Universitäten:Die Gedanken sind frei

AfD-Mitgründer Lucke hält erste Uni-Vorlesung

Im Oktober hinderten Aktivisten AfD-Mitbegründer Bernd Lucke daran, eine Vorlesung an der Universität Hamburg zu halten. Ein Zeichen für fehlende Meinungsfreiheit?

(Foto: Markus Scholz/dpa)

Diskursverbote? Das Meinungsklima an den Hochschulen ist viel breiter, als von ideologischen Scharfmachern behauptet wird.

Kommentar von Bernd Kramer

Deutschlands Hochschulchefs treffen sich am Montag in Hamburg, an jener Uni also, wo AfD-Gründer Bernd Lucke ausgebuht und FDP-Chef Christian Lindner ausgeladen wurde. Der Ort scheint das Thema zu diktieren: Die Rektorinnen und Rektoren wollen über die Meinungsfreiheit reden - sie jetzt also auch noch mal. Im April schon hatte der Deutsche Hochschulverband, die Standesvertretung der Professoren, gewarnt, die Debattenkultur an Instituten und Fakultäten sei gefährdet. "Die Toleranz gegenüber anderen Meinungen sinkt", heißt es in der Resolution. Eine Behauptung, für die der Professorenverband keinen näheren Beleg bringt. Dafür macht er sich erschreckend gedankenlos den rechten Kampfbegriff der Political Correctness zu eigen.

Die Alarmrufe verwundern schon allein deswegen, weil die Universitätsbevölkerung heute eher vielfältiger und gemäßigter zu sein scheint als früher. Der Anteil derer, die sich als links bezeichnen, ist auf lange Sicht deutlich gesunken, wie Konstanzer Hochschulforscher festhielten: 58 Prozent waren es zu Beginn der 90er-Jahre, 45 Prozent im Jahr 2013 (aktuelle Zahlen wurden nicht erhoben). Die Ränder im politischen Spektrum an den Unis sind schmal geworden. Wenn es also eine Phalanx der Unduldsamen in den Hörsälen und Seminaren gibt, macht die Debatte sie größer, als sie wirklich ist. Ein paar Extrembeispiele finden sich immer. Aber vieles, was als Beleg angeführt wird, zerbröselt bei näherem Hinsehen.

Christian Lindner war nur Opfer der Raumvergabeordnung

Der Verein Deutsche Sprache versuchte kürzlich mit Flugblättern, Studierende gegen "rechtswidrige sprachpolizeiliche Genderregeln ihrer Universitäten" zu mobilisieren. Das klingt dramatisch, aber fragt man an einer Uni wie Greifswald nach, deren Sprachregime der Verein als besonders rigide geißelt, findet man wenig, was die reißerischen Worte rechtfertigen würde: Seminararbeiten werden weiter nach Inhalt und korrekter Zitierweise bewertet, Dozenten vergeben mitnichten reihenweise Strafpunkte für fehlende Gendersternchen und Binnen-Is. Die "rechtswidrigen sprachpolizeilichen Genderregeln" bestehen lediglich im Bemühen, die Studierenden für eine inklusive Sprache zu sensibilisieren.

Auch FDP-Chef Christian Lindner, der auf Einladung der Jungen Liberalen an der Universität sprechen sollte, ist nicht das Opfer einer Gesinnungspolizei, sondern schlicht der Raumvergabeordnung. Die Uni gestattet keine parteipolitischen Veranstaltungen. Wie zweckmäßig diese Vorgabe ist, wenn gleichzeitig Sahra Wagenknecht sprechen darf, weil sie nicht von der Parteijugend, sondern einem Arbeitskreis linker Ökonomiestudenten geladen war, ist eine andere Frage.

So kann man es Fall für Fall durchgehen und entdeckt selten eine Diskurspolizei. Was man findet, ist allenfalls ein ungeschicktes Diskursmanagement. So auch bei Lucke. Womöglich wäre der Protest milder ausgefallen, hätte man ihn nicht einfach kommentarlos wieder ins Vorlesungsverzeichnis gesetzt, als wäre nie etwas gewesen. Besser wäre es gewesen, man wäre die Rückkehr von vornherein offensiv angegangen - etwa mit einer Podiumsveranstaltung an der Universität, bei der Lucke und seine Kritiker hätten aufeinandertreffen können. Aber das überließ die Hochschule dann lieber den Talkshows, als der bedenkliche Spin einer gefährdeten Meinungsfreiheit längst gesetzt war.

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