MVV-Tarifreform:Ein mühsamer Kompromiss

Es dauerte lange, bis die Gesellschafter des MVV sich wirklich einig waren - zuletzt half eine Finanzspritze des Freistaats.

Von Andreas Schubert

Stöbert man ein bisschen in den Archiven, was so vor 20 Jahren beim Münchner Verkehrs- und Tarifverbund (MVV) los war, fühlt man sich durchaus an die heutigen Debatten erinnert. Als ungerecht wurde die damalige Reform der Tarifstruktur empfunden, und zwar natürlich von denjenigen, die mehr zahlen mussten. Die anderen, die finanziell besser wegkamen, hielten sich mit Kritik zurück. Fest steht: Als 1999 die Tarife auf das jetzt auslaufende System umgestellt wurden, galt dies durchaus als Vereinfachung: Aus 141 Tarifgebieten, "Waben" genannt, wurden die bekannten 16 Ringe und vier Zonen. Der damalige MVV-Chef Klaus Wergles, der von 1997 bis 2009 die Geschäfte zusammen mit Alexander Freitag führte, pries das neue System als eines der einfachsten und billigsten im Lande.

Dumm nur, dass mit den Ringen und Zonen und Räumen viele Kunden nicht gut zurechtkamen, weshalb München in den darauf folgenden Jahren trotzdem oft als negatives Beispiel herhalten musste, wenn - egal wo - über die "Tarifdschungel" in deutschen Großstädten berichtet wurde.

Immerhin hat sich das System zwei Jahrzehnte lang gehalten, nicht zuletzt, weil es als einigermaßen gerecht galt. Und wer sich beim Kauf einer Zeitkarte oder eines Abos damit beschäftigte, kam durchaus mit der Systematik zurecht. Verwirrt waren aber all diejenigen, die nicht regelmäßig mit dem MVV unterwegs waren. An Fragen wie "Zahl ich nun nach Zone oder Ring?" oder "Was ist München XXL?" sind vor allem Menschen von außerhalb regelmäßig verzweifelt.

Das neue System, das sowohl bei Einzeltickets als auch bei Zeitkarten mit einer M-Zone und sechs Zonen außerhalb der Stadt auskommt, nennt Bernd Rosenbusch, der Nachfolger auf dem Chefposten des Verbunds, "ein Meisterwerk". Über diesen Begriff lässt sich durchaus streiten, zumindest zweifeln dies all diejenigen an, die nun mehr zu zahlen haben als vorher. Aber eine Reform ist eben nie zu hundert Prozent gerecht, wie Rosenbusch feststellt. Dass es zumindest nicht zu viele Verlierer gibt, hat die an der Reform Beteiligten einiges an Zeit und Nerven gekostet. Denn eigentlich sollte sie schon mindestens ein Jahr früher in Kraft treten. Den schließlich nach drei Jahren Verhandlungen erzielten Kompromiss lässt sich die Stadt München bis zu 28,35 Millionen Euro pro Jahr kosten.

Der Weg zu diesem Ergebnis war nicht ohne Hürden. Im Sommer 2018 war eine erste Reform bereits ausgehandelt und auch im Münchner Stadtrat beschlossen worden. Doch der Landkreis München verweigerte so lange die Zustimmung, bis die Verhandlungen zu scheitern drohten. In der folgenden Hochphase des Landtagswahlkampfs schaltete sich Ministerpräsident Markus Söder (CSU) ein und stellte überraschend eine finanzielle Beteiligung des Freistaats am Defizit des MVV bereit. 35 Millionen Euro im Jahr für Tickets und 15 Millionen Euro zusätzlich für die Infrastruktur. Mit diesem Zuschuss wurden die Tarife so reformiert, dass alle acht MVV-Landkreise und die Stadt München dann doch zustimmten. Auf Geheiß von Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), der zugleich Vorsitzender der MVV-Gesellschafterversammlung ist, stimmte bei der zweiten Runde der Münchner Stadtrat als letztes Gremium im Verbund ab.

Die Zusage der Staatsregierung kam insofern überraschend, da sie vorher stets betont hatte, sie werde die Tarife nicht subventionieren. Doch damit nicht genug: Zusätzlich kündigte Söder ein 365-Euro-Ticket für große Verkehrsverbünde an. Ob dieses wirklich für alle kommt, ist wegen der hohen Kosten ungewiss. Doch bereits vom kommenden Jahr an sollen zumindest Auszubildende für einen Euro pro Tag mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren können. Das würde nach Angaben von MVV-Chef Rosenbusch für München zirka 30 Millionen Euro kosten; am 6. Dezember beschäftigt sich die Gesellschafterversammlung damit. Vom 365-Euro-Ticket auch für Erwachsene ist Rosenbusch nicht so begeistert. Sinnvoller sei es, bei zu erwartenden Kosten von Hunderten Millionen Euro in die Infrastruktur zu investieren.

Zukunftsmusik ist auch ein elektronisches Abrechnungssystem, bei dem Kunden nach der zurückgelegten Entfernung zahlen. Ob das funktionieren würde, will der MVV herausfinden. Kommendes Jahr startet ein Pilotversuch, an dem 10 000 Fahrgäste teilnehmen sollen.

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