Psychologie:Warum Wissenschaftler Fehler ungern zugeben

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Eine Kollegin der Psychologin Amy Cuddy glaubt nicht mehr an die Ergebnisse der gemeinsamen Forschung. (Foto: Erik (HASH) Hersman/CC BY 2.0)
  • In einem mutigen Projekt können Psychologen äußern, wenn ihnen im Nachhinein Zweifel an ihren eigenen Studien kommen.
  • Doch nur wenige trauen sich, öffentlich Kritik an der eigenen Arbeit zu üben.
  • Dabei zeigen anonyme Umfragen, dass erstaunlich viele Forscher nach einiger Zeit nicht mehr hinter ihren früheren Ergebnissen stehen.

Von Sebastian Herrmann

Das eigene Selbst bleibt einem frustrierend oft verschlossen. Lässt man sich etwa zu einer öffentlichen Selbsteinschätzung hinreißen, provoziert das gerne mal Hohngelächter oder wenigstens Irritation. Es öffnet sich zuverlässig eine Kluft zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung. 2010 veröffentlichte die Psychologin Simine Vazire jedoch eine Studie im Fachjournal Journal of Personality and Social Psychology, die zumindest für manche Persönlichkeitsmerkmale eine Überlegenheit der Selbsteinschätzung nahelegte, etwa wenn eine Charaktereigenschaft nicht leicht zu beobachten sei. Nun, einige Jahre später, schätzt die Wissenschaftlerin von der University of California in Davis die Ergebnisse ihrer Studie selbst anders ein und distanziert sich davon: Sie habe die Daten auf mehrere Weisen analysiert, als sie angegeben habe. "Dann habe ich die Rosinen herausgepickt und diese publiziert", schreibt sie.

Die öffentliche Selbstkorrektur steht in Gesellschaft von elf weiteren Autoren oder Autorenteams. Vazire ist eine der Forscherinnen, die im Rahmen des Loss of Confidence Projects Zweifel an den Ergebnissen eigener Arbeiten aus der Vergangenheit anmelden und eigene Vorgehensweisen kritisieren. Gerade haben Psychologen um die Projektleiterin Julia Rohrer von der Universität Leipzig Ergebnisse des Projektes auf dem Preprint-Server PsyArXiv publiziert. Darin plädieren sie dafür, die Selbstkorrekturen einzelner Forscher zu erleichtern und zu fördern. Dies sei sogar zwingend geboten, um das System Wissenschaft von Fehlern zu befreien und das Vertrauen in die Zuverlässigkeit publizierter Ergebnisse zu erhöhen.

In der Theorie korrigiert sich Wissenschaft selbst. Erkenntnisse bauen aufeinander auf, akkumulieren sich und nach und nach schält sich etwas heraus, das als weitgehend gesichert gelten kann. Alles andere sortiert sich unterwegs von selbst aus, wie gesagt, in der Theorie. Diese hehre Vorstellung scheitert unter anderem daran, dass sich Wissenschaftler wie andere Menschen auch in Ansichten verrennen können. "Und die Anreizstruktur in den Wissenschaften fördert Korrekturen auch nicht", sagt Rohrer. Wollen Wissenschaftler Karriere machen, müssen sie so viel wie möglich publizieren. Die Qualität dieser Arbeiten spielt dabei eine viel zu geringe Rolle, Hauptsache, die Publikationsliste ist lang. Da werden eigene Zweifel dann womöglich runtergeschluckt und wacklige Ergebnisse publiziert, solange es das Überleben im akademischen Betrieb sichert.

Der Vortrag über die Machtposen ist mehr als 49 Millionen Mal aufgerufen worden

"Es gibt außerdem keinen etablierten Weg, um Selbstkorrekturen öffentlich zu machen", sagt Rohrer. Das zu ändern, ist auch ein Antrieb des Loss of Confidence Projects. Den ursprünglichen Anstoß für das Vorhaben gab eine öffentliche Distanzierung der Psychologin Dana Carney, die an der University of Berkeley arbeitet. Sie veröffentlichte 2016 im Internet ein Statement, in dem sie Abstand von ihrer wohl bekanntesten Arbeit nahm: den Power Poses (Machtposen).

Zusammen mit Amy Cuddy und Andy Yap hatte sie 2010 eine Studie publiziert, wonach eine raumgreifende Körperhaltung einem das Gefühl von Macht verleihe und risikofreudig handeln ließe. Zudem sei dann auch der Testosteronspiegel messbar erhöht. Amy Cuddy verhalf dieser Idee zu einer großen Karriere: Ihr Ted Talk über das Phänomen ist mittlerweile mehr als 49 Millionen Mal aufgerufen worden. Aber wissenschaftlich sackten die Power Posen in sich zusammen, mehrere Replikationsversuche scheiterten. Dana Carney wies schließlich selbst auf methodische Mängel hin und erklärte öffentlich: "Ich glaube nicht, dass der Effekt der Machtposen real ist."

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Diese Selbstkorrektur imponierte vielen in der Psychologie und stieß das Loss of Confidence Project an. Auf einer Webseite konnten dazu Psychologen in einem standardisierten Verfahren eigene Arbeiten quasi kritisieren. Trotz umfangreicher Werbemaßnahmen war der Rücklauf zunächst mager. "Wir waren uns zu Beginn nicht sicher, ob sich überhaupt jemand beteiligen würde", sagt Rohrer. "Viele haben sicher Angst, dass sie dann als Forscher einen Stempel aufgedrückt bekommen." Mittlerweile sind es immerhin zwölf Teams, die sich offenbart haben. Das werten die Psychologen als Erfolg.

Die Auswertung einer zusätzlichen Umfrage legt jedoch nahe, dass da noch sehr viel Luft nach oben ist, und sich die meisten Forscher nicht trauen, Selbstkritik zu üben. Die Psychologen um Rohrer analysierten Daten von 316 Wissenschaftlern, die sich anonym über Zweifel an ihrer eigenen Arbeit äußern konnten. 44 Prozent von ihnen gaben an, dass sie in wenigstens einem Fall nicht mehr voll hinter einer Publikation stehen könnten. Zudem sagten auch einige, dass sie von Anfang an wenig Vertrauen in Ergebnisse gehabt hätten, diese aber dennoch publiziert wurden.

Ein offener Umgang mit Zweifeln an eigenen Ergebnissen würde Forschern viel Arbeit ersparen

"Selbst wenn man das sehr zurückhaltend extrapoliert", schreiben die Psychologen um Rohrer, "muss man zu der Einsicht gelangen, dass die Autoren von Zehntausenden Studien, die jedes Jahr erscheinen, selbst kein Vertrauen darin haben." So gesehen sind zwölf persönliche Selbstkorrekturen eher fast beschämend wenig, und zugleich muss der Mut umso größer sein, den diese Forscher aufgebracht haben.

"Die Reaktionen darauf sind bisher durchweg positiv", sagt Rohrer, "und sie haben hoffentlich Signalwirkung". Womöglich lasse sich so auch eine Reputation als gewissenhafter Wissenschaftler aufbauen, die anderen Ergebnissen der betreffenden Forscher erst recht Glaubwürdigkeit verleihe. Auf jeden Fall würde ein offener Umgang mit Zweifeln an eigenen Forschungsergebnissen anderen Wissenschaftlern sehr viel Arbeit ersparen. Replikationsversuche ließen sich etwa leichter organisieren. Und Nachwuchsforscher könnten tatsächlich vielversprechende Fragen aufgreifen, statt sich sinnlos an Effekten abzuarbeiten, an die im Stillen eigentlich niemand mehr glaubt.

© SZ vom 21.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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