Grüne:Die Macht und ihr CO₂-Preis

Auf ihrem Parteitag wollen die Grünen Regierungsfähigkeit demonstrieren. Doch die Basis hält manchen Vorschlag für zu lasch. Gerade zum Thema Klima. Die beiden Vorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock werden dennoch mit Rekordergebnissen wiedergewählt.

Von Constanze von Bullion, Bielefeld

Germany's Green Party delegates conference in Bielefeld

In kaum einer Rede fehlt das Wort Verantwortung: Die wiedergewählten Grünen-Chefs Robert Habeck und Annalena Baerbock am Samstag beim Parteitag in Bielefeld.

(Foto: Leon Kuegeler/Reuters)

Ein Parteitag ist das, der streckenweise so wirkt, als habe jemand den Grünen Schlummertee verabreicht. Bis dann dieses Baerbock-Festival losbricht und es auch noch ein bisschen Ärger gibt, um die Schuldenbremse.

Bundesparteitag der Grünen in Bielefeld, drei Tage lang hat die Partei diskutiert, in ungewöhnlich friedfertigem Ton, jedenfalls für grüne Verhältnisse. Die Partei macht sich bereit zum Regieren, auch wenn die Bundestagswahl noch weit sein könnte. In kaum einer Rede der Parteioberen fehlt das Wort Verantwortung. Raus aus gemütlichen Denkhöhlen, ist da die Devise. Die Grünen wollen einen Fahrplan für die Klimawende, der ökonomisch umsetzbar und soziaverträglich ist. In einer Zeit, in der bis in die CSU nahezu alle demokratischen Parteien Umweltziele postulieren, will die Partei unterscheidbar bleiben - und an der Spitze der Bewegung.

Das Wahlergebnis ist eine kleine Sensation: Annalena Baerbock erhält 97,1 Prozent der Stimmen

Wohnen, Klima, Wirtschaft heißen die Schwerpunkte in Bielefeld, gerade beim Thema Klima sind die Vorschläge des Bundesvorstands Teilen der Basis und der Grünen Jugend viel zu lasch. Kontrovers ist am Sonntag vor allem: der CO₂-Preis. Die Parteiführung fordert zunächst einen Preis von 40 Euro pro Tonne CO₂, der 2021 auf 60 Euro steigt. Die Parteioberen wollen gesprächsfähig bleiben, auch mit der großen Koalition, deren Klimapaket im Bundesrat verhandelt wird. Nur verweigern wollen die Grünen sich dort nicht. Auf der anderen Seite machen Klimaaktivisten und junge Leute Druck. Nach nächtelangen Verhandlungen wird in Bielefeld ein Einstiegspreis von 40 Euro pro Tonne CO₂ beschlossen. Auf Druck auch der Grünen Jugend soll der Preis allerdings schon im kommenden Jahr auf 60 Euro steigen, um das Klimabewusstsein zu schärfen

Kompromissfähig bleiben, zuhören, "auch mal ein Fragezeichen stehenzulassen", statt immer gleich zu brüllen und sich auch Meinungen politischer Gegner anhören, das fordert Parteichef Robert Habeck schon am ersten Tag der Bundesdelegiertenkonferenz. Habeck warnt vor einer "tektonischen Verschiebung" in Wirtschaft und Gesellschaft. Klimakrise, Verunsicherung, schwindendes Vertrauen in die Demokratie - die Grünen dürften sich da nicht wegducken vor der Verantwortung. "Wir wollen die Weichen mitstellen", ruft Habeck. "Wir wollen Pläne, die den Horizont wieder aufmachen." Es folgt eine rhetorische Verbeugung vor dem weiblichen Geschlecht, vor Frauen wie Petra Kelly, Greta Thunberg, auch Angela Merkel, die mutig die Dinge vorangetrieben hätten. Habeck, das ist unüberhörbar in Bielefeld, bemüht sich um die Gunst grüner Frauen. Schließlich steht am Samstag die Wiederwahl der Parteivorsitzenden an.

Die Abstimmung allerdings wird dann eher zu einem Triumph für Annalena Baerbock. "Menschen, die wirklich gestalten wollen, die muten sich Widerspruch zu", sagt sie in ihrer Bewerbungsrede. "Ich will, dass Politik Verantwortung übernimmt, unsere Zukunft zu gestalten." Klimaschutz sei nur vermittelbar, wenn er die sozial Benachteiligten mitnehme, so die Parteivorsitzende, die über die Gleichberechtigung zügig zur Außenpolitik kommt und zur Notwendigkeit einer europäischen Arme. Als Robert Habeck an der Reihe ist, wirkt er, als habe er gar keine Lust mehr auf das Wettreden mit Baerbock. Kanzlerspekulationen, täglich wachsende Erwartungen - er wolle nicht immerfort verglichen und ausgespielt werden gegen Annalena Baerbock. "Es ist ein Privileg, dass wir immer weiter zusammengerückt sind", sagt er.

Das Wahlergebnis wird dann eine kleine Sensation. Baerbock wird mit einem grünen Allzeitrekordergebnis von 97,1 Prozent als Parteivorsitzende bestätigt. Auch Habeck bekommt ein Spitzenergebnis, das kein männlicher Parteichef je erreicht hat. Mit 90,4 Prozent allerdings landete er ein Stück hinter Baerbock. Nicht nur bei grünen Frauen wird das als Hinweis gewertet, dass ein Habecksches Solo an der Parteispitze unerwünscht ist.

Dass Baerbock in Zuspruch baden kann in Bielefeld, beantwortet sie am Sonntag mit einem Appell an innere Veränderungsbereitschaft. Angestammte Überzeugungen wie die Unvereinbarkeit von Ökologie und Ökonomie, das sei von gestern, erklärt sie. Eine "sozial-ökologische Marktwirtschaft" sei ohne entschlossene Ordnungspolitik nicht durchzusetzen und das Ziel der Klimawende nicht zu erreichen ohne die Wucht der Märkte. "Natürlich braucht auch ein Markt Regeln, damit das Ganze funktioniert. Und ja, das kann man auch Verbote nennen", ruft Baerbock.

Das vom Vorstand empfohlene Votum zur Beibehaltung der Schuldenbremse - gestrichen

Keine Angst mehr vor dem Wort "Verbotspartei", heißt das auch. Seit der Klimaschutz bei den Wählern so hoch im Kurs ist und allerorten Umdenken gefordert wird, werden die ordnungspolitischen Appelle der Grünen lauter. Digitalkonzerne kontrollieren, Finanzmärkte regulieren, Vorgaben für eine klimagerechte Transformation der Industrie - ohne Leitplanken wirkten Wachstumsmärkte zerstörerisch, sagt Baerbock. "Wir als Europäerinnen und Europäer, wir sind der größte Binnenmarkt der Welt. Wir können Standards setzen."

Ganz unfallfrei allerdings geht der Parteitag nicht über die Bühne. Beim Thema Wohnen kann die Parteispitze noch wie gewünscht durchsetzen, dass ein Recht auf Wohnen ins Grundgesetz kommt und - als letztes Mittel - Enteignungen von Grundbesitzern möglich werden, die sich dauerhaft ihrer sozialen Verantwortung entziehen. In der Wirtschaftsdebatte aber scheitert der Bundesvorstand mit dem Vorhaben, explizit an der Schuldenbremse für die Länder festzuhalten.

Bereits im Vorfeld des Parteitags hatten die Grünen gefordert, für den ökologischen Umbau Kredite von 30 Milliarden Euro aufzunehmen. Dazu soll die Schuldenbremse gelockert werden, ohne sie abzuschaffen. Der Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg wollte dieses Bekenntnis zur Schuldenbremse streichen. Am Sonntag wird mehrfach abgestimmt in Bielefeld, zuletzt schriftlich. Am Ende obsiegen die Kreuzberger, viele Delegierte springen auf. Der Bundesvorstand nimmt die Niederlage eher gelassen. Es hat schon größere Aufstände gegeben bei den Grünen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: