebeauftragte, und die Kooperation mit Büchereien ist eng. In der Vaterstettener Bibliothek zum Beispiel gibt es Leseförderung für alle Klassenstufen: Von Büchertaschen für Erstklässler über regelmäßige Besuche, spielerische Aktionen, Autorenlesungen für alle dritten Klassen bis hin zur Vorbereitung auf den Schulabschluss. In Steinhöring ist die Bücherei extra zweimal die Woche in der großen Pause der Grundschule geöffnet, und alle "Antolin"-Titel (hier wird per Internet der Wissensstand rund um den jeweiligen Buchinhalt abgeprüft) sind farblich gekennzeichnet. In Grafing wiederum stellt die Bücherei der Mittelschule im Dreimonatsrhythmus neue Bücherkisten. Außerdem fragen die Grundschul- und Comenius-Kinder, die alle vier Wochen kommen, oft schon an der Tür "Liest du wieder vor? Du liest so schön!" Ein Wunsch, dem Leiterin Ursula Schneider nur zu gerne entspricht.

Auch die Mädchen und Buben der 5d des Gymnasiums Grafing muss man nicht lange bitten: Wenn Horkoló da ist, trauen sich sogar die Schüchternen, vor der Klasse laut zu lesen. Manche lassen dabei die Hand nach unten baumeln und bekämpfen ihre Nervosität durch Körperkontakt. Alles ganz normal, denn Horkoló ist ihr Schulhund. Ausgebildet hat ihn Deutschlehrerin Petra Köpf zusammen mit ihrem Hundetrainer, die Idee dazu stammt von Schulleiter Paul Schötz. Seit diesem Schuljahr begleitet der Labrador-Vizla-Mischling seine Besitzerin nun in den Unterricht und sorgt durch seine pure Anwesenheit dafür, dass die Kinder ruhig und entspannt dem Unterricht folgen.

Zum bundesweiten Vorlesetag: Auch Horkoló, Schulhund am Gymnasium Grafing, liebt es, wenn vorgelesen wird.

Auch Horkoló, Schulhund am Gymnasium Grafing, liebt es, wenn vorgelesen wird.

(Foto: Christian Endt)

Ebenfalls ruhig, aber eher gespannt wie ein Flitzebogen ist das junge Publikum bei den Lesungen aus "Die abenteuerliche Reise des Leopold Morsch" von Gregor Wolf. Wenn der Vaterstettener Autor aus seinem Roman liest, in dem ein Einsiedler, ein Baum und ein Ritter einen entführten Jungen retten, sitzen die Kinder nicht selten mit großen Augen und offenem Mund da. "Man kann förmlich sehen, wie sie in die Geschichte eintauchen", sagt Wolf.

Diese Fähigkeit, sich etwas vorstellen zu können, erwirbt man laut Monika Peters nur durch das Zuhören. Auch Empathie wird nach Meinung der stellvertretenden Leiterin der Gemeindebücherei Vaterstetten durchs Vorlesen gefördert. Außerdem weiß sie aus Erfahrung, dass auch ältere Jugendliche noch gerne Geschichten hören. Darum fordert sie: "Hört nicht auf vorzulesen!" Mittwochs stehen bei ihr die Vier- bis Sechsjährigen im Fokus, mit denen gelesen sowie zu den Geschichten gebastelt, geturnt und getanzt wird, das Bilderbuchkino findet im Monatsrhythmus statt wie auch die "Lesekerle": nur für Jungs, mit männlichen Vorlesern. Ein solches Angebot gibt es auch in Grafing, außerdem kommen dort selbst Erwachsene in den Genuss regelmäßiger Vorlesungen - bei Themenfrühstück, Kaffee und Kuchen oder sogar während sie handarbeiten.

Gehäkelt hat auch eine engagierte Lesepatin der Grundschule Steinhöring, nämlich Bücherwürmer, wie Rektorin Barbara Mäusl berichtet. Zweit- und Drittklässler trainieren mit der "Leseoma" und weiteren Ehrenamtlichen in Kleingruppen das Lesen, was die Kinder sehr genießen. So werden sie fit für externe Vorlesewettbewerbe. An dem internen dürfen sogar schon die Erstklässler teilnehmen.

Lesen als Schlüsselqualifikation will auch das Programm FiLBY (Fachintegrierte Leseförderung Bayern) fördern. 150 der fast 900 teilnehmenden Schulen werden von der Uni Regensburg evaluiert, darunter ist auch die Grundschule Pliening. Die für das Projekt zuständige Konrektorin Sabine Bauernschmidt hält die Idee, sich neben einer Lektüre im Herbst im Frühjahr verstärkt mit Sachtexten zu beschäftigen (das Heft enthält 60 einseitige Stücke, von denen idealerweise täglich eines gelesen werden soll), an sich für gut. "Aber es kostet viel Zeit", meint sie, vor allem im Hinblick darauf, dass ja auch Rechtschreibung, Sprachbetrachtung und Aufsatz zum Deutschunterricht gehören.

All diese und die zahlreichen anderen Aktivitäten zur Förderung der Lesekompetenz seien auch deswegen so wichtig, weil die Aufmerksamkeitsspanne generell geringer geworden sei, und das Vorlesen zu Hause an Stellenwert verloren habe, da sind sich die Befragten einig. Immer wieder wird dies auf die Digitalisierung und die veränderten Tagesstrukturen aufgrund der Erwerbstätigkeit beider Eltern zurückgeführt - wobei allerdings laut Vorlesestudie 2019 (von der Stiftung Lesen, der Zeit und der Deutschen Bahn Stiftung) nur 27 Prozent berufstätiger Mütter zu selten vorlesen, während es bei den nicht berufstätigen 39 Prozent sind.

Vorlesestunde Bücherei Ebersberg

Beim Besuch des Waldhortsin der Ebersberger Bücherei lauschen die Kinderder Stimme von Pit Golle.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Zudem achtet man auch in den Betreuungseinrichtungen vielfach darauf, dass die Beschäftigung mit Büchern nicht zu kurz kommt, zum Beispiel im Waldhort Ebersberg. Obwohl die dortigen Schüler bei jedem Wetter nach draußen gehen, stehen ihnen gut 50 Titel, überwiegend Sachbücher, zur Verfügung sowie "bestimmt 20 Märchenbücher aus meiner eigenen Kindheit", wie Leiterin Karen Brummer erzählt. Damit setzen sich die Kinder gern in die Sofaecke oder lassen sich draußen vorlesen. Zusätzlich verbringen die Mädchen und Buben regelmäßig etwa zwei Stunden in der Stadtbücherei, wo sie nach Herzenslust schmökern oder sich vorlesen lassen dürfen.

Am schönsten ist so eine Vorlesestunde in jedem Alter aber immer noch kurz vor dem Schlafengehen - dick eingekuschelt mit einem Familienangehörigen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: