EU-Haushalt:Brüssel ist mehr wert

Das Gerede über Nettozahler und Nettoempfänger in Europa führt in die Irre. Es wäre besser, die Mitgliedstaaten diskutierten darüber, wo ihre Beiträge richtig eingesetzt sind. Für Agrarsubventionen jedenfalls nicht.

Von Björn Finke

Das große Gefeilsche hat begonnen: Die Mitgliedstaaten müssen sich auf das EU-Budget für 2021 bis 2027 einigen. An diesem Dienstag diskutieren die Europa-Minister darüber in Brüssel, doch ein Durchbruch ist nicht in Sicht. Debatten über den siebenjährigen Finanzrahmen waren immer schon anstrengend, aber diesmal ist die Auseinandersetzung besonders hart. Schließlich fällt wegen des - vermuteten - Austritts der Briten ein wichtiger Beitragszahler weg. Bisher liegen die Vorstellungen über das Haushaltsvolumen weit auseinander. Deutschland gehört zu den Staaten, die auf Sparsamkeit dringen; Berlin klagt, die Belastung für den größten Nettozahler der EU werde ansonsten drastisch steigen.

Dass die Regierungen jetzt vorrechnen, wer wie viel einzahlt und was zurückkommt, ist ebenso erwartbar wie deprimierend. Das Gefasel über Nettozahler und -empfänger führt in die Irre, lenkt von der entscheidenden Frage ab: Wofür setzt die EU das Geld ein, wo sollte Brüssel mehr und wo weniger investieren?

Die Staaten ermitteln die Nettobelastung, indem sie ihre Beiträge vergleichen mit dem, was an Agrarsubventionen oder Hilfen für benachteiligte Regionen aus Brüssel zurückfließt. Daraus ergibt sich, dass Deutschland pro Jahr 13,5 Milliarden Euro netto für die Mitgliedschaft zahlt. Diese Klubgebühren würden sich nach Berechnungen Berlins mehr als verdoppeln, wenn die Briten nichts mehr überweisen und der Haushaltsvorschlag der EU-Kommission nicht gekürzt wird.

Allerdings sinkt der Anteil, der im Brüsseler Etat auf Beihilfen für Bauern und arme Landstriche entfällt: Zum Glück, auch wenn es immer noch viel zu viel ist. Im neuen Budgetplan will die EU nun ein gutes Drittel des Geldes für Wichtigeres reservieren, etwa die Förderung von Forschung oder Hilfen bei der Flüchtlingskrise. Die Europäische Union nutzt hier die Mitgliedsbeiträge, um Probleme anzugehen oder Entwicklungen anzustoßen, bei denen einzelne Regierungen überfordert wären. Die Länder profitieren von den Ergebnissen dieser Anstrengungen, und es wäre völlig sinnlos, in diesem wachsenden Bereich auf die Höhe der direkten Rückflüsse in Staaten zu schauen.

Und dann gibt es noch die Segnungen des Binnenmarktes: Die EU hat einen riesigen gemeinsamen Markt geschaffen, und der Wert der wirtschaftlichen Vorteile übersteigt die Mitgliedsbeiträge der Staaten um ein Vielfaches.

Anstatt bräsig über die Nettobelastung zu jammern, sollte die Bundesregierung daher lieber eine Debatte über die Verwendung des Budgets anstoßen. Schließlich steht Europa vor großen Herausforderungen: In den Digitalbranchen hinkt die Wirtschaft hinterher, mit den USA droht ein Handelskrieg, die Konkurrenz durch China wächst. Die Flüchtlingskrise ist ungelöst, und der Kampf gegen den Klimawandel wird teuer. Die EU kann den Staaten hier helfen, braucht dafür aber Geld.

Die Mitglieder sollten ruhig mehr Mittel zur Verfügung stellen, wenn die EU bestimmte Probleme besser angehen kann als einzelne Staaten. Die Union kann etwa grenzüberschreitende Stromtrassen fördern, um Ökostrom zu transportieren - oder Datenleitungen, um ganz Europa zu einem großen Digitalmarkt zusammenzuschließen. Die EU kann kostspielige Forschungsprojekte unterstützen, von denen Firmen aller Länder profitieren - oder Rüstungsvorhaben, die der Sicherheit des gesamten Kontinents dienen. Der Ausbau von Frontex, des EU-Grenzschutzes, ist bereits beschlossen. Gelingt es den Regierungen, sich auf ein europaweites Asylsystem zu einigen, wird die EU da ebenfalls eine wichtige Rolle übernehmen.

Für solche Aufgaben zusätzliches Geld nach Brüssel zu überweisen, ist eine clevere Investition. Denn dies national zu regeln, wäre viel teurer - oder gar unmöglich. Auf der anderen Seite schlummert ein riesiger Posten im Haushalt, bei dem die Einbindung Brüssels keinerlei Mehrwert bietet: die Agrarsubventionen. Die Milliardenhilfen bringen Europa nicht voran; im Gegenteil schadet die Unterstützung der industriellen Landwirtschaft dem Klima. Zöge sich die EU hier zurück, könnten die Mitgliedsbeiträge kräftig sinken. Wollen Regierungen dann Nachteile für ihre Bauern vermeiden, könnten sie diese aus dem Staatshaushalt päppeln. Manche Länder würden das machen, manche würden sich entscheiden, einen Teil der frei werdenden Mittel für Sinnvolleres zu verwenden, zum Beispiel für Schulen.

Traurigerweise ist es jedoch illusorisch, dass die EU-Staaten die Agrarbeihilfen abschaffen oder drastisch kappen. So schließt Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner Kürzungen der Subventionen brüsk aus, während Kanzlerin Angela Merkel zugleich vor höheren Beiträgen warnt. Schlimmstmögliches Ergebnis der Budgetverhandlungen wäre, die Subventionen nicht anzutasten, aber bei Zukunftsthemen wie Forschung und Digitalem zu sparen - den quengelnden Nettozahlern zuliebe. Leider ist die Gefahr groß, dass es genau so kommt.

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