Tödlicher Raserunfall:War es Mord?

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Nach dem Unfall an der Fürstenrieder Straße wirft die Staatsanwaltschaft dem Verdächtigen unter anderem niedere Beweggründe und Heimtücke vor. Ein Merkmal reicht, damit eine solche Tat als Mord eingestuft wird.

Von Stephan Handel

Im Gegensatz zur landläufigen Meinung liegt der Unterschied zwischen Mord und anderen Tötungsdelikten nicht darin, ob die Tat mit Absicht begangen wurde. Die Absicht - juristisch: der Vorsatz - ist vielmehr die erste Voraussetzung für eine Straftat, die sogenannten Fahrlässigkeits-Delikte einmal außer Acht gelassen. Dabei reicht für eine Anklage schon die unterste Stufe des Vorsatzes, lateinisch dolus eventualis, der "bedingte Vorsatz": Wer auf dem Oktoberfest mit einem abgebrochenen Masskrug auf seinen Kontrahenten losgeht, der muss und kann wissen, dass er ihn damit umbringen kann. Auch wenn das nicht seine Absicht ist, kann ihm dann eine Mord-Anklage drohen. Diese Linie verfolgt die Münchner Staatsanwaltschaft seit einigen Jahren, die Gerichte folgen ihr dabei zumindest in manchen Fällen.

Diese Überlegung dürften die Ankläger auch im Fall des Unfalls an der Fürstenrieder Straße angestellt haben: Wenn jemand nachts mit 120 Stundenkilometern durch die Stadt rast, nimmt er dann nicht zumindest "billigend in Kauf", dass Menschen zu Schaden kommen?

Ulrich Nowak, Fachanwalt für Verkehrs- und für Strafrecht in München, fügt noch hinzu, dass der Raser ja wohl schon vor der verhängnisvollen Kollision andere Autofahrer zu Ausweichmanövern gezwungen hat: "Da hätte er merken können, dass das gefährlich ist, was er tut", sagt Nowak. "Dass er dennoch weitergefahren ist, könnte für den Vorsatz sprechen." Es gibt allerdings durchaus Juristen, die der Meinung sind, allein die Möglichkeit eines schwerwiegenden Schadens reiche nicht für die Annahme, der Täter habe den Tod eines Menschen "billigend in Kauf genommen".

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Wenn die Staatsanwaltschaft aber nun, den Vorsatz betreffend, zu diesem Ergebnis gekommen und damit bei einem Tötungsdelikt angelangt ist, dann geht es um die Qualifizierung: Mord? Totschlag? Fahrlässige Tötung? Die Ankläger haben in ihren Antrag auf Haftbefehl gleich vier Merkmale aufgelistet, die ihrer Meinung nach die Tat des 34-Jährigen zum Mord machen: Heimtücke, niedere Beweggründe, die Anwendung eines gemeingefährlichen Mittels sowie die Absicht, vorangegangene Straftaten zu verdecken.

Die niederen Beweggründe dürften ohne Probleme einsichtig sein: Der Fahrer wollte der Polizeistreife entkommen, weil er unter offener Bewährung stand, weil er Drogen im Auto hatte, weil er eventuell betrunken war. Um sich einer Bestrafung zu entziehen, raste er ohne Rücksicht auf das Leben anderer Menschen los. Auch das gemeingefährliche Mittel steht vermutlich außer Frage - wenn bei einer gefährlichen Körperverletzung schon schwere Stiefel als "gefährliche Waffe" gelten, um wie viel mehr dann ein 120 km/h schneller BMW.

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Das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht trifft klassisch zu, wenn ein Einbrecher auf frischer Tat ertappt wird und sein Gegenüber tötet, um fliehen zu können. Für den Unfall, sagt Anwalt Nowak, brauchen Juristen eine Umdrehung mehr in der Logik: "Er wollte fliehen, um sich der Bestrafung zu entziehen. Wenn er gebremst oder angehalten hätte, hätte ihn die ihm folgende Polizeistreife vermutlich gestellt."

Am schwierigsten zu begründen dürfte der Vorwurf der Heimtücke sein - denn sie setzt nicht nur die Arglosigkeit der Opfer voraus, sondern auch, dass der Täter diese zu seinem Vorteil ausnutzt. Konnte die Fußgängergruppe tatsächlich nicht erkennen - hören, sehen -, dass da ein Auto mit viel zu hoher Geschwindigkeit herankommt? Mussten sie damit rechnen, dass dieses Auto auf der falschen Fahrbahn fuhr, dass da ein Geisterfahrer unterwegs war? Einen Vorteil schließlich hatte der Täter von dem Unfall nicht, im Gegenteil, er brachte ja letztendlich seine Flucht zu ihrem Ende.

Es geht dabei nicht um eine Mitschuld der Opfer, sondern darum, was dem Täter zuzurechnen ist. Für die Einstufung als Mord reicht die Feststellung eines einzigen Merkmals aus. Ob die vier, die die Staatsanwaltschaft aufgelistet hat, auch im Prozess halten werden, wird das Gericht zu entscheiden haben.

© SZ vom 19.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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